Treponema pallidum ssp. pallidum

 (aus ZCT 5-2010)

 

 

 

 

Taxonomie, Morphologie und Kultur

 

T.pallidum zählt zur Gattung Treponema, Familie Spirochaetaceae. Weitere pathogene Subspezies sind T.pallidum ssp. endemicum (Krankheitsbild Bejel), ssp. pertenue (Krankheitsbild Frambösie) sowie ssp. carateum (Krankheitsbild Pinta), diese Spezies kommen jedoch nur außerhalb Europas vor, können aber bei serologischen Untersuchungen kreuzreagieren. Es handelt sich um gramnegative gewundene Bakterien mit schlechter Anfärbbarkeit, die außerhalb des Körpers nur für kurze Zeit überleben, länger jedoch z.B. in Blutkonserven. Eine Kultur ist gegenwärtig nicht möglich, jedoch eine Anzucht im Kaninchenhoden.

 

 

Epidemiologie

 

T.pallidum ist weltweit verbreitet, die erste Beschreibung eines Ausbruchs in Europa erfolgte 1494 bei der Belagerung von Neapel. Eine sehr gute Beschreibung der Infektionskette findet sich in dem 1759 veröffentlichten Roman Candide von Voltaire.1 Die Inzidenz lag in Deutschland im Jahr 2008 bei 3,9 Fällen/100.000 Einwohner; der Frauenanteil sank auf 7%. In einzelnen Städten (z.B. Berlin, Hamburg, München) wurden Ausbrüche registriert, betroffen waren ausschließlich Männer mit hoher Rate an Reinfektionen. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen positiver Lues-Serologie und HIV-Serokonversionsrate. Die Zahl konnataler Erkrankungen liegt mit ein bis sieben Fällen sehr niedrig.2

 

 

Pathogenese, Krankheitsbild (Lues/Syphilis)

 

Die Erreger penetrieren durch die genitalen (oder auch andere) Schleimhäute und disseminieren über den lymphatischen Weg sowie über die Blutbahn im gesamten Körper einschließlich ZNS. Eine Übertragung ist sowohl transplazentar als auch über Blutkonserven möglich. Klinische Symptome gibt es nur bei etwa 50% der Infektionen; der Verlauf der Erkrankung gliedert sich in drei klinische Stadien: Primärstadium (Lues I) mit Auftreten einer Primärläsion (Ulcus durum oder harter Schanker) mit schmerzlosen, scharf abgegrenzten, nicht unterminierten Rändern, Inkubationszeit (9)-14 bis 24-(90) Tage. Die Primärläsion ist z.B. an den Genitalien, Mund, Anus, aber auch an anderen Kontaktstellen lokalisiert. Diese Läsionen sind hochinfektiös! Die regionalen Lymphknoten sind geschwollen. Die Abheilung des Primärkomplexes (Ulcus durum plus geschwollene Lymphknoten) erfolgt nach vier bis sechs Wochen.
Beginn des Sekundärstadiums (Lues II; infektiös) nach (4)-6 bis 10-(12) Wochen mit Exanthemen (meist stammbetont) sowie Enanthemen mit Auftreten einer Angina specifica, schmerzloser Vergrößerung der Lymphknoten sowie an den Schleimhäuten von Mund, Anus und im Vaginalbereich feuchte Papeln (Condylomata lata) mit zahlreichen Treponemen. Auffällig kann auch eine Alopecia specifica areolaris sein, im Haar- und Bartbereich finden sich himbeer- bis blumenkohlähnliche Papillome. Am seitlichen Hals werden Depigmentierungen („Halsband der Venus“) und an den Fußsohlen und Plantarflächen der Hände eine übermäßige Hornhautbildung (Clavi syphilitici) beobachtet. Im Stadium II ist eine Augenbeteiligung z.B. eine bilaterale Form einer anterioren Uveitis möglich. Nach etwa zwei Jahren klingen die Hauterscheinungen ab. Nach einigen Jahren der Latenz (Lues latens seropositiva) kann das Tertiärstadium (Lues III) eintreten mit Beteiligung der Aorta (Mesaortitis luetica, Aneurysmen), Myokarditis sowie mit ulzerierenden granulomatösen Veränderungen aller Organe (Gummen, schmerzlose Tumore von elastischer Konsistenz mit zentraler Einschmelzung) und tuberösen Hautveränderungen. Im Spätstadium kommt es zur Neurolues (ZNS) mit Tabes dorsalis (Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks, lanzierende Schmerzen im Unterbauch und den Beinen; ca. 20 Jahre nach Erstinfektion), syphilitischer Meningitis mit Parästhesien und Paraplegie, Hemiplegie und Hemiparesen, Aphasie und Krampfanfällen. Nach 15-20 Jahren entwickelt sich eine progressive Paralyse (Argyll-Robertson-Phänomen mit Beeinträchtigung der Lichtreaktion bei erhaltener Konvergenzreaktion) mit Todesfolge nach ca. vier bis fünf Jahren. Im Verlauf der hämatogenen Dissemination ist auch ein Befall der Leber möglich, die Folge ist eine Hepatitis mit z.T. Übergang in eine Zirrhose. Gumma manifestieren sich ebenfalls in der Leber.


 

Schwangerschaft

 

Bei Erwerb der Infektion in der Schwangerschaft erkrankt das Kind in utero (konnatale Lues), ein diaplazentarer Übertritt der Treponemen ist in jedem Schwangerschaftsstadium möglich (70-100% bei primärer Syphilis, ca. 70% bei sekundärer, 40-80% bei früh latenter und 10% bei spät latenter Syphilis). Es werden praktisch alle Organe infiziert, etwa 50% aller Feten sterben ab, die übrigen zeigen postpartal verschiedene Erkrankungsformen. Ca. 60% der Kinder sind bei Geburt asymptomatisch. Kongenitale Pneumonien werden beobachtet.
Neugeborenes: Frühform innerhalb der ersten beiden Lebensjahre vor allem in den ersten Lebensmonaten mit Haut- und Schleimhautveränderungen, Osteochondritis syphilitica, Anämie und Hepatosplenomegalie. Die Spätform manifestiert sich gewöhnlich kurz vor der Pubertät mit der Hutchinson-Trias (Keratitis, Zahndeformationen, Taubheit), sowie Neurolues und kardiovaskuläre Läsionen.

 

 

Diagnostik

 

Eine Routinetestung erfolgt bei Schwangeren, Blutspendern, Personen mit der Diagnose einer sexuell übertragbaren Erkrankung einschließlich HIV oder bei Personen mit dem Risiko, eine solche Erkrankung zu erwerben (z.B. Partner), Personen mit Hepatitis B bzw. C, bei V.a. Neurolues (plötzlicher Seh- oder Hörverlust, Meningitis).3 Ein Nachweis von T.pallidum gelingt im Dunkelfeldmikroskop (unspezifisch, z.B. Verwechslung mit oralen, apathogenen Spirochäten) oder spezifisch über PCR.4 Der serologische Nachweis erfolgt primär über Suchteste wie Enzymimmunoassay, Treponema-Pallidum-Partikelagglutinationstest (TPPA), evtl. Wiederholung ein bis zwei Wochen nach negativem Testausfall. Bei positivem Befund Bestätigungstest z.B. FTA-Absorptionstest (IgG-FTA-ABS-Test), zusätzlich Cardiolipin-KBR oder VDRL-Test (Lipoid-Ak) und/oder 19s-IgM-FTA-ABS-Test. Ein negativer IgM-Befund schließt eine aktive, behandlungsbedürftige Lues nicht aus, ebenso wenig ein negativer oder niedrigtitriger VDRL bzw. eine Cardiolipin-KBR. Zusätzlich ist ein Immunoblot notwendig. Eine Bestätigung muss in einer zweiten Blutprobe erfolgen. Diagnostik der angeborenen Syphilis: Nachweis von IgM-Antikörpern (Immunoblot) oder positiver PCR-Befund beim Neugeborenen. Titerkontrollen nach 1, 2, 3, 6 und 12 Monaten bzw. bis ein negatives Ergebnis erzielt wird. Diagnostik der Neurolues: Nachweis einer intrathekalen Antikörpersynthese, Bestimmung der Funktion der Blut-Liquor-Schranke mittels Albumin-Quotient und Gesamteiweißbestimmung.

 

 

Prävention, Therapie, Meldepflicht

 

Eine große Bedeutung hat die Prävention durch Expositionsprophylaxe und Aufklärung erkrankter Personen sowie der Kontaktpersonen. Zur Therapie wird primär Penicillin [Benzylpenicillin-Benzathin (TARDOCILLIN u.a.); relativ schlechte Liquorgängigkeit] oder Procain-Penicillin (PROCAIN-PENICILLIN STREULI, Schweiz) eingesetzt. Alternativen sind Ceftriaxon (ROCEPHIN u.a.), Doxycyclin (DOXYHEXAL u.a.) oder Azithromycin (ZITHROMAX u.a.), wobei über Resistenzen gegen Azithromycin berichtet wird.5,6 Zur Prävention einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion kann Prednisolon (DECORTIN H u.a.) 24h vor Therapiebeginn über insgesamt drei Tage gegeben werden. Eine nichtnamentliche Meldepflicht einer akuten oder zuvor nicht erkannten aktiven Erkrankung besteht nach §7 IfSG.

 

1. VOLTAIRE. Candide,
    DTV 2009

2. NN.
    Epidemiol Bulletin 2009; 503 - 507

3. FRENCH, P. et al.
    Int J STD AIDS 2009; 20: 300 - 309

4. HEYMANS, R. et al.
    J Clin Microbiol 2010; 48: 497 - 502

5. LUKEHART, S.A. et al.
    N Engl J Med 2004; 351: 154 - 158

6. MARTIN, I.E. et al.
    J Clin Microbiol 2009; 47: 1668 - 1673

 

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