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Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA sprach in seiner Sitzung vom 19. September 2024 eine Zulassungsempfehlung für den Impfstoff Penbraya zur aktiven Immunisierung gegen invasive Meningokokken-Erkrankungen aus [1].
Invasive Meningokokken-Erkrankungen werden durch Neisseria meningitidis verursacht [1,2]. Häufig kommt es nach anfänglichen Anzeichen einer oberen Atemwegsinfektion plötzlich zu allgemeinen Symptomen wie Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost, die sich innerhalb kurzer Zeit zu einem schweren, lebensbedrohlichen Krankheitsbild wie Meningitis und/oder Sepsis entwickeln können. Großflächige Hauteinblutungen sind insbesondere bei septischen Verläufen ausgeprägt, bei einer Meningitis sind zudem Nackensteifigkeit und Erbrechen charakteristisch. Die Letalität einer isolierten Meningokokken-Meningitis beträgt in Deutschland 1 %, bei einer Sepsis rund 13 % und bei Sepsis mit Waterhouse-Friderichsen-Syndrom ca. 33 %. Invasive Meningokokken-Erkrankungen werden im Wesentlichen durch Meningokokken der Serogruppen A, B, C, W, X und Y verursacht, die sich anhand der Zusammensetzung ihrer Kapselpolysaccharide unterscheiden. In Deutschland liegt die Inzidenz bei unter 0,4 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr, für die Mehrheit der Erkrankungen sind Erreger der Serogruppe B (ca. 60 %), weniger häufig Erreger der Serogruppen C, W und Y (jeweils ca. 10 bis 15 %) verantwortlich [2].
Bei Penbraya handelt es sich um den ersten pentavalenten Meningokokken-Impfstoff, der zur aktiven Immunisierung von Personen ab 10 Jahren zur Vorbeugung invasiver Meningokokken-Erkrankungen durch die Neisseria meningitidis-Serogruppen A, C, W, Y und B eingesetzt werden soll. Dabei enthält Penbraya die Kapselpolysaccharide der Serogruppen A, C, W und Y konjugiert an Tetanus-Toxoid [1,3]. Für die Serogruppe B wurden Oberflächenproteine als Antigen gewählt, da auf Grund des Vorhandenseins identischer Polysaccharidstrukturen auf der B-Kapsel und auf menschlichen Nervenzellen kein Konjugatimpfstoff entwickelt werden konnte [2]. Dementsprechend enthält Penbraya außerdem das rekombinant hergestellte Faktor-H-Bindungsprotein (fHbp) der Unterfamilien A und B der Serogruppe B [1,3].
In einer randomisierten, einfachblinden, multizentrischen Nichtunterlegenheitsstudie der Phase-III wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Penbraya an Personen zwischen 10 und 25 Jahren untersucht [3]. Dabei wurden die Personen entweder mit Penbraya geimpft (2 Dosen im Abstand von 6 Monaten) oder mit einer Kombination aus einem quadrivalenten Konjugatimpfstoff (Serogruppen A, C, W und Y; einmalige Applikation zum Zeitpunkt 0) und einem monovalenten Subunitimpfstoff (Serogruppe B; 2 Dosen im Abstand von 6 Monaten). Die Seroresponse-Raten nach der Impfung mit Penbraya waren dabei dem herkömmlichen kombinierten Impfschema nicht unterlegen. Nach der Applikation von Penbraya wurde am häufigsten von Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopf- und Muskelschmerzen sowie Schwellungen und Rötungen an der Injektionsstelle berichtet.
In Deutschland, Österreich und Schweiz stehen zur Immunisierung gegen Meningokokken derzeit monovalente Konjugatimpfstoffe (Serogruppe C), monovalente Meningokokken-B-Impfstoffe und quadrivalente Konjugatimpfstoffe (Serogruppen A, C, W, Y) für unterschiedliche Altersgruppen zur Verfügung. Für eine vollständige Abdeckung der Serogruppen A, B, C, W, Y müssen Impfstoffe kombiniert werden. Sofern die Europäische Kommission der Empfehlung des CHMP folgt und Penbraya durch die EMA zugelassen wird, ist es der erste zugelassene pentavalente Meningokokken-Impfstoff. Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) arbeitet derzeit an einer Evaluation der Sicherheit und Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe sowie der Modellierung verschiedener Impfstrategien für die Auffrischimpfung im Jugendalter, der pentavalente Impfstoff könnte dabei bereits berücksichtigt werden [4].
1 European Medicines Agency (EMA). Penbraya - summary of opinion. EMA/424272/2024; published online Sep 20, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-penbraya_en.pdf
2 Robert Koch Institut (RKI). Meningokokken, invasive Erkrankungen (Neisseria meningitidis). RKI-Ratgeber. Stand Januar 2024. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Meningokokken.html#doc2374538bodyText1 [13.11.2024]
3 U.S. Food & Drug Administration (FDA). Penbraya (Meningococcal Groups A, B, C, W, and Y Vaccine). Full Prescribing Information. September 2024. URL: https://labeling.pfizer.com/ShowLabeling.aspx?id=19937&format=pdf
4 Ständige Impfkommission (STIKO). Protokoll der 107. Sitzung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am 12. und 13.03.2024. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Sitzungen/Protokolle/Sitzung_107.pdf?__blob=publicationFile [13.11.2024]
20.11.2024
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat unter dem Namen Orlynvah ein neues orales Antibiotikum für die Therapie unkomplizierter Harnwegsinfekte bei Frauen zugelassen [1].
Orlynvah ist eine Kombination aus dem Thiopenem Sulopenem und Probenecid. Sulopenem liegt dabei als Prodrug in Form der Esterverbindung Sulopenem-Etzadroxil vor, die nach oraler Aufnahme durch die intestinalen Esterasen zum aktiven Sulopenem hydrolysiert wird [2,3]. Der Kombinationspartner Probenecid wird normalerweise als Urikosurikum eingesetzt, da auf Grund seiner kompetitiven Hemmung der organischen-Anionen-Transporter (OAT) in der Niere die tubuläre Rückresorption von Harnsäure verringert wird. Die OAT-Hemmung hat allerdings auch eine Reduktion der OAT-vermittelten renalen Clearance von Sulopenem zur Folge, wodurch dessen Halbwertszeit verlängert, und die Plasmakonzentration der antimikrobiell wirksamen Substanz erhöht werden [2,3].
Als Vertreter der Peneme zählt Sulopenem zu den β-Lactam-Antibiotika und seine bakterizide Wirkung basiert auf der Hemmung der bakteriellen Zellwandsynthese infolge der Bindung an Penicillin-bindende-Proteine (PBP) [2]. In vitro besitzt Sulopenem ein breites Wirkspektrum gegen Gram-positive, Gram-negative und anaerobe Bakterien. Es zeigt, wie Ertapenem, eine Wirksamkeit gegen multiresistente Gram-negative Erreger wie Enterobacterales, die bestimmte Extended Spectrum β-Lactamasen (ESBL) oder AmpC exprimieren aber wie Ertapenem ebenfalls eine Lücke gegen Pseudomonas aeruginosa [2-4]. Während die Sulopenem-Aktivität auch in Anwesenheit einiger β-Lactamasen und ESBLs bestehen bleibt, können Resistenzen u.a. durch die Veränderung der PBPs oder die Bildung von Carbapenemasen entstehen [2,3]. Orlynvah soll als Reserveantibiotikum nur zur Therapie von unkomplizierten Harnwegsinfektionen zur Anwendung kommen, die durch Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Proteus mirabilis verursacht werden und für die nur begrenzte oder keine alternativen oralen Behandlungsmöglichkeiten verfügbar sind [2].
Orlynvah enthält jeweils 500 mg Sulopenem-Etzadroxil und 500 mg Probenecid in Form einer Zweischichttablette. Die empfohlene Dosierung beträgt eine Tablette zweimal täglich zu den Mahlzeiten über einen Zeitraum von fünf Tagen. Eine Dosisanpassung bei einer leichten oder moderaten Einschränkung der Nierenfunktion ist nicht erforderlich [2].
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Orlynvah wurde in mehreren kontrollierten, randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studien bei unkomplizierten und komplizierten Harnwegsinfektionen untersucht. Darunter in SURE-1, einer Nichtunterlegenheitsstudie, in der 1671 eingeschlossene erwachsene Frauen mit einer unkomplizierten Harnwegsinfektion 1:1 randomisiert wurden [4]. Die Infektion wurde entweder mit 500 mg Sulopenem (als Sulopenem-Etzadroxil, in Kombination mit 500 mg Probenecid) zweimal täglich über fünf Tage oder mit 250 mg Ciprofloxacin zweimal täglich über drei Tage behandelt. Als primärer Endpunkt wurde das Gesamtansprechen, definiert als Kombination aus klinischem und mikrobiologischem Ansprechen, an Tag 12 bewertet. Die Gesamtansprechrate von Sulopenem-Etzadroxil/Probenecid betrug bei Patientinnen mit Ciprofloxacin-resistenten Erregern 62,6 % gegenüber 36,0 % unter Ciprofloxacin und war damit der Therapie mit dem Fluorchinolon überlegen (Differenz 26,6 %; 95 %-Konfidenzintervall 15,1-37,4). Bei Patientinnen mit Ciprofloxacin-sensiblen Erregern erfüllte Sulopenem-Etzadroxil/Probenecid jedoch nicht die Nichtunterlegenheitskriterien. Insgesamt betrachtet (Ciprofloxacin-resistente und -sensible Erreger) waren die Ansprechraten in beiden Gruppen vergleichbar und Sulopenem-Etzadroxil/Probenecid nicht unterlegen. Kritisch anzumerken ist die Vergleichsgruppe. Ciprofloxacin sollte aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen und zunehmender Resistenzen nur dann zur Therapie bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen verwendet werden, falls keine anderen oralen Antibiotika möglich sind [5].
Die Wirksamkeit von Orlynvah für die Erst- oder Folgebehandlung komplizierter Harnwegsinfektionen oder intraabdomineller Infektionen konnte in klinischen Studien nicht belegt werden [2].
Die am häufigsten unter der Therapie mit Orlynvah berichteten unerwünschten Wirkungen waren Diarrhö, Übelkeit, vaginale Hefepilzinfektionen, Kopfschmerzen und Erbrechen. Es muss außerdem u.a. das Risiko einer Clostridioides-difficile-assoziierten Diarrhö sowie die Bildung von Harnsäure-Nierensteinen beachtet werden [2].
Als erstes oral einzunehmendes Thiopenem könnte die Kombination aus Sulopenem-Etzadroxil/Probenecid eine wichtige Erweiterung der Therapieoptionen für die ambulante Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfektionen bei Frauen sein, falls z.B. auf Grund der Resistenzsituation keine anderen antimikrobiellen Wirkstoffe eingesetzt werden können. Eine Sorge, die u.a. von der FDA geäußert wurde und die es äußerst aufmerksam zu beobachten gilt, ist die Möglichkeit für Kreuzresistenzen gegenüber anderen Carbapenemen. Es wäre höchst gefährlich, diese als intravenösen Breitspektrumantibiotika wichtigen Stützpfeiler bei der Behandlung schwerer Infektionen durch einen breiten Gebrauch oraler Carbapeneme zu gefährden.
1 U.S. Food & Drug Administration (FDA). FDA approves new treatment for uncomplicated urinary tract infections in adult women who have limited or no alternative oral antibiotic treatment options; published online Oct 24, 2024. URL: https://www.fda.gov/drugs/news-events-human-drugs/fda-approves-new-treatment-uncomplicated-urinary-tract-infections-adult-women-who-have-limited-or-no [06.11.2024]
2 U.S. Food & Drug Administration (FDA). Orlynvah (Sulopenem etzadroxil and Probenecid): Full Prescribing Information. Oct 2024. URL: https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2024/213972s000lbl.pdf [06.11.2024]
3 Mangum, B. R. et al. Tebipenem and Sulopenem: Dynamic Duo or Double Trouble?.
Curr Infect Dis Rep. 2024; 26:139-150. doi: 10.1007/s11908-024-00831-1
4 Dunne, W. M. et al. Sulopenem or Ciprofloxacin for the Treatment of Uncomplicated Urinary Tract Infections in Women: A Phase 3, Randomized Trial. Clin Infect Dis. 2023; 76(1): 66-77. doi: 10.1093/cid/ciac738
5 Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (Hrsg.): S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen – Aktualisierung 2024. URL: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-044 [16.11.2024]
20.11.2024
Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag – ein Tag, der seit über 30 Jahren auf die Rechte und Bedürfnisse HIV-positiver Menschen weltweit aufmerksam macht. Jedes Jahr erinnert er an die rund 40 Millionen Menschen, die aktuell mit HIV leben, sowie an jene, die an den Folgen von HIV und AIDS verstorben sind. Trotz großer Fortschritte in der Therapie und Prävention bleibt die Ungleichheit im Zugang zur Versorgung eine globale Herausforderung.
Das diesjährige Motto des Welt-AIDS-Tags, „Take the rights path“, verdeutlicht die Bedeutung von Menschenrechten im Kampf gegen HIV und AIDS. Insbesondere sogenannte Schlüsselgruppen sind vielfach
benachteiligt und haben ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren oder an AIDS zu erkranken. Der Zugang zu Prävention, Beratung und medizinischer Versorgung ist entscheidend – für alle, ohne
Diskriminierung und Vorurteile. „Wir können AIDS beenden, wenn wir die Ungleichheiten beseitigen, die die Krankheit aufrechterhalten“, so UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima.
Die aktuelle Kampagne zeigt: Menschen mit HIV können heute bei rechtzeitiger Therapie ein normales Leben führen. Der Ausbruch von AIDS lässt sich verhindern, und das Virus ist unter Therapie nicht mehr übertragbar. Dennoch sind Diskriminierung und Stigmatisierung nach wie vor Teil ihres Alltags – verursacht durch Unwissenheit und Vorurteile.
Und hier setzt die Kampagne 2024 an: Durch persönliche Einblicke in das Leben HIV-positiver Menschen will sie Berührungsängste abbauen und zeigen, dass HIV kein Grund für Distanz im Alltag ist.
Unterstützen Sie die Kampagne, indem Sie Informationen teilen und das Bewusstsein für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben fördern. Durch Aufklärung und Information sollen bestehende
Unsicherheiten abgebaut werden.
20.11.2024
Der Podcast consilium infectiorum bietet medizinischem Fachpersonal praxisrelevante Themen der klinischen Infektiologie und unterstützt dabei, evidenzbasierte Behandlungsoptionen für Patienten auszuwählen.
In jeder Folge diskutiert Infektiologe Prof. Mathias Pletz aus Jena mit einem Expertengast einen klinischen Schwerpunkt – fundiert und dennoch in entspannter Gesprächsatmosphäre.
Besonders praktisch: Für jede Folge können Sie bis zu einem Jahr nach Veröffentlichung CME-Punkte sammeln, indem Sie die zugehörigen CME-Fragen beantworten.
In der aktuellen Folge ist Priv.-Doz. Stefan Hagel aus Jena zu Gast. Gemeinsam widmen sie sich dem Thema bakterielle Endokarditis.
20.11.2024
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat unter dem Namen FluMist einen Impfstoff gegen die saisonale Influenza in Form eines Nasensprays zugelassen, das erstmals auch selbst von der zu impfenden Person angewendet werden darf [1].
Die saisonale Influenza verursachte nach Angaben des U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zwischen 2010 und 2023 jährlich etwa 9,3 bis 41 Millionen Erkrankungen, 100.000 bis 710.000 Krankenhausaufenthalte und 4.900 bis 51.000 Todesfälle in den USA [1]. Obwohl jedes Jahr eine Reihe zugelassener Impfstoffe zur Verfügung stehen, sind die Impfquoten im Vergleich zu den Zeiträumen vor der COVID-19-Pandemie rückläufig [2]. In der Saison 2023/2024 waren Schätzungen zufolge nur etwa die Hälfte der Kinder (≥ 6 Monate) und der Erwachsenen gegen Influenza geimpft, so wenig wie zuletzt vor 12 bzw. vor 6 Jahren. Damit liegt die Durchimpfungsrate weiterhin unter dem nationalen Ziel der Healthy-People-2030-Initiative von 70 % für Personen ≥ 6 Monate [2].
FluMist ist in den USA bereits seit 2007 zur aktiven Immunisierung von Personen zwischen 2 und 49 Jahren im Einsatz [1]. Es handelt sich dabei um einen Lebendimpfstoff, der die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und FDA jeweils für eine Saison empfohlenen Stämme von Influenza A und B in Form von lebend-attenuierten Viren enthält. In der aktuellen Saison 2024/2025 umfasst das trivalente Vakzin die Stämmen A(H1N1), A(H3N2) und B(Victoria) [3].
Im Gegensatz zu anderen Influenza-Impfstoffen muss FluMist allerdings nicht intramuskulär injiziert werden, sondern wird in Form einer Suspension mittels Zerstäuber in die Nase appliziert [3]. Der nasale Applikationsweg wird ermöglicht durch die gentechnische Veränderung des Wildtypvirus zu kälteadaptierten und temperaturempfindlichen abgeschwächten Reassortanten-Influenzaviren. Diese sind zwar in der Lage, sich im Nasopharynx zu vermehren und dadurch eine Immunreaktion auszulösen, allerdings erfolgt in den unteren Atemwegen und der Lunge auf Grund der wärmeren Temperaturen keine effiziente Replikation [3,4]. Die genannten Eigenschaften ermöglichen die Induktion einer schützenden Immunreaktion, ohne dass eine klinische Erkrankung ausgelöst wird.
Ein Nasenapplikator enthält eine Einzeldosis Impfstoff, die mit jeweils einem Hub pro Nasenloch aufgeteilt wird. Die nadelfreie Applikation musste bisher, wie auch bei anderen Vakzinen, durch medizinisches Fachpersonal bzw. durch einen Gesundheitsdienstleister erfolgen. Nun konnte durch den Zulassungsinhaber MedImmune in einer Studie gezeigt werden, dass auch Pflegepersonal und die Impflinge selbst mit Hilfe der in der Gebrauchsanweisung enthaltenen Informationen den Impfstoff sicher und effektiv applizieren können [1]. Daher erlaubt die Zulassung jetzt erstmalig eine Impfstoffapplikation durch die volljährige zu impfende Person selbst oder eine volljährige Betreuungsperson. Bei der Impfung von Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 17 Jahren wird die Applikation durch eine erwachsene Person empfohlen.
Nach der Impfung gehörten Fieber (Kinder zwischen 2-6 Jahren), laufende Nase und verstopfte Nase (Personen zwischen 2-49 Jahren) sowie Halsschmerzen (Erwachsene zwischen 18-49 Jahren) zu den am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen [1,3].
Die neue Möglichkeit der Selbstanwendung des nasalen Impfstoffs könnte die Zugänglichkeit, Flexibilität und den Komfort einer sicheren und effektiven saisonalen Influenzaimpfung erhöhen und die Steigerung der Impfquoten positiv beeinflussen. Es wird davon ausgegangen, dass FluMist ab der Saison 2025/2026 für die Selbstanwendung in den USA zur Verfügung steht.
In Deutschland und Österreich wird in der aktuellen Influenza-Saison ebenfalls das trivalente Influenzavakzin als Nasenspray durch AstraZeneca unter dem Namen Fluenz zur Verfügung gestellt. Allerdings ist es hierzulande nur zur aktiven Immunisierung von Kindern und Jugendlichen zwischen 24 Monaten und dem vollendeten 18. Lebensjahr und für Applikation unter Aufsicht eines Arztes, Apothekers oder von medizinischem Fachpersonal zugelassen [5].
1 U.S. Food & Drug Administration (FDA). FDA Approves Nasal Spray Influenza Vaccine for Self- or Caregiver-Administration. Press Announcement; published online Sep 20, 2024. URL: https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-nasal-spray-influenza-vaccine-self-or-caregiver-administration?mtm_source=25 [11.10.2024]
2 Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Flu Vaccination Coverage, United States, 2023–24 Influenza Season; published online Sep 20, 2024. URL: https://www.cdc.gov/fluvaxview/coverage-by-season/2023-2024.html [11.10.2024]
3 U.S. Food & Drug Administration (FDA). FluMist (Influenza Vaccine Live, Intranasal): Full Prescribing Information. Sep 2024. URL: https://www.fda.gov/media/180697/download?attachment [11.10.2024]
4 European Medicines Agency (EMA). Assessment report Fluenz (Influenza vaccine, live attenuated, nasal); published online May 21, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/assessment-report/fluenz-epar-public-assessment-report_en.pdf-0 [12.10.2024]
5 European Medicines Agency (EMA). Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Fluenz (Influenza-Impfstoff, lebend-attenuiert, nasal); published online Jul 22, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/fluenz-epar-product-information_de.pdf [11.10.2024]
23.10.2024
Mit der Anpassung der Schutzimpfungsrichtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und deren Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 26. September 2024 übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland nun die Kosten für die Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV).
Anspruch auf die Impfung haben ab sofort alle gesetzlich Versicherten ab 75 Jahren sowie Versicherte zwischen 60 und 74 Jahren, die bestimmte Risikofaktoren aufweisen. Diese Entscheidung basiert auf der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) und betrifft vor allem Menschen mit Grunderkrankungen oder einem geschwächten Immunsystem, die ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe einer RSV-Infektion haben.
Die RSV-Impfung sollte idealerweise vor Beginn der RSV-Saison erfolgen, um optimalen Schutz zu gewährleisten. Aktuell ist nur eine einmalige Impfung vorgesehen, da die STIKO auf Basis der bisherigen Datenlage noch keine Entscheidung über mögliche Auffrischungsimpfungen getroffen hat. Auch zu einer möglichen Impfung von Schwangeren hat die STIKO bislang keine Empfehlung abgegeben.
23.10.2024
Seit Herbst 2023 stehen unter den Handelsnamen Arexvy und Abrysvo die weltweit ersten RSV-Impfstoffe zur Verfügung, die vor RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege und damit einhergehenden Komplikationen schützen sollen. Beide Vakzine gehören zu den Subunit-Impfstoffen, da sie als Antigen das RSV-Fusionsoberflächenprotein (F-Protein, rekombinant hergestellt) enthalten, stabilisiert in der Präfusionskonformation. Die Applikation der Impfstoffe löst eine B- und T-Zellantwort des Immunsystems und damit auch die Bildung von Antikörpern gegen das F-Protein sowie Gedächtniszellen aus, die bei erneutem Antigenkontakt eine schnelle Immunreaktion ermöglichen. Arexvy (RSVPreF3, adjuvantiert) ist zugelassen für die aktive Immunisierung von Erwachsenen ≥ 60 Jahren, Abrysvo (RSVPreF) kann neben der Anwendung bei älteren Erwachsenen gemäß Zulassung auch für die passive Immunisierung von Neugeborenen durch die Impfung der Mutter während der Schwangerschaft eingesetzt werden.
Nach der Zulassung beider Impfstoffe im letzten Jahr setzte sich die Ständige Impfkommission am Robert Koch Institut (STIKO) mit der Erarbeitung einer Impfstrategie und Empfehlungen zum Einsatz der neuen Impfstoffe auseinander. Erst vor wenigen Wochen gab die STIKO dann bekannt, dass alle Personen ≥ 75 Jahren eine einmalige RSV-Impfung mit einem der beiden proteinbasierten Impfstoffe (Arexvy oder Abrysvo) kurz vor der RSV-Saison als Standardimpfung erhalten sollten. Darüber hinaus wird eine Impfung auch Personen im Alter von ≥ 60 Jahren empfohlen, wenn schwere Grunderkrankungen vorliegen oder es sich um Bewohnende von Pflegeheimen handelt.1
Kurz nach der Veröffentlichung der STIKO-Empfehlungen wurde am 23.08.2024 unter dem Handelsnamen mResvia (mRNA-1345) ein weiterer Impfstoff gegen RSV in Europa zugelassen.2 Im Gegensatz zu Arexvy und Abrysvo enthält mResvia allerdings kein Protein als Antigen sondern mRNA, die für das F-Protein in der Präfusionskonformation codiert.3 Die in Lipid-Nanopartikeln verpackte mRNA wird nach der intramuskulären Applikation in die Zellen an der Injektionsstelle aufgenommen, wo eine vorübergehende Translation in das Virusprotein erfolgt. Das dort exprimierte F-Protein löst dann wiederum die Immunantwort und damit u.a. die Bildung von Antikörpern aus. Das gleiche Prinzip macht man sich bereits bei den mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19 zu Nutze.
In der laufenden randomisierten, doppelblinden und multizentrischen Phase-II/III Studie ConquerRSV wurde die Wirksamkeit der Impfung gegen RSV-bedingte Erkrankungen der unteren Atemwege mit zwei oder mehr Symptomen untersucht.4 Dazu wurden 35.541 Personen im Alter von ≥ 60 Jahren randomisiert und sollten entweder mit mResvia (n = 17.793) oder Placebo (n = 17.748) geimpft und über 12 Monate nach der Injektion beobachtet werden. Zum Zeitpunkt der Auswertung lag die mediane Nachbeobachtungszeit bei 112 Tagen. Dabei wurde eine Impfstoffwirksamkeit von 83,7 % (95,88 %-Konfidenzintervall (KI); 66,0-92,2) im Hinblick auf die Prävention von RSV-assoziierten Erkrankungen der Atemwege mit mindestens zwei Anzeichen oder Symptomen ermittelt. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in der Verhinderung einer RSV-Erkrankung mit mindestens drei Anzeichen oder Symptomen, bei der die Impfstoffwirksamkeit 82,4 % (96,36 %-KI; 34,8-95,3) betrug. Der Impfstoff zeigte eine Schutzwirkung gegen beide Subtypen RSV A und RSV B. Auch wenn in der mResvia-Gruppe häufiger lokale und systemische unerwünschte Reaktionen auftraten, waren diese meist leicht bis mittelschwer und vorübergehend. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgie und Arthralgie.
mResvia ist der erste mRNA-Impfstoff gegen RSV, der sich zum Zeitpunkt der Erarbeitung der STIKO-Impfstrategie noch im Zulassungsprozess befand und daher noch nicht Gegenstand der derzeitigen Empfehlungen ist. Laut STIKO ist die Evidenzaufarbeitung des neuen Impfstoffes schnellstmöglich nach der Zulassung geplant.1
1 Falman, A. et al. Beschluss und Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung der STIKO für eine Standardimpfung gegen Erkrankungen durch Respiratorische Synzytial-Viren (RSV) für Personen ≥ 75 Jahre sowie zur Indikationsimpfung von Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren mit Risikofaktoren. Epid. Bull. 2024; 32:3-28. doi: 10.25646/12470
2 Europäische Kommission. Kommission genehmigt mRNA-Impfstoff gegen Atemwegsviren. Pressemitteilung; published online Aug 23, 2024. URL: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/kommission-genehmigt-mrna-impfstoff-gegen-atemwegsviren-2024-08-23_de [30.08.2024]
3 European Medicines Agency (EMA). mResvia – summary of opinion. EMA/CHMP/285703/2024; published online Jun 27, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-mresvia_en.pdf [30.08.2024]
4 Wilson, E. et al. Efficacy and Safety of an mRNA-Based RSV Pref Vaccine in Older Adults. N Engl J Med. 2023; 389(24):2233-2244. doi: 10.1056/NEJMoa230707
11.09.2024
Infektionen mit Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) können bei Menschen aller Altersgruppen Erkrankungen der oberen (Sinusitis, Otitis media) und unteren Atemwege (Pneumonie) verursachen. Derzeit sind etwa 100 verschiedene Pneumokokken-Serotypen bekannt, die große Unterschiede in der Häufigkeit zeigen. Pneumokokken-Erkrankungen werden in „invasiv“ (invasive pneumococcal disease – IPD, definiert als Nachweis aus normalerweise sterilem Material wie Blut, Liquor, Ascites, Punktate) und „nicht-invasiv“ unterschieden (alleiniger Nachweis aus respiratorischem Material). Insbesondere Kinder unter 5 Jahren zählen zur Risikogruppe für schwere IPD wie Blutstrominfektionen oder Meningitis mit möglichen Langzeitfolgen (z.B. Seh-, Hörverlust oder neurologische Defizite) und Todesfällen. Trotz etablierter Impfstrategien ist die Krankheitslast durch IPD in dieser Altersgruppe auf Grund von unzureichenden Impfquoten und dem Auftreten von nicht-impfpräventablen Serotypen in Deutschland und weltweit hoch.
Die derzeit verfügbaren Pneumokokken-Impfstoffe unterscheiden sich sowohl in der Art des Impfstoffs als auch in Art und Anzahl der enthaltenen Serotypen (Tab.1). Für die Grundimmunisierung von Säuglingen zugelassen und von der STIKO empfohlen sind 13- oder 15-valente Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe (PCV13, PCV15), entweder als 2+1 Schema (2,4 und 11 Monate) für reifgeborene Säuglinge oder als 3+1 Schema (2,3,4 und 11 Monate) für Frühgeborene. Für Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 17 Jahren mit Immundefizienz oder sonstigen chronischen Erkrankungen, die mit einem erhöhten Risiko für eine Pneumokokken-Meningitis einhergehen, wird eine Indikationsimpfung empfohlen. Diese besteht aus einer Impfstoffdosis PCV13 oder PCV15 gefolgt von einer Impfstoffdosis des 23-valenten Polysaccharid-Impfstoffs (PPSV23) 6 bis 12 Monate später.
Tab. 1 Übersicht der in den verschiedenen Pneumokokken-Impfstoffen enthaltenen Serotypen
PCV13 (Prevanar) | PCV15 (Vaxneuvance) | PPSV23 (Pneumovax) | PCV20 (Prevenar20) |
1 | 1 | 1 | 1 |
2 |
|||
3 | 3 | 3 | 3 |
4 | 4 | 4 | 4 |
5 | 5 | 5 | 5 |
6A | 6A | 6A | |
6B | 6B | 6B | 6B |
7F | 7F | 7F | 7F |
8 | 8 | ||
9N | |||
9V | 9V | 9V | 9V |
14 | 14 | 10A | 10A |
11A | 11A | ||
12F | 12F | ||
14 | 14 | 14 | 14 |
15B | 15B | ||
17F | |||
18C | 18C | 18C | 18C |
19A | 19A | 19A | 19A |
19F | 19F | 19F | 19F |
20 | |||
22F | 22F | 22F | |
23F | 23F | 23F | 23F |
33F | 33F | 33F |
Kürzlich wurde mit Prevenar 20 (vormals Apexxnar) ein neuer 20-valenter PCV in Europa zugelassen, der gemäß Zulassung u.a. für die Immunisierung von Säuglingen in einem 3+1 Impfschema und bei Kindern und Jugendlichen als einmalige Einzeldosis eingesetzt werden kann. PCV20 enthält im Vergleich zu PCV13 sieben zusätzliche Serotypen, wodurch insgesamt ca. 53 % der IPD-Fälle bei unter 18-Jährigen abgedeckt werden. Die STIKO hat nun die vorliegenden Daten zum neuen Impfstoff im Hinblick auf eine mögliche Aufnahme in die Empfehlungen für Säuglinge, Kinder und Jugendliche überprüft.
Die Immunogenitätsdaten aus den Zulassungsstudien von PCV20 deuten auf eine im Vergleich zu PCV13 verringerte Immunantwort nach der Impfung hin, gemessen an den durch die Impfung induzierten IgG-Antikörperkonzentrationen. Die Unterschiede sind am deutlichsten nach der 2. bzw. 3. Impfstoffdosis im Säuglingsalter, erst mit Abschluss der Grundimmunisierung unterscheiden sich die Immunogenitätsdaten zwischen den verschiedenen Impfschemata und Impfstoffen weniger stark. Dennoch sind auch nach der abschließenden Impfstoffdosis die IgG-Antikörperkonzentrationen für alle gemeinsam enthaltenen Serotypen unter PCV20 niedriger als bei PCV13. Die Sicherheitsprofile beider Impfstoffe waren vergleichbar.
Es bleibt unklar, ob der Wechsel von PCV13 zu PCV20 durch die Erweiterung der Serotypen bei gleichzeitig intensitätsgeminderter Immunantwort eine zusätzliche Reduktion der Krankheitslast zur Folge haben würde. Aus diesem Grund bleibt die STIKO, basierend auf den bisherigen Daten, bei der Empfehlung für PCV13/PCV15 im 2+1 Schema für gesunde, reifgeborene Neugeborene. Es gibt außerdem Bedenken, ob ein PCV20 3+1 Schema durch den zusätzlichen Impftermin, in dem bereits sehr vollen Impfplan für Neugeborene, zu einer Erniedrigung der Impfquoten führen könnte. Da zur Immunogenität von PCV20 bei Frühgeborenen keine Daten vorliegen, wird auch hier keine Änderung der Anwendung von PCV13/PCV15 im 3+1 Schema empfohlen. Bei Kindern mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer Pneumokokken-Erkrankung stehen für die Anwendung von PCV20 noch nicht ausreichend Daten zur Verfügung, sodass noch keine abschließende Entscheidung getroffen werden kann.
Zusammenfassend bleiben alle bisherigen Empfehlungen der STIKO zur Pneumokokken-Impfung im Säuglings-, Kinder- und Jugendalter unverändert bestehen und eine Anwendung von PCV20 in dieser Altersgruppe wird zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen.
Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut. Stellungnahme der STIKO zur Anwendung des 20-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffs (PCV20) im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Epid. Bull. 2024; 31:3-8. doi: 10.25646/12311
11.09.2024
Auf Grundlage der kontinuierlichen globalen Surveillance zirkulierender Influenzaviren gibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr Empfehlungen für die Virusstämme, die in den saisonalen Impfstoffen enthalten sein sollten, um die Wirksamkeit der Impfung aufrechtzuerhalten. Nun folgte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den aktuellen Empfehlungen der WHO und spricht sich für die kommende Saison unter anderem auch für eine Reduktion der Anzahl der in den Vakzinen enthaltenen Virusstämme aus.1
Seit November 2017 empfiehlt die Ständige Impfkommission in Deutschland nur noch die Verwendung quadrivalenter Impfstoffe für die saisonale Immunisierung gegen Influenza. Aus diesem Grund enthielten die in Deutschland, sowie auch in der Schweiz und Österreich, zuletzt verfügbaren Influenza-Vakzine die Antigene von vier Virusstämmen: Influenza A-Virus Subtypen A/H1N1 und A/H3N1 sowie die saisonalen B-Viruslinien B/Victoria und B/Yamagata.
Influenza B/Yamagata zirkulierte jedoch seit März 2020 nicht mehr, was zumindest teilweise auf die öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen zurückgeführt wird, die zu Beginn der COVID-19-Pandemie ergriffen wurden. Die einzigen B/Yamagata Nachweise stammten aus den lebenden attenuierten Impfstoffen.1,2 Nach Ansicht der WHO, der FDA und der EMA ist es demnach nicht mehr notwendig, den B/Yamagata-Virusstamm weiter in die Influenza-Vakzine aufzunehmen.
Idealerweise sollte der Stamm daher bereits ab der Saison 2024/2025 zunächst aus allen Lebendimpfstoffen ersatzlos entfernt werden, sodass die Impfstoffe nur noch Antigene der Hauptstämme A/H1N1, A/H3N2 und B/Victoria enthalten und damit zu trivalenten Vakzinen werden.1
Da eine Anpassung eines quadrivalenten Vakzins zu einem trivalenten eine grundlegende Änderung des Impfstoffes bedeutet, müssen die Hersteller zur Zulassung mitunter erneute Prüfungen und Nachweise vorlegen, wenn der Impfstoff nicht bereits früher einmal in einer trivalenten Form zugelassen wurde. Im Interesse der Sicherstellung der Impfstoffversorgung für die kommende Saison sollte die Änderung zur trivalenten Zusammensetzung für alle anderen Impfstoffe daher spätestens für die Saison 2025/2026 abgeschlossen sein.1
Die konkreten für die verschiedenen Impfstofftypen empfohlenen Virusvarianten können den Dokumenten der EMA entnommen werden.
Kommentar der Herausgeber
Nachdem in den letzten präpandemischen Jahren aufgrund der damaligen Influenza-Epidemiologie die quadrivalenten Influenza-Impfstoffe zum Standard wurden, scheint aufgrund des Verschwindens der
B/Yamagata Stämme aus der Zirkulation ein Umdenken an der Zeit. Dies würde die Produktion vereinfachen, Produktionskosten senken sowie Kapazitäten erhöhen. Außerdem könnte sich die Möglichkeit
bieten, eine erhöhte Antigen-Dosis der A(H3N2) Komponente oder zwei verschiedene A(H3N2) Viren in den Impfstoffen der nächsten Generation zu verwenden, da gerade die A(H3N2) Komponente in den letzten
Jahren eine geringere Vakzinwirksamkeit zeigte.
1 European Medicines Agency (EMA). EU recommendations for 2024/2025 seasonal flu vaccine composition; published online Mar 26, 2024 (last updated Jun 3, 2024).
URL: https://www.ema.europa.eu/en/news/eu-recommendations-2024-2025-seasonal-flu-vaccine-composition [10.07.2024]
2 Monto A. S. et al. The End of B/Yamagata Influenza Transmission — Transitioning from Quadrivalent Vaccines. N Engl J Med 2024; 390(14):1256-1258. doi: 10.1056/NEJMp2314801
14.08.2024
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat am 08. August 2024 ihre Empfehlung für die Impfung gegen Respiratorische Synzytial-Viren (RSV) bei älteren Erwachsenen veröffentlicht. Die Empfehlung umfasst:
Ein speziell für ältere Erwachsene entwickelter adjuvantierter RSV-Impfstoff (Arexvy) zeigt eine hohe Wirksamkeit:
Die STIKO empfiehlt, zeitnah mit dem Impfen zu beginnen, um möglichst viele Risikopatienten zum Beginn der RSV-Saison im Herbst zu schützen. Private Krankenversicherungen übernehmen in der Regel ab der STIKO-Empfehlung die Kosten. Für gesetzlich Versicherte ist in vielen Fällen eine freiwillige Kostenerstattung durch die Krankenkasse möglich. Nach Aufnahme in die Schutzimpfungsrichtlinie wird die RSV-Impfung von allen Krankenkassen erstattet.
14.08.2024
Pertussis (Keuchhusten) ist eine weltweit endemische, meist über mehrere Wochen bis Monate andauernde Erkrankung der Atemwege, die hauptsächlich durch eine Infektion mit dem Gram-negativen Stäbchen Bordetella pertussis verursacht wird. Ein klassisches Symptom bei Kindern stellen die anfallsartig auftretenden Hustenanfälle dar, oft begleitet von inspiratorischem Stridor („Keuchen“), Würgereiz und Erbrechen. Schwere Komplikationen wie bakterielle Superinfektionen und Pneumonien können insbesondere bei Säuglingen auftreten und führen nicht selten zu Krankenhausaufenthalten und Tod durch Atemstillstand. Typisch ist der Ablauf in 3 Phasen: Einer katarrhalischen Phase mit unspezifischen Symptomen, gefolgt von einer paroxysmalen Phase mit den typischen namensgebenden (keuchenden) Hustenattacken ab der 2. Krankheitswoche und schließlich einer Konvaleszenzphase, die prolongiert über mehrere Wochen verlaufen kann. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind die klinischen Manifestationen jedoch weniger charakteristisch und weniger schwer als bei kleineren Kindern. Trotz existierender Impfstoffe ist alle 3 bis 5 Jahre mit größeren Epidemien zu rechnen, da weder die Impfung noch die natürliche Infektion zu einer dauerhaften Immunität führen.1,2
Nachdem zuletzt während den Jahren der COVID-19-Pandemie die Verbreitung von Pertussis sehr begrenzt war, werden seit der 2. Jahreshälfte 2023 weltweit wieder deutlich mehr Fälle registriert. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) berichtet, dass die Anzahl der gemeldeten Fälle in Europa bereits in den ersten 3 Monaten des Jahres 2024 (ca. 32.000 Fälle) höher ist als im Jahr 2023 über einen 12-Monats-Zeitraum (ca. 25.000 Fälle).2 Der zeitliche Verlauf der verstärkten Pertussis-Aktivität sowie die betroffenen Altersgruppen unterscheiden sich zum Teil in den einzelnen europäischen Ländern, wie die folgenden Beispiele aus Dänemark und Italien zeigen.2
In Dänemark war die Pertussis-Inzidenz bereits im August 2023 fünfmal so hoch wie die interepidemische Inzidenz und markierte damit den Beginn der Epidemie, die ihren Höhepunkt im November 2023 erreichte (337 Fälle/100.000 Einwohner) und erst im Januar und Februar 2024 wieder zurückging. Am stärksten betroffen waren Personen im Alter von 10-19 Jahren, was angesichts der in Dänemark nicht empfohlenen Auffrischimpfung für diese Altersgruppe nicht überrascht. Die Inzidenz bei Säuglingen war ebenfalls erhöht, allerdings im Vergleich zu früheren Epidemien in niedrigerem Ausmaß. Gleiches gilt für den Anteil der Kleinkinder bis 2 Jahre, die auf Grund der Infektion stationär behandelt werden mussten. Die Hospitalisierungsrate von 60,4 % lag ebenfalls deutlich unter den Werten früherer Epidemien, was möglicherweise auf den Schutz vor schwerer Pertussis durch geimpfte Mütter zurückzuführen ist, deren Impfquote auf 85 % im Beobachtungszeitraum geschätzt wurde. Ein Todesfall ereignete sich bei einem Frühgeborenen einer ungeimpften Mutter. Mit Beginn des Jahres 2024 wurde die Impfung von Schwangeren als Bestandteil des nationalen Impfprogramms aufgenommen.3
In Italien ist seit Januar 2024 ein deutlicher Anstieg der Pertussis-Fälle zu verzeichnen, der bereits jetzt den größten Pertussis-Ausbruch in den letzten Jahrzehnten darstellt. Neben der Grundimmunisierung im Säuglingsalter zählen Auffrischimpfungen im Vorschulalter, bei Jugendlichen und Erwachsenen zu den empfohlenen Maßnahmen. Im Gegensatz zur Epidemie in Dänemark sind von dem Pertussis-Ausbruch in Italien vor allem Neugeborene und Säuglinge betroffen, von denen bisher 108 stationär behandelt werden mussten, im Vergleich zu 12 Kindern im Jahr 2023. Die Mehrheit der hospitalisierten Kinder war ungeimpft, am häufigsten auf Grund des noch zu geringen Alters. Zwölf Säuglinge zeigten einen schweren Krankheitsverlauf und mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Bis zum Ende des Berichtszeitraums wurden 3 Todesfälle bei Neugeborenen gemeldet. Der Ausbruch, der vor allem Neugeborene und ungeimpfte Säuglinge betraf, wird u.a. auf die Nichteinhaltung der Impfempfehlungen während der Schwangerschaft zurückgeführt.4
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern können durch die verschiedenen Vorgehensweisen hinsichtlich Impfstrategien, Testungsregimen, Erfassung von Altersgruppen, länderspezifischen Surveillance-Programmen und unterschiedlicher Intensität und Fortdauer der COVID-19 Maßnahmen bedingt sein. Durch die Einflüsse der COVID-19-Pandemie ist beim Vergleich der aktuellen Pertussis-Ausbrüche mit früheren Epidemien allerdings Vorsicht geboten. Dennoch gibt das aktuelle Infektionsgeschehen Anlass, den Fokus auf die Maßnahmen zur Infektionsprävention zu lenken. In den meisten Altersgruppen lässt sich das Pertussis-Risiko durch eine adäquate Immunisierung bzw. Auffrischung minimieren, weswegen das Erreichen und Aufrechterhalten einer hohen Durchimpfungsrate durch rechtzeitigen und vollständigen Abschluss der Grundimmunisierungsserien und den anschließenden auf nationaler Ebene empfohlenen Auffrischungen von besonderer Bedeutung ist. Das ECDC stuft das Gesamtrisiko einer Pertussis-Infektion für nicht oder nur teilweise geimpfte Säuglinge im Alter von weniger als 6 Monaten als am höchsten ein, da sie die Gruppe mit der höchsten Morbidität und Mortalität durch Pertussis darstellen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die Immunisierung von Müttern und aller Betreuungspersonen von Säuglingen (Cocooning) ein hochwirksamer Ansatz, um Krankheiten und Todesfälle bei Kleinkindern zu verhindern.2
1 Robert Koch-Institut (RKI). RKI-Ratgeber Keuchhusten (Pertussis); published online Feb 26, 2024.
URL: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Pertussis.html#doc2374534bodyText0 [08.07.2024]
2 European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Increase of pertussis cases in the EU/EEA; published online May 8, 2024.
URL: https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/Increase%20in%20pertussis%20cases%20in%20the%20EU-EEA%20-%20May%202024%20FINAL.pdf [08.07.2024]
3 Nordholm A. C. et al. Pertussis epidemic in Denmark, August 2023 to February 2024. Euro Surveill 2024; 29(14):pii=2400160.
doi: 10.2807/1560-7917.ES.2024.29.14.2400160
4 Poeta M. et al. Pertussis outbreak in neonates and young infants across Italy, January to May 2024: implications for vaccination strategies. Euro Surveill 2024; 29(23):pii=2400301.
doi: 10.2807/1560-7917.ES.2024.29.23.2400301
14.08.2024
Die zunehmende Resistenz gegen Antibiotika stellt das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, haben das Robert Koch-Institut und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Umfrage gestartet.
Ziel ist es, einen umfassenden Einblick in die Verordnungspraxis von Antibiotika zu gewinnen. Die Online-Befragung richtet sich an medizinisches Fachpersonal aller Fachrichtungen, sowohl im
ambulanten als auch im stationären Bereich.
Die Teilnahme dauert nur etwa 8 Minuten und wurde bis zum 15.09.2024 verlängert. Jeder Beitrag hilft, die Herausforderung der Antibiotikaresistenzen besser zu verstehen und anzugehen.
Ihre Expertise ist gefragt - nehmen Sie teil und leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge!
14.08.2024
Im März 2024 wurde erstmals das hochpathogene aviäre Influenza-Virus (highly pathogenic avian influenza virus, HPAI) des Subtyps H5N1 in Nasenabstrichen und Milch von Milchkühen nachgewiesen – ein Risiko, dass HPAI A(H5N1)-Viren in die menschliche Nahrungskette gelangen könnten. Das Texas A& M Veterinary Medical Diagnostic Laboratory untersuchte Milchproben von einer betroffenen Herde in New Mexico und isolierte daraus acht HPAI A(H5N1)-Viren.
Die Autoren verglichen die Sequenzierungsergbnisse dieser HPAI A(H5N1)-Milchvirus-Isolate mit öffentlich zugänglichen Datenbanken. Die von Kühen und aus Milch isolierten Viren bilden eine genetisch
verwandte Klade, die viele kleinere Kladen von Viren umfasst, die von Katzen, Waschbären, Hühnern und Wildvögeln isoliert wurden. Die Phylogenie ist konsistent mit einem einzigen Eintrag der Viren in
die untersuchte Herde. Die in dieser Studie isolierten Viren gehören zur Klade der bereits publizierten Sequenzen von aus anderen Kühen isolierten HPAI A(H5N1)-Viren, einschließlich eines
menschlichen Isolats, A/Texas/37/2024.
Studien zum Maul- und Klauenseuche-Virus zeigten, dass die Hitzedenaturierung von viruspositiven Milchproben in Folge eine natürlichen Infektion höhere Temperaturen oder längere Inkubationszeiten
(oder beides) erforderte als die Hitzedenaturierung von artifiziell mit Virus versetzter Milch, vermutlich weil Fettglobule und Kaseinmizellen die Viren in viruspositiven Milchproben infolge einer
natürlichen Infektion teilweise schützen könnten. Dementsprechend testeten die Autoren die Hitzedenaturierung von vier HPAI A(H5N1)-viruspositiven Milchproben (NM#93, NM#115, KS#3 und
KS#6).
Unverdünnte Milchproben wurden in einem PCR-Thermocycler bei 63 °C für 5, 10, 20 oder 30 Minuten oder bei 72 °C für 5, 10, 15, 20 oder 30 Sekunden inkubiert. Kontrollproben blieben unbehandelt. Die Hitzebehandlung bei 63 °C reduzierte die Virustiter unter die Nachweisgrenze des TCID50 (50 % tissue-culture infectious dose) Assays (1,5 log10/ml). Die Hitzebehandlung bei 72 °C wurde mit den Standardeinstellungen des PCR-Thermocyclers (d.h. vorgeheizter Deckel bei 105 °C) oder mit einem Metalldeckel (auf 72 °C erhitzt) durchgeführt, der den PCR-Block abdeckte. Nach der Hitzebehandlung wurden die Proben in embryonierte Hühnereier oder Madin-Darby-Hundeniere (MDCK)-Zellen zur Virusnachweis inokuliert. Unter diesen Bedingungen reduzierte die Hitzebehandlung für 15 oder 20 Sekunden die Virustiter um mehr als 4,5 Log-Einheiten, inaktivierte das Virus jedoch nicht vollständig. Die Autoren betonen, dass die in der Laborstudie verwendeten Bedingungen nicht identisch mit der großtechnischen industriellen Behandlung von Rohmilch sind.
Die Stabilität des HPAI A (H5N1)-Virus in Kuhmilch, die bei 4 °C gelagert wird, ist eine weitere wichtige Frage. Für die Milchprobe NM#93 wurde ein Rückgang von nur zwei Log-Einheiten über 5
Wochen festgestellt. HPAI A (H5N1)-Virus kann daher mehrere Wochen lang in roher Milch bei 4 °C infektiös bleiben.
Um das Risiko weiter zu bewerten, das HPAI A(H5N1)-positive Milch für Tiere und Menschen darstellt, wurden BALB/cJ-Mäuse oral mit 50 μl (3×10⁶ pfu) der Probe NM#93 inokuliert. Die Tiere zeigten ab Tag 1 Krankheitszeichen, darunter struppiges Fell und Lethargie. Alle Tiere überlebten bis Tag 4, an dem sie eingeschläfert wurden, um die Virustiter in mehreren Organen zu bestimmen.
Es wurden hohe Virustiter in den Atemwegen nachgewiesen (was darauf hindeutet, dass die Infektion über den Rachen erfolgt sein könnte) und moderate Virustiter in mehreren anderen Organen, was mit
den systemischen Infektionen übereinstimmt, die typischerweise durch HPAI H5-Viren bei Säugetieren verursacht werden. In den Milchdrüsen von zwei Mäusen zeigte sich eine hohe Viruslast - vergleichbar
mit der in der Kuhmilch -obwohl diese Mäuse nicht laktierend waren.
Folgerungen der Autoren
Zusammenfassend deuten die Daten darauf hin, dass HPAI A(H5N1)-Virus in unbehandelter Milch anfällige Tiere infizieren kann, die diese konsumieren. Zusammengefasst stellt HPAI H5-positive Milch ein
Risiko dar, wenn sie unbehandelt konsumiert wird, aber die Hitzedenaturierung unter den hier verwendeten Laborbedingungen reduziert die HPAI H5-Virustiter um mehr als 4,5 Log-Einheiten. Es ist jedoch
zu betonen, dass Laborversuche nicht die kommerziellen Pasteurisierungsprozesse widerspiegeln.
Kommentar der Herausgeber
Diese Studie zeigt, dass HPAI A(H5N1)-Virus in unbehandelter Milch infektiös bleibt und somit ein potenzielles Risiko für Tiere und Menschen darstellt. Eine Hitzebehandlung kann die Viruslast
erheblich reduzieren, jedoch ist weitere Forschung nötig, um die Wirksamkeit industrieller Pasteurisierungsmethoden zu bestätigen. Ein weiterer Grund, um vom Verzehr von Rohmilch abzuraten.
Guan, L. et al. Cow's Milk Containing Avian Influenza A(H5N1) Virus - Heat Inactivation and Infectivity in Mice. N Engl J Med. 2024;391(1):87-90. doi: 10.1056/NEJMc2405495
Nguyen, T.-Q. et al. Emergence and interstate spread of highly pathogenic avian influenza A(H5N1) in dairy cattle. bioRxiv [Preprint] 2024. doi: 10.1101/2024.05.01.591751
19.07.2024
Seit 2020 haben sich HPAI A(H5N1)-Viren der Klade 2.3.4.4b weltweit unter Wildvögeln ausgebreitet und zu Ausbrüchen bei Nutzgeflügel und anderen Tieren geführt. Kürzlich wurden Viren der Klade 2.3.4.4b in Milchkühen und in nicht pasteurisierten Milchproben in mehreren US-Bundesstaaten nachgewiesen. Die Autoren berichten über einen Fall einer HPAI A(H5N1) Virusinfektion bei einem Arbeiter auf einer Milchfarm in Texas.
Ende März 2024 entwickelte ein Milchfarmer Rötungen und Unbehagen im rechten Auge. Bei der Untersuchung am selben Tag wurden eine subkonjunktivale Blutung und dünner, seröser Ausfluss im rechten Auge
festgestellt. Die Vitalzeichen waren unauffällig, mit normaler Atemfunktion und einer Sauerstoffsättigung von 97 % bei Raumluft. Die Lungenauskultation war unauffällig. Fieber, Atemwegssymptomen,
Sehänderungen oder anderen Symptome lagen nicht vor. Der Arbeiter berichtete über keinen Kontakt mit kranken oder toten Wildvögeln, Geflügel oder anderen Tieren, jedoch über direkten und engen
Kontakt zu Milchkühen, die gesund erschienen, sowie zu kranken Kühen, die dieselben Krankheitsanzeichen wie Kühe auf anderen Milchfarmen in Nordtexas mit bestätigter HPAI A(H5N1)-Virusinfektion
zeigten (z.B. verminderte Milchproduktion, Appetitlosigkeit, Lethargie, Fieber und Dehydratation). Der Arbeiter gab an, beim Umgang mit Kühen Handschuhe zu tragen, aber keinen Atem- oder Augenschutz
zu verwenden.
Bindehaut- und Nasopharynx-Abstrichproben wurden vom rechten Auge für Influenzatests entnommen. Die Ergebnisse der Echtzeit-RT-PCR-Tests waren bei beiden Proben positiv für Influenza A- und A(H5)-Virus. Auf Basis des A(H5)-Ergebnisses wurde häusliche Isolation empfohlen und eine orale Behandlung mit Oseltamivir (75 mg zweimal täglich für 5 Tage) für den Arbeiter sowie zur Postexpositionsprophylaxe für die Haushaltskontakte des Arbeiters (gleiche Dosierung) verordnet. Am nächsten Tag berichtete der Arbeiter über keine Symptome außer Unbehagen in beiden Augen; bei einer erneuten Untersuchung zeigte sich eine subkonjunktivale Blutung in beiden Augen ohne Sehbeeinträchtigung. In den folgenden Tagen berichtete der Arbeiter über eine Besserung der Konjunktivitis. Atemwegssymptome traten auch im Verlauf nicht auf. Die Haushaltskontakte blieben gesund.
Auf Basis der Echtzeit-RT-PCR und Sequenzierung bestätigten die Centers for Disease Control and Prevention eine HPAI A(H5N1)-Virusinfektion in den am Tag des Symptombeginns entnommenen Bindehaut- und Nasopharynx-Abstrichproben. Zusätzliche klinische Proben für Influenzatests waren nicht verfügbar. Obwohl virale RNA aus der Nasopharynx-Abstrichprobe (Ct-Wert 33) unzureichende PCR-Amplifikate für die Sequenzierung ergab, bestätigten die vollständige Genomsequenzen aus der Bindehautabstrichprobe (Ct-Wert 18), dass das Virus zur Klade 2.3.4.4b (Genotyp B3.13) gehörte, und die erfolgreiche Virusisolierung aus beiden Abstrichproben ergab identische Viren. Alle Genabschnitte waren eng verwandt mit Viren, die in texanischen Milchkühen isoliert wurden und Genotyp B3.13 Viren, die in Wildvögeln in Texas im März 2024 nachgewiesen wurden. Sequenzdaten von vermutlich infizierten Kühen auf der Farm, auf der der Arbeiter tätig war, standen nicht zur Analyse zur Verfügung.
Virensequenzen von Kühen und vom Arbeiter wiesen hauptsächlich aviäre genetische Merkmale auf – es gab keine Veränderungen im Hämagglutinin-Gen, das die Rezeptorbindungsspezifität beeinflusst (z.B. Bindung an α2-6-verknüpfte Sialinsäure-Rezeptoren, die hauptsächlich im oberen menschlichen Respirationstrakt vorkommen) und das Übertragungsrisiko auf Menschen erhöhen könnte. Das im Abstrich des Arbeiters identifizierte Virus wies eine Mutation (PB2 E627K) auf, die mit der viralen Anpassung an Säugetierwirte assoziiert ist und zuvor bei Menschen und anderen Säugetieren, die mit HPAI A(H5N1)-Viren und anderen aviären Influenza A-Virus Subtypen infiziert waren, nachgewiesen wurde, einschließlich A(H7N9) und A(H9N2). Es wurden keine genetischen Marker gefunden, die mit einer verminderten Empfindlichkeit gegenüber von Neuraminidase-Inhibitoren assoziiert sind. Das Hämagglutinin des Virus war eng verwandt mit den zwei möglichen Virusisolaten für eine Impfstoffproduktion. Da Influenza A(H5N1)-Viren pandemisches Potenzial haben, stehen diese Impfviren den Herstellern zur Verfügung und könnten bei Bedarf zur Impfstoffproduktion verwendet werden.
Kommentar der Herausgeber
Dieser Fallbericht unterstreicht die Bedeutung der Überwachung von Zoonosen und der Einhaltung von Schutzmaßnahmen im Umgang mit potenziell infizierten Tieren. Die schnelle Diagnose und Behandlung
sowie die Einbindung von Haushaltskontakten sind entscheidend, um das Risiko einer weiteren Ausbreitung zu minimieren.
Uyeki, T. M. et al. Highly Pathogenic Avian Influenza A(H5N1) Virus Infection in a Dairy Farm Worker. N Engl J Med. 2024;390(21):2028-2029. doi: 10.1056/NEJMc2405371
19.07.2024
Mycoplasma pneumoniae ist eine häufige Ursache für Infektionen der unteren und oberen Atemwege, insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen. Charakteristisch sind auch extrapulmonale Symptome wie Erythema exsudativum multiforme und Enzephalitis. Es ist bekannt, dass durch M. pneumoniae verursachte Epidemien weltweit alle paar Jahre auftreten, wobei die letzte Epidemie in einigen europäischen Ländern im Jahr 2019/20 beobachtet wurde. Nach mehreren Jahren mit niedrigen Nachweisraten während der COVID-19 Pandemie wurde in den letzten Monaten des Jahres 2023 ein starker lokaler Anstieg der M.-pneumoniae-Nachweise sowie der M.-pneumoniae-bedingten Einweisungen in verschiedenen Regionen beobachtet.
Die nachfolgende niederländische Studie berichtet über den aktuellen Aufwärtstrend bei den M.-pneumoniae-Nachweisen in einem niederländischen Regionalkrankenhaus und vergleicht diesen mit
den nationalen und europäischen Trends. Um einen detaillierteren Einblick in die aktuelle Epidemiologie von M. pneumoniae zu gewinnen, wurden Daten aus dem Regionalen Gesundheitslabor
Kennemerland (Regional Public Health Laboratory Kennemerland/RPHLK) verwendet. Die Anzahl der M. pneumoniae-Nachweise (von 2017 bis 2023, 257 Nachweise aus 19.989 Tests) und
Krankenhausaufnahmen sowie demografische Daten der Patienten (Alter, Geschlecht, Aufnahmeanlass, Aufenthaltsdauer, Aufnahme auf eine Intensivstation (ICU) und weitere Infektionen) wurden gesammelt.
Eine Krankenhausaufnahme im Zusammenhang mit M. pneumoniae wurde definiert als der Nachweis von M. pneumoniae in einem naso- und/oder oropharyngealen (naso- and/or oropharyngeal
/NP/OP) Abstrich mittels PCR-Tests bis zu zwei Tage vor oder während der Aufnahme. Die aktuellen Daten wurden mit denen von 2019 und 2020, der letzten Periode mit lokal erhöhter M.
pneumoniae-Nachweisrate, verglichen.
Ein starker Anstieg der regionalen M. pneumoniae-Nachweise im Jahr 2023 begann im Oktober. Im Jahr 2023 wurden 133 Patienten mit M. pneumoniae-positiver PCR im Spaarne Gasthuis
(niederländische Klinik) festgestellt, mit einem Medianalter von 28 Jahren. 41,3 % Patienten waren jünger als 18 Jahre, wobei die meisten Kinder in der Alterskategorie 5-11 Jahre waren (n = 27). Bei
Erwachsenen wurden die meisten Nachweise in den jüngsten Alterskategorien gefunden: 18-29 Jahre (n = 16) und 30-39 Jahre (n = 22). Der Vergleich der M. pneumoniae-PCR-Positivität zwischen
2023 (4,1 %; 133/3.227) und 2019/2020 (1,0 %; 68/6.889) zeigte einen signifikanten Anstieg (p < 0,001).
Von den 133 Patienten wurden 81 (60,9 %) stationär aufgenommen, darunter 30 Kinder (37,0 %). Drei Patienten hatten extrapulmonale Manifestationen, alle anderen Patienten wurden mit einer Pneumonie
aufgenommen. Die mediane Hospitalisationsdauer betrug vier Tage und war bei Kindern deutlich kürzer als bei Erwachsenen (2,5 vs. 5 Tage; p < 0,001). Neun erwachsene Patienten (11,1 %) wurden auf
der Intensivstation aufgenommen, meist (n = 7) wegen Hypoxie, von denen drei mechanisch beatmet werden mussten. Vier Patienten wiesen Begleiterkrankungen auf, die möglicherweise zur Einweisung in die
Intensivstation beitrugen (d.h. Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Alkohol- und Drogenkonsum sowie neurologische Erkrankungen). 24 (18,0 %) Patienten mit M. pneumoniae
wiesen eine Koinfektion auf, insbesondere mit Rhinoviren (n = 10) und respiratorischen Synzytialviren (RSV) (n = 6) ohne Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen.
Im Vergleich dazu wurde M. pneumoniae in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt nur 68-mal nachgewiesen. In diesen Jahren war das mediane Alter signifikant höher: 40 Jahre im Vergleich zu 28
Jahren im Jahr 2023 (p = 0,005). Im Jahr 2023 wurde ein höherer Prozentsatz an Hospitalisationen beobachtet, obwohl knapp statistisch nicht signifikant (p = 0,085); auch der Prozentsatz der
Einweisungen auf der Intensivstation und die Hospitalisationsdauer unterschieden sich nicht signifikant. Auch national gab es Ende 2023 einen steilen Anstieg von M. pneumoniae und weitaus
mehr Fälle als in den Jahren 2019 und 2020.
Eine weitere Studie aus Frankreich berichtet ebenfalls über einen großflächigen Ausbruch von M. pneumoniae-Infektionen der Atemwege mit 218 Fällen (0,8 % von 26.449 getesteten Patienten) in
den Jahren 2023-2024 in Marseille. Das Bakterium zirkulierte ebenfalls vor allem bei Kindern im Alter von < 15 Jahren.
Auch aus den Vereinigten Staaten wurde von einem landesweiten Ausbruch besonders in großen urbanen Zentren von M.-pneumoniae-Infektionen in der ambulanten Bevölkerung im Jahr 2023 berichtet.
Die COVID-19-Pandemie hat die Saisonalität und die epidemiologische Landschaft verschiedener Erreger der Atemwege, einschließlich M. pneumoniae, verändert. Die Erhebungsdaten zeigen, dass
der jüngste Ausbruch von M. pneumoniae mit seiner höheren Prävalenz in der jüngeren Bevölkerung (0-20 Jahre) im Vergleich zu anderen Altersgruppen mit den Ausbrüchen des Erregers vor der
Pandemie vergleichbar ist. Andere respiratorische Erreger waren ähnlich häufig bei Patienten mit und ohne M. pneumoniae Nachweis. Die ICD10-Diagnosecodes erwiesen sich bei der korrekten
Feststellung von Atemwegsinfektionen bei einem Patienten als hochspezifisch, zeigten jedoch eine geringere Sensitivität bei der Identifizierung des verursachenden Organismus. Die ICD10 Kodierungen
deuten darauf hin, dass M. pneumoniae vorwiegend mit Infektionen der oberen Atemwege assoziiert war. Die COVID-19-Pandemie machte die Lücken in den öffentlichen Gesundheitsressourcen der
Vereinigten Staaten deutlich und unterstrich die Notwendigkeit, den Erreger von Atemwegsinfektionen korrekt zu identifizieren, um die Ausbreitung der Infektion und die Auswirkungen auf die
Lebensqualität der Bevölkerung zu minimieren. Angesichts der zunehmenden Bekanntheit der PCR als schnelle und zuverlässige Diagnosemethode zum Nachweis viraler und bakterieller Erreger unterstützt
diese Studie die kontinuierliche Überwachung häufiger und atypischer Erreger der Atemwege als Maßnahme der öffentlichen Gesundheit.
Folgerungen der Autoren
Die drei Studien dokumentieren einen starken Anstieg von M. pneumoniae Infektionen in Europa und Nordamerika, der Ende 2023 begonnen hat mit höheren Fallzahlen als in den letzten und
insbesondere den pandemischen Jahren. Sie zeigen die Bedeutung der Überwachung und Früherkennung von M. pneumoniae-Infektionen, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu ergreifen und die
öffentliche Gesundheit zu schützen. Um die derzeitige erhöhte Inzidenz genauer zu verstehen, sind Daten z.B. über den Schweregrad, zirkulierende Stämme und die Häufigkeit von Makrolidresistenz
wichtig.
Kommentar der Herausgeber
Die Mykoplasmen-Epidemiologie ist noch nicht gut verstanden. Diese Ausbruchsberichte sind wichtig, weil sie die Bedeutung von Surveillance unterstreichen und das Bewusstsein für diese oft protrahiert
verlaufenden Infektionen schärfen, die derzeit stark gehäuft auftreten. Ob immer Antibiotika notwendig sind, wird derzeit untersucht. Aus therapeutischer Sicht Doxycyclin gegenüber Makroliden bei
diesen Infektionen zu bevorzugen, weil Makrolidresistenzen global zunehmen. Auch empirisch ist Doxycyclin eine gute Option bei ambulant erworbenen Atemwegsinfektionen einschließlich Pneumonien.
Bolluyt, D. C. et al. Increased incidence of Mycoplasma pneumoniae infections and hospital admissions in the Netherlands, November to December 2023. Euro Surveill. 2024;29(4):2300724.
doi: 10.2807/1560-7917.ES.2024.29.4.2300724
Edouard, S. et al. Large-Scale Outbreak of Mycoplasma pneumoniae Infection, Marseille, France, 2023-2024; Emerg Infect Dis. 2024;30(7), published online first.
Upadhyay, P. et al. Mycoplasma pneumoniae Outbreak in 2023: Post-pandemic Resurgence of an Atypical Bacterial Pathogen. Cureus. 2024;16(4):e58757.
doi: 10.7759/cureus.58757
19.06.2024
Emblaveo® zur Behandlung von erwachsenen Patienten und Patientinnen mit komplizierten intraabdominellen Infektionen, nosokomial erworbenen Pneumonien – einschließlich beatmungsassoziierten Pneumonien – sowie komplizierten Harnwegsinfektionen, Pyelonephritis einbegriffen, wird nach aktuellem Stand im September 2024 in den deutschen Markt eingeführt. Um die Zeit bis zur Markteinführung zu überbrücken, hat Pfizer ein Härtefallprogramm für Aztreonam-Avibactam eingerichtet, dem das BfArM in Deutschland zugestimmt hat.
Weitere Informationen sind in der Übersicht der aktuell laufenden und bestätigten Arzneimittel-Härtefallprogramme des BfArM verfügbar: BfArM - Compassionate Use - Aktuell laufende und bestätigte Arzneimittel-Härtefallprogramme.
Eine Behandlung kann nur erfolgen, wenn nach definierten Kriterien nachgewiesen wird, dass keine zugelassenen Therapieoptionen für eine zufriedenstellende Behandlung der Infektion verfügbar sind.
Ärztinnen und Ärzte, die die Teilnahme einer Patientin oder eines Patienten planen, werden gebeten, eine entsprechende Anfrage direkt an Clinigen Healthcare Ltd., einem Spezialisten für die
Durchführung von Early Access Programmen, zu richten. Dies ist auf zwei Wegen möglich:
1. Per E-Mail an medicineaccess@clinigengroup.com, oder
2. Direkt über das Online-Portal ClinigenDirect: Log In (clinigengroup.com)
Für die Dokumentation aller patientenrelevanten Daten und die Bewertung der Eignung ist in jedem Fall eine Anmeldung über ClinigenDirect notwendig.
19.06.2024
Im März informierten wir Sie bereits über die interregionale Verbreitung und die dazugehörigen Maßnahmen von Vancomycin-resistenten Enterococcus faecium (VRE) in der Schweiz. Gerne möchten wir Ihnen ein Update über die momentane Situation geben.
Bitte beachten Sie das untenstehende Dokument mit allgemeinen Informationen und aktualisierten Empfehlungen.
Zum Berich [Stand: 31. Mai 2024]
19.06.2024
Infektionen der unteren Atemwege werden häufig mit Antibiotika behandelt, obwohl in vielen Fällen eine virale Ursache vorliegt. Es ist unklar, ob niedrige Procalcitonin-Spiegel Patienten unteren Atemwegsinfektionen identifizieren können, die nicht von Antibiotika profitieren. In der nachfolgend vorgestellten Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Azithromycin gegenüber Placebo bei der Behandlung unteren Atemwegsinfektionen bei Patienten mit niedrigem Procalcitonin untersucht.
Hierzu wurde eine randomisierte, doppelblinde, Studie in fünf US-Studienzentren durchgeführt. Eingeschlossen wurden Erwachsene mit klinischem Verdacht auf eine nicht-pneumonische Infektion der
unteren Atemwege – also einer Bronchitis – und einer Symptomdauer von mindestens 24 Stunden bis maximal 28 Tagen. Patienten mit einer Procalcitonin-Konzentration von 0,25 ng/ml oder weniger wurden
nach dem Zufallsprinzip (1:1) mit Stratifizierung nach Standort entweder einer oralen Azithromycin-Gabe von 500 mg an Tag 1, gefolgt von 250 mg täglich über 4 Tage oder einem entsprechenden Placebo
zugeteilt. Der primäre Endpunkt war die Wirksamkeit von Azithromycin im Vergleich zu Placebo in Bezug auf die klinische Verbesserung an Tag 5 in der Intention-to-Treat-Population. Die
Nichtunterlegenheitsmarge betrug 12,5 %. Unerwünschte Ereignisse wie Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, allergische Reaktionen oder Hefepilzinfektionen wurden als sekundärer Endpunkt erfasst.
Zwischen Dezember 2017 und März 2020 wurden 691 Patienten gescreent, 499 wurden eingeschlossen und nach dem Zufallsprinzip entweder Azithromycin (n = 249) oder Placebo (n = 250) zugewiesen. Eine
klinische Verbesserung an Tag fünf wurde bei 148 (63 %) von 238 Teilnehmenden mit vollständigen Daten in der Placebogruppe und bei 155 (69 %) von 227 Teilnehmenden mit vollständigen Daten in der
Azithromycin-Gruppe in der Intention-to-Treat-Analyse beobachtet. Die unerwünschten Ereignisse und der Schweregrad der unerwünschten Ereignisse unterschieden sich am Tag fünf nicht signifikant
zwischen den Gruppen, mit Ausnahme von verstärkten Bauchschmerzen unter Azithromycin 47 von 204 Teilnehmenden im Vergleich zu Placebo 35 von 221.
Folgerungen der Autoren
Placebo war bei Erwachsenen mit einer Infektion der unteren Atemwege und einer niedrigen Procalcitonin-Konzentration im Hinblick auf die klinische Verbesserung an Tag fünf nicht schlechter als
Azithromycin. Unter Berücksichtigung sowohl der Raten der klinischen Verbesserung als auch der unerwünschten Ereignisse an Tag fünf ist unklar, ob Antibiotika bei Patienten mit unteren
Atemwegsinfektionen und niedrigem Procalcitonin indiziert ist.
Kommentar der Herausgeber
Diese Studie unterstützt das Konzept, dass bei Erwachsenen mit Atemwegsinfektionen und niedrigem Procalcitonin auf Antibiotika verzichtet werden kann, ohne das Risiko für schlechteren Verlauf zu
erhöhen.
Tsalik, E. L. et al. Efficacy and safety of azithromycin versus placebo to treat lower respiratory tract infections associated with low procalcitonin: a randomised, placebo-controlled, double-blind, non-inferiority trial. Lancet Infect Dis. 2023;23(4):484-495. doi: 10.1016/S1473-3099(22)00735-6
22.05.2024
In der aktuellen Episode ihrer Podcast-Reihe „Wissenschaft trifft Praxis“ beleuchtet Sybille Somogyi die momentane Situation rund um das Masernvirus. Als Referentin für Infektionsschutz und Hygiene spricht sie mit ihren Gästen, Prof. Dr. Annette Mankertz und Dr. Dorothea Matysiak-Klose, über den Fortschritt bei der Eliminierung der Masern in Deutschland. Zudem thematisieren sie, ob die endemische Übertragung des Masernvirus dauerhaft unterbrochen werden kann und wie man eine Impfreaktion von einer tatsächlichen Masernerkrankung unterscheiden kann.
22.05.2024
Die European Medicines Agency (EMA) hat empfohlen, eine Marktzulassung in der Europäischen Union (EU) für Emblaveo (Aztreonam-Avibactam) zu gewähren. Das Medikament ist indiziert zur Behandlung
von komplizierten intraabdominalen und Harnwegsinfektionen, nosokomialer Pneumonie und Infektionen, die durch bestimmte Arten von Bakterien (aerobe Gram-negative) verursacht werden, wenn
Behandlungsoptionen begrenzt sind.
Infektionen durch multi-resistente Gram-negative Bakterien, stellen ein ernstes Problem für die öffentliche Gesundheit dar, da die Patienten nur begrenzte oder manchmal gar keine
Behandlungsmöglichkeiten haben. Infektionen durch multiresistente Bakterien verursachen in der EU schätzungsweise 35.000 Todesfälle pro Jahr.
Emblaveo ist eine fest-dosierte Kombination von zwei Wirkstoffen, Aztreonam und Avibactam. Aztreonam ist bereits einzeln für die Anwendung in der EU zugelassen, und Avibactam ist für die Anwendung in
Kombination mit einem anderen Antibiotikum (Ceftazidim) zugelassen. Aztreonam ist ein Monobactam-Antibiotikum, das zur Gruppe der β-Lactame gehört. Es verhindert, dass die Bakterien ihre Zellwände
aufbauen und ist gegenüber den β-Lactamasen der Ambler Klasse B (Metallo-β-Lactamasen, MBL) stabil.
Avibactam blockiert die Wirkung vieler β-Lactamasen der Ambler-Klassen A, C und D. Diese Enzyme ermöglichen es den Bakterien, β-Lactam-Antibiotika wie Aztreonam abzubauen, wodurch sie gegen die
Wirkung des Antibiotikums resistent werden. Durch die Blockierung dieser Enzyme stellt Avibactam die Wirkung von Aztreonam gegen Aztreonam-resistente Bakterien wieder her.
Emblaveo kann als Infusion verabreicht werden.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use / CHMP) der EMA hat festgestellt, dass die Vorteile von Emblaveo die Risiken für Patienten mit Infektionen durch
Gram-negative Bakterien überwiegen, wenn es nur wenige therapeutischen Optionen gibt. Aztreonam hat sich als wirksam bei der Behandlung einer Reihe schwerwiegender Infektionen erwiesen.
Mikrobiologische Daten deuten darauf hin, dass Aztreonam in Kombination mit Avibactam bei Infektionen durch viele multi-resistente Gram-negative Erreger wirksam sein wird.
Emblaveo wurde im Rahmen des beschleunigten Bewertungsverfahrens der EMA evaluiert, da es als eine Substanz von erheblichem öffentlichem Gesundheitsinteresse angesehen wird.
Die Empfehlung der EMA basiert auf den bereits verfügbaren Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten für jeden Wirkstoff sowie den Ergebnissen zweier randomisierter Phase-III-Studien, die vom Hersteller
eingereicht wurden. Die Studien waren nicht darauf ausgelegt, Wirksamkeit nachzuweisen, liefern jedoch Sicherheitsdaten für die Kombination. Dies entspricht den Leitlinien der EMA, die einen
flexiblen Ansatz bei der Entwicklung neuer Antibiotika ermöglichen, die auf multiresistente Erreger abzielen. Die häufigsten Nebenwirkungen von Emblaveo waren Anämie, erhöhte Lebertransaminasen und
Durchfall. Dies steht im Einklang mit den dokumentierten Sicherheitsinformationen für jede der beiden Einzelsubstanzen.
Die vom CHMP verabschiedete Stellungnahme ist ein Zwischenschritt in der Zulassung. Die Stellungnahme wird nun an die Europäische Kommission weitergeleitet, um eine Entscheidung über eine EU-weite
Marktzulassung zu treffen. Sobald eine Marktzulassung erteilt wurde, werden Entscheidungen über Preis und Erstattung auf der Ebene jedes Mitgliedstaats getroffen, wobei die potenzielle Rolle oder
Verwendung dieses Arzneimittels im Rahmen des nationalen Gesundheitssystems des jeweiligen Landes berücksichtigt wird.
Folgerung der Autoren
Emblaveo, eine Kombination aus Aztreonam und Avibactam, hat das Potenzial, eine Lücke in der Behandlung schwerer Infektionen durch MRGN zu schließen. Die Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten sowie Phase-III-Studien stützen diese Empfehlung, obwohl sie primär auf Sicherheit abzielen und nicht speziell die Wirksamkeit nachweisen. Die Durchführung einer beschleunigten Bewertung reflektiert die Dringlichkeit dieser Situation. Auch wenn die Empfehlung einen Schritt in Richtung Zulassung darstellt, müssen noch weitere Entscheidungen bezüglich der Preisgestaltung und Erstattung getroffen werden.
European Medicines Agency (EMA). New antibiotic to fight infections caused by multidrug-resistant bacteria. published online Mar 22, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/news/new-antibiotic-fight-infections-caused-multidrug-resistant-bacteria [23.04.2024]
24.04.2024
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat sich in seiner Sitzung vom 22. Februar 2024 für die Zulassung von zwei Impfstoffen gegen den Influenza-Subtyp A (H5N1) ausgesprochen. Celldemic® und Incellipan® von der Firma Sequirus sollen zur aktiven Immunisierung gegen H5N1 („Vogelgrippe“) bei Erwachsenen und Säuglingen ab sechs Monaten eingesetzt werden können.1,2
Mit dem Begriff „Vogelgrippe“ ist in erster Linie die aviäre Influenza gemeint, eine durch Influenza-A-Viren bei Vögeln ausgelöste Erkrankung. Die Zirkulation verschiedener H5-Viren, darunter die für Vögel hochpathogenen Influenza-Viren A(H5N1), A(H5N8) und A(H5N6), hat in der Vergangenheit wiederholt zu Ausbrüchen in Wildvogel- und Geflügelpopulationen, teilweise auch bei Säugetieren, geführt. Typischerweise ist die Übertragungsrate dieser Viren auf den Menschen eher gering, allerdings kann eine erfolgte Infektion zu schweren Krankheitsverläufen führen. In Deutschland wurden bislang keine Fälle von aviärer Influenza beim Menschen gemeldet. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wurden weltweit seit 2003 über 2600 humane Erkrankungen und 1100 Todesfälle mit aviärer Influenza verzeichnet.3
Bei Celldemic® und Incellipan® handelt es sich um adjuvantierte Proteinimpfstoffe, die 7,5 µg der Oberflächenantigene Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) pro Dosis enthalten. Hämagglutinin und Neuraminidase sind beim natürlichen Virus essenziell für das Eindringen in die Wirtszelle und die Freisetzung neu gebildeter Viruspartikel. Beide Glykoproteine kommen in unterschiedlichen Varianten vor (H1, H2, etc.), anhand derer die Einteilung der Influenza-A-Viren in die verschiedenen Subtypen erfolgt. Für die beiden Impfstoffe werden diese Antigene aus inaktivierten A/turkey/Turkey/1/2005 (H5N1)-ähnlichen Viren (NIBRG 23) gewonnen, die in Madin-Darby-Canine-Kidney (MDCK)-Zellkulturen gezüchtet werden. Um die Immunantwort zu verstärken, wird das Adjuvans M59C.1 eingesetzt. Für die Ausbildung einer robusten Immunantwort, ist die Applikation von zwei Impfstoffdosen im Abstand von drei Wochen erforderlich.1-4
Der Unterschied zwischen den beiden Impfstoffen liegt in ihrem vorgesehenen Einsatzzeitpunkt. Während Celldemic® als zoonotischer Influenza-Impfstoff künftig bereits zum Einsatz kommen soll, wenn bei Ausbrüchen der aviären Influenza eine mögliche Pandemie erwartet wird (präpandemisch), soll Incellipan® als Influenza-Pandemieimpfstoff nur bedingt zugelassen werden. Letzteres bedeutet, dass Incellipan® erst verwendet werden darf, wenn die Grippepandemie offiziell ausgerufen wurde (pandemisch). In diesem Fall erfolgt auf Grundlage der Musterzulassung eine Anpassung des Impfstoffs an den pandemieauslösenden Virusstamm und die „endgültige“ Zulassung kann in einem beschleunigten Verfahren schneller durchlaufen werden, da die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit bereits mit anderen potenziellen Pandemiestämmen geprüft wurden.1,2,5
Mit beiden Impfstoffen konnte eine robuste Immunantwort bei Erwachsenen und Kindern drei Wochen nach der Verabreichung der zweiten Impfstoffdosis erreicht werden. Celldemic® und Incellipan® sind gut verträglich, bei Erwachsenen traten nach der Impfung am häufigsten lokale Reaktionen wie Schmerzen an der Injektionsstelle und allgemeine Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Unwohlsein sowie Muskel- und Gelenkschmerzen auf. Ähnliche Reaktionen zeigten sich auch bei Kindern, dabei wurde zusätzlich auch über Appetitlosigkeit, Übelkeit, Fieber, Reizbarkeit und Veränderung der Essgewohnheiten berichtet.1,2
Auch wenn derzeit nicht davon ausgegangen wird, dass sich die aviäre Influenza zeitnah zu einem Pandemierisiko für die Allgemeinbevölkerung entwickelt, werden dennoch entsprechende Vorbereitungen getroffen. Celldemic® und Incellipan® sind aber nicht die ersten Impfstoffe für den präpandemischen bzw. pandemischen Einsatz. Ein Vorteil der neuen Impfstoffkandidaten liegt jedoch vor allem in der Skalierbarkeit der Produktion, wodurch im Vergleich zur Virusvermehrung in Hühnereiern in kürzerer Zeit größere Mengen Impfstoff produziert werden könnten. Durch die Verwendung von Säugetierzellkulturen wird wegen der höheren Ähnlichkeit zum humanen Wirtsorganismus eine geringere Virusmodifikation und damit eine gesteigerte Impfstoffwirksamkeit angenommen.6
Für die endgültige Zulassung ist noch die Zustimmung der EU-Kommission ausstehend. Doch auch dann ist der zukünftige Einsatz beider Vakzine noch ungewiss. Laut aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sollen Personen mit einem erhöhten Expositionsrisiko durch aviäre Influenza A lediglich gegen humane Influenzaviren geimpft werden.7
1 European Medicines Agency (EMA). Celldemic – summary of opinion. EMA/71755/2024; published online Feb 23, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-celldemic_en.pdf
2 European Medicines Agency (EMA). Incellipan – summary of opinion. EMA/71759/2024; published online Feb 23, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-incellipan_en.pdf
3 Robert Koch Institut (RKI). RKI zu humanen Erkrankungen mit aviärer Influenza (Vogelgrippe); published online Nov 6, 2023. URL: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/Z/ZoonotischeInfluenza/Vogelgrippe.html [11.04.2024]
4 Robert Koch Institut (RKI). Influenza (Teil 1): Erkrankungen durch saisonale Influenzaviren- RKI-Ratgeber; published online Jan 19, 2018. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Influenza_saisonal.html [11.04.2024]
5 European Medicines Agency (EMA). Vaccines for pandemic influenza; published online. URL: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory-overview/public-health-threats/pandemic-influenza/vaccines-pandemic-influenza [11.04.2024]
6 Gärtner, B. C. et al. Zellkulturbasierte Influenzaimpfstoffe: eine effektive Impfstoffoption für unter 60-Jährige. Wien Klin Wochenschr 2024;136(Suppl 2):35-42. doi: 10.1007/s00508-024-02327-3
7 Robert Koch Institut (RKI). Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Prävention bei Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko durch (hochpathogene) aviäre Influenza A/H5; published
online Feb 23, 2024. URL: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/Z/ZoonotischeInfluenza/Empfehlungen_1.pdf?__blob=publicationFile [11.04.2024]
24.04.2024
Zu einem der wichtigsten Infektionspräventionsmaßnahmen gehört die Händehygiene. Aus diesem Grund wird jedes Jahr am 5. Mai die Aufmerksamkeit auf den Internationalen Tag der Händehygiene gelenkt, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Händehygiene bei der Verhinderung von Infektionen zu stärken. Händewaschen ist eine einfache, aber wirksame Methode zur Prävention und Verringerung der Übertragung von Krankheitserregern, wie Viren und Bakterien, die Infektionen verursachen können. Dies ist besonders wichtig in Gesundheitseinrichtungen, in denen Patient:innen, Mitarbeitende und Besuchende einem erhöhten Risiko für Infektionen ausgesetzt sein können. Das Datum des 5.5. soll hierbei die fünf Finger jeder Hand symbolisieren.
Auch in diesem Jahr begleitet die WHO den 5. Mai mit der Kampagne „SAVE LIVES: Clean Your Hands” (RETTE LEBEN: säubere deine Hände). Der diesjährige Slogan lautet „Why is sharing knowledge about hand hygiene still so important? Because it helps stop the spread of harmful germs in healthcare.” („Warum ist die Vermittlung von Wissen über die Händehygiene immer noch so wichtig? Weil sie dazu beiträgt, die Ausbreitung schädlicher Keime im Gesundheitswesen zu verhindern.“).
Die Ziele des World Hand Hygiene Day 2024 sind:
24.4.2024
Bei Patienten mit akuter Hirnverletzung besteht ein hohes Risiko einer beatmungsassoziierten Pneumonie (ventilator-associated pneumonia/VAP). Der Nutzen einer kurzen Antibiotikaprophylaxe ist nach wie vor umstritten. Das Ziel in der nachfolgenden vorgestellten Studie war es, die Wirkung einer frühen Einzeldosis des Antibiotikums Ceftriaxon auf das Auftreten einer frühen VAP bei Patienten mit schweren Hirnverletzungen, die mechanisch beatmet werden mussten, zu untersuchen.
Hierzu wurde eine multizentrische und randomisierte Studie in acht französischen Universitätskliniken durchgeführt. Nach dem Zufallsprinzip wurden komatöse (Glasgow Coma Scale score [GCS] ≤ 12)
erwachsene Patienten (Alter ≥ 18 Jahre), die nach einer akuten Hirnverletzung mindestens 48 Stunden lang mechanisch beatmet werden mussten, innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Trachealintubation
einmalig mit 2 g Ceftriaxon oder Placebo behandelt. Die Patienten erhielten keine selektive Dekontamination des Oropharynx und des Verdauungstrakts. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten,
die zwischen dem 2. und 7. Tag der mechanischen Beatmung eine frühe VAP entwickelten, die von maskierten Prüfern bestätigt wurde. Die Analyse wurde in der modifizierten Intention-to-Treat-Population
durchgeführt, die alle nach dem Zufallsprinzip zugewiesenen Patienten umfasste.
Von Oktober 2015 bis Mai 2020 wurden 345 Patienten nach dem Zufallsprinzip (1:1) Ceftriaxon (n = 171) oder Placebo (n = 174) zugewiesen; 330 erhielten die zugewiesene Intervention und 319 wurden in
die Analyse aufgenommen (162 in der Ceftriaxon-Gruppe und 157 in der Placebo-Gruppe). In der analysierten Patientengruppe waren 153 (48 %) Frauen. 15 Patienten erhielten nach der Randomisierung nicht
die zugewiesene Intervention und 11 zogen ihre Einwilligung zurück. Die Auswertung bestätigte 93 Fälle von VAP, darunter 74 frühe Infektionen. Die Inzidenz der frühen VAP war in der Ceftriaxon-Gruppe
signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (23 [14 %] gegenüber 51 [32 %], p = 0,030), wobei Ceftriaxon keine mikrobiologischen Auswirkungen und keine unerwünschten Wirkungen zuzuschreiben
waren. Interessant war insbesondere, dass in der Ceftriaxon-Gruppe auch die sekundären Endpunkte bis zum Tag 28 signifikant besser abschnitten: Es gab weniger VAP, mehr Beatmungs-freie Tage, mehr
Antibiotika-freie Tage (21 vs. 15, p < 0,0001) und auch die Mortalität war niedriger (15 % vs. 25 %).
Folgerung der Autoren
Bei Patienten mit akuten Hirnverletzungen verringerte eine einzige Ceftriaxon-Dosis das Risiko einer frühen VAP. Auf Basis der Studienergebnisse wird empfohlen, dass eine frühe Einzeldosis Ceftriaxon in die VAP-Präventions-Bündel bei Patienten mit Hirnverletzungen, die mechanisch beatmet werden müssen, aufgenommen werden sollte.
Kommentar der Herausgeber
Diese Studie unterstützt frühere kleinere Untersuchungen dahingehend, dass eine Einmaldosis von Ceftriaxon bei beatmeten Patienten mit akuter Hirnverletzung sinnvoll sein dürfte. Nicht nur war die Rate von VAP niedriger, sondern konnten mit einer Mortalitätsreduktion und einer Reduktion des Antibiotikaverbrauchs zwei entscheidende Vorteile aufgezeigt werden.
Dahyot-Fizelier C. et al. Ceftriaxone to prevent early ventilator-associated pneumonia in patients with acute brain injury: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, assessor-masked superiority trial. Lancet Respir Med. 2024; published online first Jan 19, 2024. doi: 10.1016/S2213-2600(23)00471-X
13.03.2024
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA sprach sich in seiner Sitzung vom 25. Januar 2024 für die Zulassung des neuen Antibiotikums Exblifep® aus. Das Arzneimittel von Advanz Pharma Limited soll zur Behandlung von komplizierten Harnwegsinfektionen und nosokomialer Pneumonien bzw. damit assoziierter Bakteriämien eingesetzt werden.1
Die zunehmende Prävalenz von β-Lactamasen mit erweitertem Spektrum (ESBL) stellt eine bedeutende Herausforderung für die antimikrobielle Therapie dar. Diese Enzyme sind in der Lage, die meisten β-Lactam-Antibiotika zu hydrolysieren, einschließlich Cephalosporine der 3. und 4. Generation, und können so den vermehrten Einsatz von Reservesubstanzen wie Carbapenemen erforderlich machen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sind neue therapeutische Optionen erforderlich. Eine Strategie besteht darin, β-Lactame mit neuartigen β-Lactamase-Hemmern zu kombinieren, die die antibakterielle Aktivität gegen β-Lactam-resistente Erreger wiederherstellen können.2,3
Exblifep® enthält den bekannten Wirkstoff Cefepim, ein Cephalosporin der 4. Generation, das durch die Hemmung der Peptidoglykan-Zellwandsynthese bakterizid wirkt und ein breites Wirkspektrum gegen Gram-negative Erreger aufweist. Kombiniert wird Cefepim mit dem neuen Wirkstoff Enmetazobactam, welches als β-Lactamase-Inhibitor die Hydrolyse von Cefepim verhindert. Enmetazobactam (= N-Methyl-Tazobactam) ist eine strukturelle Weiterentwicklung von Tazobactam. Die Methylierung des Tazobactam-Moleküls ist mit Vorteilen hinsichtlich der Zellpenetration assoziiert, wodurch es die Wirksamkeit von Cefepim gegen ESBL der Ambler-Klasse A wiederherstellen kann. Exblifep® soll als Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung mit 2g Cefepim und 0,5g Enmetazobactam erhältlich sein.1-3
Das neue Antibiotikum wurde in der randomisierten, kontrollierten und doppelblinden Phase-III-Studie ALLIUM an Erwachsenen mit kompliziertem Harnwegsinfekt einschließlich Pyelonephritis einer Therapie mit Piperacillin-Tazobactam gegenübergestellt. Die 1041 eingeschlossenen Patienten wurden 1:1 randomisiert und erhielten entweder Piperacillin-Tazobactam (4,5 g i.v. alle 8 h) oder Cefepim-Enmetazobactam (2,5 g i.v. alle 8 h) über einen Zeitraum von mindestens 7 bis maximal 14 Tagen. Der primäre Endpunkt war erreicht, wenn die Patienten am 14. Tag nach Beginn der Therapie klinisch geheilt waren und die initiale Bakterienlast im Urin auf < 103 koloniebildende Einheiten/ml gesenkt werden konnte. In die Auswertung des Endpunkts gingen die Ergebnisse von 678 Patienten ein. Dabei erreichten 273 von 345 Patienten unter Cefepim-Enmetazobactam (79,1 %) und 196 von 333 Patienten (58,9 %) unter Piperacillin-Tazobactam den aus klinischer Heilung und mikrobiologischer Eradikation zusammengesetzten Endpunkt. Das neue Antibiotikum erfüllte mit einer Differenz von 21,2 Prozentpunkten (95 % Konfidenzintervall 14,3 % – 27,9 %) die Anforderungen einer Nicht-Unterlegenheit gegenüber Piperacillin-Tazobactam. Bei differenzierter Betrachtung zeigte sich an Tag 14 insbesondere eine signifikant höhere mikrobiologische Eradikationsrate unter Cefepim-Enmetazobactam (82,9 % vs. 64,9 %), während es bei den klinischen Heilungsraten aber keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen gab (92,5 % vs. 88,9 %).3
Behandlungsbedingte Nebenwirkungen waren im Allgemeinen leicht und traten etwas häufiger unter Cefepim-Enmetazobactam auf. Das Nebenwirkungsprofil des neuen Antibiotikums umfasst am häufigsten Schmerzen und Entzündungen an der Infusionsstelle, Durchfall, Hautausschlag und Kopfschmerzen.1,3
Die Kombination von Cefepim mit dem neuen β-Lactamase-Inhibitor Enmetazobactam stellt eine vielversprechende neue Therapieoption bei Infektionen mit ESBL-Bildner dar. In der ALLIUM-Studie waren allerdings insgesamt nur 142 Patienten mit ESBL-bildenden Keimen vertreten, innerhalb derer mehr Patienten unter der neuen Kombination den primären Endpunkt erreichten als unter Piperacillin-Tazobactam. Im Rahmen einer spanischen Untersuchung wurde die Aktivität von Cefepim in Kombination mit verschiedenen neuartigen β-Lactamase-Inhibitoren gegen carbapenemaseproduzierende Enterobacterales-Isolate getestet. Durch die Hinzunahme von Enmetazobactam konnte u.a. eine Verbesserung der Aktivität gegenüber OXA-48-produzierenden Isolaten gezeigt werden, auch wenn diese im Vergleich mit anderen getesteten β-Lactamase-Inhibitoren am geringsten ausfiel.4
Es sind jedoch noch weitere Daten notwendig, um den zukünftigen Stellenwert und den potenziellen Beitrag zur Einsparung des Carbapenemeinsatzes von Cefepim-Enmetazobactam zu beurteilen. Nach der positiven Stellungnahme des CHMP ist noch die Zustimmung der EU-Kommission für die endgültige Entscheidung über das Inverkehrbringen nötig.
1 European Medicines Agency (EMA). Exblifep-summary of opinion. EMA/CHMP/15483/2024; published online Jan 25, 2024. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-exblifep_en.pdf
2 Papp-Wallace K.M. et al. Beyond piperacillin-tazobactam: cefepime and AAI101 as a potent β-lactam− β-lactamase inhibitor combination. Antimicrob Agents Chemother. 2019;63(5):e00105-19. doi: 10.1128/aac.00105-19
3 Kaye K.S. et al. Effect of cefepime/enmetazobactam vs piperacillin/tazobactam on clinical cure and microbiological eradication in patients with complicated urinary tract infection or acute pyelonephritis: a randomized clinical trial. Jama. 2022;328(13):1304-14. doi: 10.1001/jama.2022.17034
4 Vázquez-Ucha J.C. et al. Assessment of Activity and Resistance Mechanisms to Cefepime in Combination with the Novel β-Lactamase Inhibitors Zidebactam, Taniborbactam, and
Enmetazobactam against a Multicenter Collection of Carbapenemase-Producing Enterobacterales. Antimicrob Agents Chemother. 2022;66(2):e0167621. doi: 10.1128/AAC.01676-21
13.03.2024
Am 16. Februar informiert Swissnoso im Namen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SSI), der Schweizerischen Gesellschaft für Spitalhygiene (SGSH) und dem Nationalen Referenzlaboratorium zur Früherkennung und Überwachung neuartiger Antibiotikaresistenzen (NARA) über das vermehrte Auftreten und die schnelle interregionale Verbreitung von Vancomycin-resistenten Enterococcus faecium (VRE) vanA ST612 in der Schweiz.
Ein bedeutendes Merkmal dieses VRE vanA ST612 ist die verminderte Empfindlichkeit gegenüber Daptomycin, was die antibiotische Therapie bei einer Infektion beeinträchtigen kann. Bitte
beachten Sie die ausführliche Warnung des NARA vom 13. Februar 2024.
Zwischen Juli 2022 und Dezember 2023 wurden in fünf Kantonen verwandte Isolate (n = 35) identifiziert. Weitere Isolate mit VRE vanA ST612 wurden im Kanton St. Gallen entdeckt, jedoch steht der genetische Vergleich mit den Ausbruchsisolaten noch aus. Insgesamt wurden 40-50 Patienten identifiziert, hauptsächlich als Träger.
Derzeit liegen nur begrenzte epidemiologische Informationen vor, da die interregionale Verbreitung erst kürzlich erkannt wurde. Angesichts der Ausbreitung dieser eng verwandten Isolate muss davon
ausgegangen werden, dass es ein unbekanntes Reservoir gibt.
Die vorläufigen Empfehlungen von Swissnoso zum Umgang mit diesem Erreger sind folgend im Detail nachzulesen:
Zur Meldung (Stand: 16. Februar 2024)
Eine Anpassung der Empfehlungen wird fortlaufend je nach Entwicklung der epidemiologischen Lage angepasst. Bei weiteren Fragen kontaktieren Sie bitte das BAG über media@bag.admin.ch.
13.03.2024
Die Fähigkeit von Antituberkulosemedikamenten, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und das zentrale Nervensystem zu erreichen, ist entscheidend für ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Tuberkulose-Meningitis (TBM). In einer Studie wurde versucht, eine wichtige Wissenslücke zu schließen und Daten über die Fähigkeit neuer Antituberkulosemedikamente in die Zerebrospinalflüssigkeit (CSF) einzudringen zu erheben.
Von Januar 2019 bis Januar 2020 wurde hierzu eine klinisch-pharmakologische Studie bei Patienten durchgeführt, die in Tiflis, Georgien, wegen TBM behandelt wurden. Serielle Serum- und Liquorproben
wurden während des Krankenhausaufenthalts der Patienten entnommen.
Insgesamt wurden 17 wegen TBM behandelte Patienten (8 mit bestätigter Erkrankung) eingeschlossen; alle erhielten Linezolid, ein Teil zusätzlich Cycloserin, Clofazimin, Delamanid und Bedaquilin. Alle
Liquormessungen von Bedaquilin, Clofazimin und Delamanid lagen unterhalb der Nachweisgrenze. Die medianen Liquorkonzentrationen von Cycloserin betrugen nach 2 bzw. 6 Stunden 15,90 und 15,10 µg/ml mit
einem adjustierten Liquor/Serum-Verhältnis von 0,52 und 0,66. Die Liquorkonzentrationen von Linezolid betrugen 0,90 und 3,14 µg/ml nach 2 bzw. 6 Stunden, mit einem adjustierten
Liquor/Serum-Verhältnis von 0,25 bzw. 0,59. Die Liquor-Serum-Konzentrationen von Linezolid wurden durch die gleichzeitige Verabreichung von Rifampin nicht beeinflusst.
Folgerung der Autoren
Die Studie zeigt eine geringe Liquor-Penetration von Bedaquilin, Clofazimin und Delamanid und im Gegensatz dazu eine mäßige bis hohe Liquor-Penetration von Linezolid bzw. Cycloserin. Die
Ergebnisse legen nahe, dass Linezolid und Cycloserin vielversprechende Optionen für die Behandlung von TBM sind, insbesondere bei multiresistenten Isolaten, bei denen ein erfolgreicher Ausgang die
seltene Ausnahme ist.
Kempker, R. R. et al. Cycloserine and Linezolid for Tuberculosis Meningitis: Pharmacokinetic Evidence of Potential Usefulness. Clin Infect Dis. 2022; 75(4):682-689. doi: 10.1093/cid/ciab992
14.02.2024
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt nun die Impfung aller Säuglinge ab dem Alter von 2 Monaten gegen Meningokokken der Serogruppe B (MenB) mit dem Impfstoff 4CMenB (Bexsero). Trotz der Seltenheit invasiver MenB-Erkrankungen ist deren Verlauf oft schwerwiegend, besonders bei Säuglingen und Kleinkindern unter 5 Jahren, mit dem höchsten Risiko im ersten Lebensjahr. Die STIKO schlägt vor, die Impfserie frühzeitig mit drei Dosen nach dem 2+1 Schema zu beginnen: im Alter von 2, 4 und 12 Monaten, ergänzt durch Nachholimpfungen bis zum 5. Geburtstag.
Aus Praktikabilitätsgründen soll diese zusätzliche Impfung möglichst zusammen mit anderen, für diesen Zeitpunkt empfohlenen Impfungen erfolgen. Obwohl die Koadministration verschiedener Impfstoffe sicher ist, kann sie zu verstärkten Impfreaktionen wie Fieber oder Schmerzen führen. Besonders der Bexsero-Impfstoff verursacht häufig Fieber, weshalb eine prophylaktische Gabe von Paracetamol bei Kindern unter 2 Jahren empfohlen wird, um Fieber zu vermeiden. Diese Paracetamol-Prophylaxe, die zeitgleich mit der Impfung beginnen sollte, beeinträchtigt nicht die Immunantwort.
Die Einführung der MenB-Impfung als Standard für Säuglinge zielt darauf ab, die Zahl invasiver Meningokokken-Erkrankungen zu senken und schwere Erkrankungsfolgen bei Säuglingen und Kleinkindern zu verhindern. Diese Empfehlung erweitert die bisherige Indikationsimpfung für bestimmte Risikogruppen und trägt zum besseren individuellen Schutz bei.
14.02.2024
In Deutschland wurde seit September 2023 eine Zunahme von Ralstonia pickettii-Nachweisen beobachtet, die mit einem nosokomialen Ausbruch in Australien in Verbindung steht. Die Weltgesundheitsorganisation informierte am 12. Dezember 2023 über diesen Ausbruch. R. pickettii, ein Gram-negatives, opportunistisch pathogenes Bakterium, kann vor allem bei Immunsupprimierten und Menschen mit Zystischer Fibrose Infektionen auslösen. Kontaminierte Kochsalzlösungen wurden als Infektionsquelle identifiziert. In Australien wurden über 40 Fälle gemeldet, zurückgeführt auf Kochsalzlösung eines indischen Herstellers, was zu einem Rückruf und Auslieferungsstopp führte. Die Produkte dieses Herstellers sind auch in der EU erhältlich.
Die Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) registrierte 2023 in Deutschland 20 Fälle von R. pickettii, mit einem deutlichen Anstieg der Nachweise in Blutkulturen von September bis November. Erste Analysen zeigen geringfügige genetische Unterschiede zwischen den deutschen Isolaten und dem australischen Ausbruchsstamm. Eine direkte Verbindung zu den kontaminierten Produkten wurde bisher nicht festgestellt. Die Ermittlungen zu weiteren Fällen und potenzieller Produktkontamination laufen.
Es wird gebeten, alle R. pickettii-Nachweise an das zuständige Gesundheitsamt zu melden. Alle R. pickettii-Isolate mit Probenentnahme seit August 2023 sollten zunächst bis einschließlich 31.3.2024 zur Typisierung an das Konsiliarlabor für Mukoviszidose-Bakteriologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main gesendet werden.
14.02.2024
Hüftfrakturen sind die häufigsten Frakturen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Verwendung von Antibiotika-beladenem Knochenzement bei Hüftfrakturen, die mit einer Hemiarthroplastik behandelt werden, ist umstritten. In der nachfolgenden Studie war das Ziel, die Rate der tiefen postoperativen Infektionen bei Patienten zu vergleichen, die einen hochdosierten, mit zwei Antibiotika beladenen Zement im Vergleich zu Standardzement mit nur einem einzigen Antibiotikum erhielten.
In dieser randomisierten Studie wurden Personen im Alter von mindestens 60 Jahren mit einer Hüftfraktur untersucht, die in 26 britischen Krankenhäusern behandelt wurden. Die Patienten, die sich einer
zementierten Hemiarthroplastik unterzogen, wurden nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis 1:1 entweder einem Standardzement (Heraeus Palacos R+G Zement mit 0,5 g Gentamicin pro 40 g mix Zement,) oder
einem hochdosierten, mit zwei Antibiotika beladenen Zement (Heraeus Copal G+C Zement mit 1 g Gentamicin und 1 g Clindamycin pro 40 g mix Zement) zugewiesen. Sowohl die Patienten als auch die Prüfer
waren hinsichtlich der Behandlungsgruppe maskiert. Der primäre Endpunkt war eine tiefe postoperative Infektion innerhalb von 90 Tagen nach Randomisierung gemäß der Definition der US-Centers for
Disease Control and Prevention in einer randomisierten Population. Sekundäre Endpunkte waren Lebensqualität, Sterblichkeit, Antibiotikaverbrauch, Mobilität und Aufenthaltsstatus am Tag 120.
Zwischen August 2018 und August 2021 wurden 4936 Patienten nach dem Zufallsprinzip entweder der Standardversorgung mit einem mit Antibiotika beladenen Zement (2453 Patienten) oder einem hochdosierten, mit zwei Antibiotika beladenen Zement (2483 Patienten) zugewiesen. 38 (1,7 %) von 2183 Patienten mit Follow-up-Daten in der Gruppe mit einfach antibiotisch belastetem Zement hatten bis 90 Tage nach der Randomisierung eine tiefe Infektion der Operationsstelle, ebenso wie 27 (1,2 %) von 2214 Patienten in der Gruppe mit hochdosiertem dual antibiotisch belastetem Zement. Auch bei den sekundären Endpunkten gab es keinen Vorteil für den Dualantibiotika-beladenen Hochdosiszement.
Folgerung der Autoren
In dieser Studie führte die Verwendung von hochdosiertem, mit einem dualen Antibiotikum beladenen Zement nicht zu einer Verringerung der Rate tiefer postoperativer Infektionen bei Patienten im Alter von 60 Jahren oder älter, die eine Hemiarthroplastik nach einer intrakapsulären Hüftfraktur erhielten.
Kommentar der Herausgeber
Die ist die größte randomisierte Studie zu dieser Fragestellung, die den bisher aus Observationsstudien vermuteten Vorteil des Dualantibiotika-beladenen Hochdosiszements nicht bestätigen kann. Die Power dieser Studie war mit 90 % sehr hoch. Es gab auch keine Unterschiede in den sekundären Endpunkten Mobilität, Mortalität und Lebensqualität. Ob Clindamycin der beste Kombinationspartner in dieser Indikation war, ist allerdings fraglich.
Agni, N. R. et al. High-dose dual-antibiotic loaded cement for hip hemiarthroplasty in the UK (WHiTE 8): a randomised controlled trial. Lancet. 2023; 402(10397):196-202.
doi: 10.1016/S0140-6736(23)00962-5
17.01.2024
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat kürzlich die finale Version der OPS-Codes 2024 (Operationen- und Prozedurenschlüssel) veröffentlicht.
Laut dem BfArM wurden in die aktuelle Ausgabe 160 Anregungen von Kliniken, Krankenkassen, medizinischen Fachgesellschaften sowie vielen weiteren Organisationen im Gesundheitsweisen integriert, unter anderem auch für die Applikation von Reserveantibiotika (6-00g ff.)
Eine Übersicht über die Applikation von Medikamenten, unter anderem von Reserveantibiotika, finden Sie hier.
17.01.2024
Die große Überschneidung zwischen den Symptomen einer akuten Sinusitis und einer viralen Infektion der oberen Atemwege deutet darauf hin, dass bestimmte Untergruppen von Kindern, bei denen eine akute Sinusitis diagnostiziert und anschließend mit Antibiotika behandelt wird, nur wenig Nutzen aus dem Einsatz von Antibiotika ziehen.
Hierzu wurde eine randomisierte Studie mit 515 Kindern im Alter von 2 bis 11 Jahren, bei denen anhand von klinischen Kriterien eine akute Sinusitis diagnostiziert wurde, durchgeführt. Die Studie
wurde zwischen Februar 2016 und April 2022 in Primärversorgungspraxen durchgeführt, die sechs US-amerikanischen Einrichtungen angegliedert sind. Es wurde untersucht, ob sich die Symptombelastung in
Untergruppen unterscheidet, die durch nasopharyngeale Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Moraxella catarrhalis auf bakteriellen Kulturen und durch das
Vorhandensein von gefärbtem Nasenausfluss definiert sind.
Der primäre Endpunkt war die Symptombelastung auf der Grundlage täglicher Symptombewertungen auf einer validierten Skala (Bereich 0-40) während der 10 Tage nach der Diagnose. Zu den sekundären
Endpunkten gehörten Behandlungsversagen, unerwünschte Ereignisse einschließlich klinisch signifikanter Diarrhöe und die Inanspruchnahme von Ressourcen durch die Familien.
Die meisten der 510 eingeschlossenen Kinder waren 2 bis 5 Jahre alt (64 %), männlich (54 %), weiß (52 %) und nicht-hispanisch (89 %). Die mittleren Symptomwerte waren bei Kindern in der Amoxicillin-
und Clavulanat-Gruppe (9,04) signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (10,60). Die Zeit bis zum Abklingen der Symptome war bei den Kindern in der Antibiotikagruppe (7,0 Tage) signifikant
kürzer als in der Placebogruppe (9,0 Tage) (p = .003). Kinder, bei denen keine Erreger im Nasen-Rachen-Raum nachgewiesen wurden, profitierten nicht so stark von der Antibiotikabehandlung wie Kinder
mit nachgewiesenen Erregern; der Unterschied zwischen den Gruppen bei den mittleren Symptomwerten betrug -0,88 bei den Kindern ohne nachgewiesene Erreger gegenüber -1,95 bei den Kindern mit
nachgewiesenen Erregern. Die Wirksamkeit unterschied sich nicht signifikant in Abhängigkeit davon, ob farbiger Nasenausfluss vorhanden war (der Unterschied zwischen den Gruppen betrug -1,62 bei
farbigem Nasenausfluss gegenüber -1,70 bei klarem Nasenausfluss).
Folgerung der Autoren
Bei Kindern mit akuter Nasennebenhöhlenentzündung hatte eine Antibiotikabehandlung nur einen minimalen Nutzen für diejenigen, die bei der Vorstellung keine bakteriellen Erreger im Nasen-Rachen-Raum aufwiesen und ihre Wirkung hing nicht von der Farbe des Nasenausflusses ab. Die Untersuchung auf spezifische Bakterien bei der Vorstellung könnte eine Strategie zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes bei dieser Erkrankung darstellen.
Shaikh N. et al. Identifying Children Likely to Benefit From Antibiotics for Acute Sinusitis. A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2023; 330(4):349-358. doi: 10.1001/jama.2023.10854
13.12.2023
Mit der Zulassung von Ixchiq® durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA am 9. November steht nun erstmals ein Impfstoff gegen das Chikungunya-Virus zur Verfügung. Das Produkt der Firma Valneva Austria GmbH ist für die Anwendung bei Erwachsenen mit einem erhöhten Expositionsrisiko vorgesehen.1
Das Chikungunya-Virus wird durch den Stich einer infizierten Stechmücke der Gattung Aedes auf den Menschen übertragen. Nach einer Inkubationszeit von 1-10 Tagen ist die Akutphase der Viruserkrankung vor allem gekennzeichnet durch das plötzliche Auftreten von hohem Fieber, starken Gelenkschmerzen an Händen und Füßen sowie Hautausschlag. Die Infektion kann nur symptomatisch behandelt werden. Schwere Verläufe sind zwar selten, aber es sind neurologische Komplikationen wie das Guillain-Barré Syndrom und ebenfalls Todesfälle beschrieben. Außerdem zieht sich der Genesungsprozess häufig über mehrere Monate hin, in denen die Betroffenen von erheblichen wiederkehrenden Gelenkschmerzen begleitet werden, die nicht selten in einer chronischen Arthritis münden können, insbesondere bei älteren Menschen. Diese chronische Krankheitsphase kann in manchen Fällen sogar Jahre andauern.2,3
Das höchste Infektionsrisiko besteht in den (sub-)tropischen Regionen Amerikas, Afrikas und Asiens, wo das Chikungunya-Virus endemisch ist. Durch die Ausbreitung der übertragenden Stechmücken in neue geografische Bereiche sowie die Einfuhr durch infizierte Reisende steigt weltweit die Prävalenz der Erkrankung und damit auch das potenzielle Risiko einer Ausbreitung in Europa.2
Ixchiq® enthält replikationsfähige, abgeschwächte Chikungunya-Viren, die durch eine Genmodifikation einer weniger effizienten Replikation im Wirtsorganismus unterliegen als der Wildtyp. Nach der Rekonstitution wird der Impfstoff als Einmaldosis intramuskulär appliziert.4
Die Wirksamkeit des Impfstoffes wurde in einer doppelblinden, randomisierten Phase-III-Studie an Erwachsenen in den Vereinigten Staaten untersucht, die entweder eine Dosis Ixchiq® (N = 266) oder Placebo (N = 96) erhielten. Der primäre Endpunkt galt als erreicht, wenn die Teilnehmer 28 Tage nach der Impfung seroprotektive Chikungunya-Virus-Antikörperspiegel aufwiesen. Dieser war definiert als eine 50 %-ige Plaquereduktion in einem Mikro-Plaquereduktions-Neutralisationstest (μPRNT) mit einem μPRNT50-Titer von mindestens 150. Der Ziel-Antikörperspiegel basierte auf einem Wert, der sich bei nichtmenschlichen Primaten, die Blut geimpfter Personen erhalten hatten, als schützend erwiesen hatte und wurde als Surrogatparameter für die Beurteilung der Impfstoffwirksamkeit herangezogen.5
Durch die Impfung mit Ixchiq® erreichten nahezu alle Erwachsenen (263/266) nach 28 Tagen einen seroprotektiven Antikörperspiegel (98,9 %; 95 % Konfidenzintervall 96,7-99,8 %), bei der Mehrheit hielt der schützende Antikörpertiter auch noch 180 Tage nach der Impfung an (96,3 %). Die Seroprotektionsrate unterschied sich zwischen den einzelnen Altersgruppen nicht signifikant.5
Da es sich bei Ixchiq® um einen Lebendimpfstoff handelt, können nach der Impfung Chikungunya-ähnliche Nebenwirkungen auftreten, die allerdings in der Mehrzahl der Fälle mild-moderat waren und nur wenige Tage andauerten. Das Auftreten schwerer Nebenwirkungen war selten und unterschied sich nicht signifikant gegenüber der Placebo-Gruppe.5 Zu den häufigsten Nebenwirkungen der Impfung zählen insgesamt Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Myalgie, Arthralgie, Fieber und Übelkeit.4
Ixchiq® wurde durch die FDA im Rahmen des Verfahrens der beschleunigten Zulassung auf Basis von Daten zur Immunreaktion nach der Impfung als Wirksamkeitsnachweis zugelassen. Nach der Markteinführung ist der Hersteller verpflichtet, weitere bestätigende klinische Studien durchzuführen, um den Nutzen zu überprüfen und die Zulassung aufrecht zu erhalten. Auch die Dauer des Impfschutzes ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.1,5 Das Unternehmen gab außerdem bekannt, dass ein Antrag auf Zulassung mittlerweile auch bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA gestellt wurde und ebenfalls in einem beschleunigten Verfahren geprüft werden soll.6 Sollten die Real-World-Daten den klinischen Nutzen des Impfstoffes bestätigen, so würde mit Ixchiq® die erste spezifische Prophylaxe gegen das Chikungunya-Virus für Bewohner in Endemie-Gebieten bzw. Reisende zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zu den COVID-19 Impfstoffen wurde diese Vakzine nur an einer relativ geringen Probandenzahl geprüft. Seltene, schwere Impfnebenwirkungen können in diesen kleineren Studien in der Regel nicht nachgewiesen werden. Daher ist eine aufmerksame Beobachtung der Verträglichkeit nach Markteinführung hier von besonderer Bedeutung.
1 U.S. Food & Drug Administration (FDA). FDA Approves First Vaccine to Prevent Disease Caused by Chikungunya Virus. Press Announcement; published online Nov 09, 2023.
URL: https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-first-vaccine-prevent-disease-caused-chikungunya-virus [06.12.2023]
2 European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Chikungunya virus disease.
URL: https://www.ecdc.europa.eu/en/chikungunya-virus-disease [06.12.2023]
3 Auswärtiges Amt. Chikungunyafieber. Stand 16.11.2022. URL: https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/reise-gesundheit/chikungunyafieber/2562870 [06.12.2023]
4 U.S. Food & Drug Administration (FDA). Ixchiq (Chikungunya Vaccine, Live) Solution for Intramuscular Injection. Full Prescribing Information. Nov 2023.
URL: https://www.fda.gov/media/173758/download?attachment
5 Schneider, M. et al. Safety and immunogenicity of a single-shot live-attenuated chikungunya vaccine: a double-blind, multicentre, randomized, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet
2023; 401(10394):2138-2147.
doi: 10.1016/ S0140-6736(23)00641-4
6 Valneva. Valneva reicht Zulassungsantrag für den Chikungunya-Impfstoff bei EMA ein und gibt beschleunigtes Verfahren durch CHMP bekannt. Pressemitteilung; published online Oct 25, 2023.
URL: https://valneva.com/press-release/valneva-files-for-chikungunya-vaccine-authorization-with-ema-and-announces-chmp-accelerated-assessment/?lang=de#_ftn12 [06.12.2023]
13.12.2023
Der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) hat sich in seiner Sitzung am 12. Oktober 2023 positiv für die Zulassung des neuen Antimykotikums Rezafungin ausgesprochen. Es soll als Orphan Drug unter dem Namen Rezzayo® zur Therapie der invasiven Candidiasis bei Erwachsenen auf den Markt gebracht werden.1
Hefepilze der Gattung Candida, wie Candida albicans, sind Teil des normalen Mikrobioms der Haut und Schleimhäute des Menschen. Verschiedene Faktoren, wie bestimmte Grunderkrankungen, Störungen lokaler Abwehrmechanismen oder Immundefekte können eine übermäßige Vermehrung dieser Pilze auf Haut und Schleimhäuten begünstigen und lokale Infektionen hervorrufen. Ist diese natürliche Barriere allerdings durch Verletzungen gestört oder anderweitig geschwächt, kann eine Candidiasis entstehen, die sich am häufigsten in einer Infektion der Blutbahn (Candidämie) manifestiert, von wo aus sich die Infektion auch auf Organe wie Leber, Niere, Milz oder Augen ausbreiten kann. Diese lebensbedrohlichen systemischen Infektionen stellen insbesondere bei immunsupprimierten sowie kritisch kranken Patienten eine bedeutende Ursache für Morbidität und Mortalität dar. Als Auslöser können neben Candida albicans auch zunehmend Candida parapsilosis und Candida glabrata nachgewiesen werden, die mitunter Resistenzen gegen häufig eingesetzte Antimykotika aufweisen können.2-4
Das in Rezzayo® enthaltene Rezafunginacetat ist ein halbsynthetisches Lipopeptid, das aus einem Fermentationsprodukt von Aspergillus nidulans synthetisiert wird. Es zählt wie auch Caspo-, Anidula- und Micafungin zu der Klasse der Echinokandine, deren Wirkmechanismus auf der selektiven Hemmung des fungalen Enzyms 1,3-β-D-Glucansynthase basiert. Infolge der Enzymhemmung wird die Bildung von 1,3-β-D-Glucan, einem essenziellen Bestandteil der fungalen Zellwand, verhindert und die Zellwand destabilisiert. Dies hat eine schnelle und konzentrationsabhängige fungizide Wirkung gegen Candida-Spezies zur Folge.5
Im Unterschied zu anderen bisher verfügbaren Echinokandinen weist Rezafungin eine deutlich verlängerte Eliminationshalbwertszeit von 152 ± 29 h auf und macht damit eine nur einmal wöchentliche Applikation möglich. Rezzayo® soll in einer Dosierung von 200 mg Rezafungin als Pulver zur Herstellung eines Infusionslösungskonzentrates verfügbar sein. Nach entsprechender Rekonstitution und Verdünnung wird eine Startdosis von 400mg, gefolgt von 200mg wöchentlich, intravenös infundiert.4,5
In der randomisierten, doppelblinden, Phase-III-Studie (ReSTORE) wurde die Nicht-Unterlegenheit von Rezafungin gegenüber Caspofungin untersucht. Zu diesem Zweck wurden 199 Patienten mit bestätigter Candidämie oder bestimmten Formen invasiver Candidiasis eingeschlossen und erhielten entweder einmal wöchentlich Rezafungin (intravenös, Startdosis 400 mg, gefolgt von 200 mg) oder einmal täglich Caspofungin (intravenös, Startdosis 70 mg, gefolgt von 50 mg) über einen Zeitraum von maximal vier Wochen. Wenn es der klinische Zustand des Patienten zuließ, bestand außerdem die Möglichkeit der Step-down-Therapie durch die Umstellung von Caspofungin auf orales Fluconazol 600-800 mg (je nach Creatinin-Clearance), während die Patienten in der Rezafungin-Gruppe Placebo-Kapseln oral erhielten.6
An Tag 14 der Behandlung waren 59 % der Patienten in der Rezafungin-Gruppe und 61 % der Patienten in der Caspofungin-Gruppe geheilt (klinisch, radiologisch und mykologisch) und erreichten damit einen von zwei primären Endpunkten. Auch die 30-Tage-Gesamtmortalität war als weiterer primärer Endpunkt in beiden Gruppen vergleichbar: 24 % der Rezafunginpatienten und 21 % der Caspofunginpatienten waren verstorben oder der Überlebensstatus unbekannt. Die Ergebnisse der Rezafungintherapie waren hinsichtlich beider primären Endpunkte mit der Caspofungintherapie vergleichbar und damit nicht unterlegen.6
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (> 10 %) unter der Anwendung von Rezafungin waren Hypokaliämie, Fieber und Diarrhoe.5,6
Das neue Echinokandin Rezafungin bietet als strukturelle Weiterentwicklung von Anidulafungin verbesserte Stabilitätseigenschaften sowie einige pharmakologische Vorteile, u. a. die Möglichkeit einer nur einmal wöchentlichen Applikation. Für die Zulassung in Europa ist noch die Entscheidung der Europäischen Kommission nötig. In den USA ist Rezafungin seit März 2023 zur Anwendung bei Candidämie und invasiver Candidose zugelassen.
1 European Medicines Agency (EMA). Rezzayo – summary of opinion. EMA/448724/2023; published online Oct 12, 2023. URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-rezzayo_en.pdf
2 Robert Koch Institut (RKI). Mykosen (Pilzinfektionen) – Candidiasis; published online Jun 13, 2023.
URL: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/P/Pilzinfektionen/Candida_spp.html [09.11.2023]
3 Nationales Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen. Invasive Mykosen – Invasisve Candidiasis.
URL: https://www.nrz-myk.de/invasive-candidiasis.html [09.11.2023]
4 Groll, A.H. et al. S1 Leitlinie Diagnose und Therapie von Candida Infektionen: Gemeinsame Empfehlungen der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG) und der
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie (PEG) ICD 10: B37.-. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften eV, 2020. URL: https://register.awmf.org/assets/guidelines/082-005l_S1_Diagnose-Therapie-Candida-Infektionen_2020-09.pdf
5 U.S. Food & Drug Administration (FDA). Rezzayo (Rezafungin for injection). Full Prescribing Information; published online Mar, 2023.
URL: https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/217417s000lbl.pdf
6 Thompson, G. R. et al. Rezafungin versus caspofungin for treatment of candidaemia and invasive candidiasis (ReSTORE): a multicentre, double-blind, double-dummy, randomised phase 3 trial.
Lancet 2023; 401(10370):49-59. doi: 10.1016/S0140-6736(22)02324-8
15.11.2023
Neben den bekannten schweren Krankheitsverläufen von Respiratory Syncytial Virus (RSV)-Infektionen bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern verursacht RSV insbesondere bei Älteren und bei Menschen mit Immunsuppression, mit hämato-onkologischen Erkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen oder kardiovaskulären Erkrankungen eine relevante Morbidität und Mortalität. Im Juni und im August 2023 wurden erstmals wirksame Impfstoffe gegen RSV von der European Medicines Agency (EMA) für die EU zugelassen. Die Zulassungsstudien zeigten eine sehr hohe Effektivität der Impfung in Bezug auf die Verhinderung von schweren RSV-assoziierten Atemwegsinfektionen. Entsprechend der Zulassungsstudien ist die Anwendung auf Personen im Alter von ≥ 60 Jahren beschränkt.
Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie haben verschiedene Fachgesellschaften folgendes Positionspapier zur RSV-Impfung publiziert und empfehlen die Impfung entsprechend
der Zulassung bei Älteren > 60 Jahre. Darüber hinaus empfiehlt das Positionspapier nach individueller Beratung den Einsatz der Impfung bei Erwachsenen jeden Alters mit schweren pulmonalen oder
kardiovaskulären Vorerkrankungen und bei Erwachsenen mit einer deutlichen Einschränkung der Immunabwehr. Eine Kostenübernahme kann individuell bei der zuständigen Krankenkasse beantragt
werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie hatte bereits im August ein Positionspapier für Patienten mit hämatologischen und/oder onkologischen Erkrankungen ab 18 Jahre veröffentlicht, das den off label Einsatz dieser Vakzine empfiehlt.
Die STIKO wird sich in den nächsten Monaten mit diesen Impfstoffen befassen, eine Empfehlung für die kommende Saison ist allerdings nicht mehr zu erwarten. Insofern können dieses Positionspapier eine mögliche Grundlage für den Schutz individueller Hochrisikopatienten bereits in dieser Infektionssaison dienen.
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. Positionspapier zur RSV-Schutzimpfung bei besonders gefährdeten Patientinnen und Patienten; published online first Nov 2,
2023.
URL: https://www.pneumologie.de/storage/app/uploads/public/654/231/5d4/6542315d4db67032864384.pdf [14.11.2023]
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie, Empfehlung zur RSV-Schutzimpfung bei immundefizienten Patientinnen und Patienten mit hämatalogischen und/oder onkologischen
Erkrankungen; published online first Aug 15, 2023.
URL: https://www.dgho.de/aktuelles/news/news/2023/download/rsv-impfung-20230815.pdf
[14.11.2023]
15.11.2023
Die Prognose der Sepsis korreliert mit der Angemessenheit der Antibiotikatherapie in der Frühphase. Diese Angemessenheit hängt vom Spektrum der antibakteriellen Wirkung, dem Resistenzprofil der Bakterien und der Dosierung des Antibiotikums ab. Die optimale Wirksamkeit von β-Lactam Antibiotika erfordert Konzentrationen für die längst mögliche Zeit über die minimale Hemmkonzentration (MHK) der Zielbakterien. Eine septische akute Nierenverletzung (acute kidney injury, AKI) ist das häufigste AKI-Syndrom auf der Intensivstation und erfordert häufig die Einleitung einer Nierenersatztherapie (renal replacement therapy, RRT). Sowohl eine schwere AKI als auch eine RRT können die Antibiotika-Konzentrationen außerhalb des Zielbereichs erhöhen und letztlich die Prognose des Patienten verändern.
In einer Sekundäranalyse einer randomisierten kontrollierten Studie wurde bei kritisch kranken Patienten mit schwerer AKI (definiert nach KDIGO 3) eine frühe RRT-Einleitungsstrategie mit einer
verzögerten Strategie verglichen. Es wurden β-Lactam Talspiegel zwischen den beiden RRT-Einleitungsstrategien verglichen. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten mit ausreichenden β-Lactam
Talspiegeln, definiert als ein Talspiegel über dem Vierfachen der MHK. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass ein frühzeitiger Beginn der RRT im Vergleich zur verzögerten Strategie mit
unzureichenden Antibiotika Talspiegeln verbunden sein könnte.
Es wurden insgesamt 112 Patienten in die Analyse eingeschlossen: 53 in der frühen Gruppe und 59 in der verzögerten Gruppe. 83 Patienten (74 %) hatten bei der Aufnahme einen septischen Schock. Die
Tal-Spiegel der β-Lactame lagen bei 80,4 % in der gesamten Population über dem 4-fachen des MHK-Grenzwerts ohne Unterschiede zwischen der frühen und der verzögerten Gruppe (79,2 % vs. 81,4 %, p =
0,78). In der multivariaten Analyse waren das Vorhandensein eines septischen Schocks und ein höherer mittlerer arterieller Druck signifikant mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ausreichender
Antibiotika-Talspiegel assoziiert. Die Dynamik des Procalcitonin-Spiegels, die Anzahl der katecholaminfreien Tage und die Mortalität unterschieden sich nicht, unabhängig davon, ob die β-Lactam
Talspiegel das 4-fache der MHK überstiegen oder nicht.
Folgerung der Autoren
In dieser Sekundäranalyse hatte die Strategie zur Einleitung einer Nierenersatztherapie keinen signifikanten Einfluss auf die β-Lactam-Plasmakonzentration bei Intensivpatienten mit schwerer AKI. Das Vorhandensein eines septischen Schocks bei Studieneinschluss war die Hauptvariable, die mit ausreichenden β-Lactam-Konzentrationen verbunden war.
Roux, D. et al. Impact of renal replacement therapy strategy on beta-lactam plasma concentrations: the BETAKIKI study – an ancillary study of a randomized controlled trial. Ann Intensive Care
2023; 13, 11.
doi: 10.1186/s13613-023-01105-0
18.10.2023
Bislang gestalteten sich die Pneumokokken-Impfempfehlungen komplex. Der Standardimpfstoff für Personen über 60 Jahre und Erwachsene mit Komorbiditäten war die 23-valente Polysaccharid-Vakzine. Allerdings wurde für immunsupprimierte Patienten, Patienten mit Leberzirrhose, Niereninsuffizienz sowie Patienten mit Liquorfistel und Cochlea-Implantat, eine sequenzielle Impfung empfohlen. Diese beinhaltete zunächst die 13-valente Konjugat-Vakzine, gefolgt von der 23-valenten Polysaccharid-Vakzine.
Die komplexe Empfehlung ergab sich aus der Tatsache, dass die Konjugat-Vakzine im Gegensatz zur Polysaccharid-Vakzine eine T-Zellantwort und die Bildung von Gedächtniszellen induziert, jedoch nur 13 Serotypen abdeckt. Zusätzlich war die Wirksamkeit der alleinigen Polysaccharid-Vakzine gegen nicht bakteriämische Pneumokokken-Pneumonie und bei immunsupprimierten Personen umstritten.
In jüngster Zeit steht eine 20-valente Konjugat-Vakzine für Erwachsene zur Verfügung, deren Unterschied in der Serotypenabdeckung gegenüber der 23-valenten Polysaccharid-Vakzine nur noch marginal ist. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat diese Vakzine nun bewertet und als Standardimpfung, als Indikations- und berufliche Impfung (Metallrauchexposition bei z.B. Schweißern und Gießern) empfohlen. Die 20-valente Konjugat-Vakzine wird somit die bisherige Polysaccharid-Vakzine und die 13-valente Konjugat-Vakzine beim Erwachsenen ersetzen.
Diese neue Empfehlung vereinfacht die Impfung erheblich und wird zweifellos zu höheren Impfquoten und einem ausgezeichneten Schutz führen. Wir hoffen nun, dass der Gemeinsame Bundesausschuss zeitnah zu dieser Empfehlung Stellung bezieht, um die Impfungen noch vor Beginn des Winters durchführen zu können.
18.10.2023
Wie verändert sich das Influenza-Virus? Die eindrückliche Animation zeigt die Veränderung von Viren durch Antigen-Drift und Antigen-Shift. Letzterer hat weitaus tödlichere Konsequenzen für den Menschen.
18.10.2023
Die Influenza-Impfung wird für Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) aufgrund der krankheitsbedingten Immunstörung und der therapiebedingten Immunsuppression dringend empfohlen. In einer multizentrischen, randomisierten Studie wurde untersucht, ob das Absetzen von Methotrexat (MTX) für eine Woche nach der saisonalen Grippeimpfung dem Absetzen für zwei Wochen nach der Impfung bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) nicht unterlegen ist. RA-Patienten, die eine stabile Dosis MTX erhielten, wurden in einem Verhältnis von 1:1 randomisiert und MTX für eine Woche oder für zwei Wochen abgesetzt, nachdem sie den quadrivalenten saisonalen Influenza-Impfstoff 2021-2022 erhalten hatten. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einer zufriedenstellenden Impfantwort. Diese wurde als ≥ 4-facher Anstieg der Antikörpertiter gegen ≥ 2 der vier Impfstämme vier Wochen nach der Impfung definiert. Die modifizierte Intent-to-Treat-Population umfasste 90 Patienten mit 1-wöchiger MTX-Pause und 88 Patienten mit einer 2-wöchigen MTX-Pause. Die mittlere MTX-Dosis (Mittelwert) betrug 12,6 ± 3,4 mg/Woche in der Gruppe mit 1-wöchiger Pause und 12,9 ± 3,3 mg/Woche in der Gruppe mit 2-wöchiger Pause. Der Anteil der zufriedenstellenden Impfantworten unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen (68,9 % gegenüber 75,0 %; P = 0,364). Die Seroprotektionsrate und der Anstieg der Antikörpertiter für jedes der vier Influenza-Antigene waren in den beiden Gruppen ähnlich.
Folgerung der Autoren
Die Studie umfasste leider keine Gruppe von RA-Patienten, die nach der Impfung weiterhin MTX ohne Pause erhielten. Die durchschnittliche MTX-Dosis in dieser Studie betrug ~ 13 mg/Woche, was unter
der empfohlenen Höchstdosis von 25 mg/Woche liegt. Schließlich sind weitere Studien erforderlich, um festzustellen, ob diese neuartige Strategie auch auf andere Impfungen mit anderen Mechanismen, wie
z. B. mRNA oder vektorbasierte Impfstoffe angewendet werden kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein vorübergehendes Absetzen von MTX für eine Woche dem Absetzen von MTX für zwei Wochen nach der Grippeimpfung nicht unterlegen ist, um eine zufriedenstellende
Impfantwort auf einen saisonalen Grippeimpfstoff bei Patienten mit RA zu induzieren.
Kommentar der Herausgeber
Aus dieser Studie lässt sich eine einfach in die Praxis umzusetzende Empfehlung ableiten: MTX nur 1 Woche nach Influenzaimpfung für eine adäquate Impfreaktion zu pausieren. Die von den Autoren genannten Limitationen und damit zukünftigen Studienideen unterstützen wir sehr.
Park, J. K. et al. A Multicenter, Prospective, Randomized, Parallel-Group Trial on the Effects of Temporary Methotrexate Discontinuation for One Week Versus Two Weeks on Seasonal Influenza Vaccination in Patients With Rheumatoid Arthritis. Arthritis Rheumatol 2022; 75(2):171-177. doi: 10.1002/art.42318
20.09.2023
Der monoklonale Antikörper Palivizumab (Synagis®) stellte für mehr als 20 Jahre die einzige in Europa zugelassene medikamentöse Option zur Prävention von durch RSV verursachten Erkrankungen der unteren Atemwege bei Kindern mit bestimmten Vorerkrankungen dar. Erst kürzlich wurde nun der erste Impfstoff zugelassen, der durch die Impfung der schwangeren Mütter die Neugeborenen direkt ab der Geburt für mindestens 6 Monate vor schweren RSV-Erkrankungen schützt. Gleichzeitig ist pünktlich zur kommenden RSV-Saison mit Beyfortus® (Nirsevimab) auch ein weiterer monoklonaler Antikörper zur passiven Immunisierung verfügbar.1
Nirsevimab ist ein rekombinanter, humaner monoklonaler IgG1K-Antikörper, der gegen die Präfusionskonformation des RSV-Fusionsoberflächenproteins gerichtet ist. Dieses Protein ist beim natürlichen Virus unerlässlich für die Infektion des Körpers, da es die Fusion mit den menschlichen Epithelzellen der Schleimhäute der Atemwege ermöglicht. Durch die Bindung an das RSV-Fusionsprotein in seiner Präfusionskonformation wird der entscheidende Membranfusionsschritt blockiert und damit der Eintritt in die Wirtszelle verhindert. Eine Modifizierung in der Fc-Region des Antikörpers ermöglicht eine Verlängerung der Halbwertszeit des Antikörpers, sodass die schützende Wirkung nach einer Einmalgabe mindestens 5 Monate anhält.1,2
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Beyfortus® wurde in zwei randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien bei gesunden Neugeborenen und Frühgeborenen (Gestationsalter ≥ 29 Wochen) zu Beginn ihrer ersten RSV-Saison untersucht. In der MELODY-Studie erhielten insgesamt 1490 Neugeborene und späte Frühgeborene (Gestationsalter ≥ 35 Wochen) im Verhältnis 2:1 entweder einmalig Nirsevimab (50 mg bzw. 100 mg je nach Körpergewicht) oder Placebo. Die Ergebnisse zeigten, dass Nirsevimab in einem Zeitraum von 150 Tagen nach Applikation der Einzeldosis im Vergleich zu Placebo signifikant wirksamer in der Verhinderung medizinisch behandelter RSV-bedingter Infektionen der unteren Atemwege war (Wirksamkeit 74,5 %; 95 % Konfidenzintervall; 49,6-87,1).1,2
Die Sicherheit von Nirsevimab wurde zudem in der MEDLEY-Studie untersucht, in die auch Säuglinge bzw. Kleinkinder mit chronischen Lungenerkrankungen oder angeborenen Herzfehlern sowie Frühgeborene
eingeschlossen wurden. Die 925 Säuglinge/Kleinkinder erhielten im Verhältnis 2:1 entweder eine körpergewichtsadaptierte intramuskuläre Einmaldosis Nirsevimab oder 5 monatliche intramuskuläre
Injektionen von 15 mg/kg Palivizumab. Die Inzidenz von medizinisch behandelten RSV-bedingten Infektionen betrug bis 150 Tage nach der Anwendung 0,6 % (4/616) in der Nirsevimab-Gruppe und 1,0 %
(3/309) in der Palivizumab-Gruppe. Bei diesen Patienten mit einem hohen Risiko für schwere RSV-Erkrankungen war das Sicherheitsprofil von Nirsevimab ähnlich wie das von
Palivizumab.1,3
Insgesamt trat in den Studien als häufigste Nebenwirkung bei 0,7 % der behandelten Kinder ein Hautausschlag auf, gefolgt von Pyrexie (0,6 %) und Reaktionen an der Einstichstelle (0,4
%).1
Der neue Antikörper Nirsevimab bringt im Vergleich zum altbekannten Palivizumab den Vorteil der einmaligen Anwendung mit sich. Außerdem kann Nirsevimab laut Zulassung nicht nur bei Hochrisikokindern,
sondern auch bei gesunden Frühgeborenen, Säuglingen und Kleinkindern eingesetzt werden. Die S2k-Leitlinie „Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei
Risikokindern“ war bis August 2023 gültig und befindet sich derzeit in Überarbeitung. Es bleibt abzuwarten, welchen Stellenwert der neue Antikörper langfristig einnehmen wird, insbesondere vor dem
Hintergrund des seit kurzem verfügbaren Impfstoffes Abrysvo®. Dieser wurde erfolgreich an Schwangeren getestet. Durch die dadurch induzierte maternale Immunität, sind Neugeborene unmittelbar ab der
Geburt vor RSV geschützt.
1 Fachinformation Beyfortus® (Nirsevimab). AstraZeneca
AB, Stand 06/2023.
2 Hammitt, L. L. et al. Nirsevimab for prevention of RSV in healthy late-preterm and term infants. N Engl J Med 2022; 386(9):837-846. doi: 10.1056/NEJMoa2110275
3 Domachowske, J. et al. Safety of Nirsevimab for RSV in Infants with Heart or Lung Disease or Prematurity. N Engl J Med 2022; 386(9):892-894. doi: 10.1056/NEJMc2112186
20.09.2023
Immer gut dokumentieren: Arzt und Rechtsanwalt Professor Alexander Ehlers äußert sich zum Wirtschaftlichkeitsgebot bei COVID-Impfungen und inwieweit impfende Ärzt:innen befürchten müssen, in Regress genommen zu werden, je nachdem welchen Impfstoff sie bestellen.
20.09.2023
Im Einklang mit den Erklärungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben das europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gemeinsame Empfehlungen zum Einsatz angepasster COVID-19-Impfstoffe in der kommenden Herbst- und Wintersaison 2023/24 veröffentlicht.1
Hintergrund ist die weiterhin stetige Veränderung des SARS-CoV-2-Virus und der damit einhergehenden verminderten Immunantwort. Das trifft vor allem auf die seit 2022 dominierenden
Omikron-Subvarianten zu, bei denen auf Grund zahlreicher Mutationen im Spike-Protein die durch eine frühere Impfung und/oder Infektion gebildeten Antikörper nicht mehr an das mutierte Protein binden
können. In diesem Zuge erfolgte bereits im Herbst letzten Jahres die Entwicklung neuer Impfstoffe, die u.a. die Omikron-Subvarianten BA.4/5 oder BA.1 umfassten. Auch wenn die derzeit verfügbaren
Impfstoffe weiterhin vor schweren Krankheitsverläufen schützen, nimmt die Schutzwirkung ab, je stärker sich das neue mutierte Virus immunologisch von den in den Impfstoffen enthaltenen Stämmen
unterscheidet.1,2
Die aktuell weltweit vorherrschende Omikron-Variante XBB.1.5. unterscheidet sich hinsichtlich der Antigene deutlich von den Ursprungsvarianten. Um zukünftig einen ausreichenden Schutz gegen aktuelle
und neu auftretende Stämme zu erreichen, könnten monovalente XBB-haltige Impfstoffe die Breite der Immunität auch gegen die von XBB abstammenden Linien erhöhen. Laut Angaben der WHO zeigen
präklinische Daten der Impfstoffhersteller, dass Impfstoffkandidaten, die von der XBB.1-Linie abstammen (einschließlich XBB.1.5) im Vergleich zu derzeit zugelassenen Impfstoffen stärkere
neutralisierende Antikörperreaktionen auf die aktuell zirkulierenden SARS-CoV-2-Varianten hervorrufen.3 Solche monovalenten Impfstoffe könnten sowohl für Auffrischimpfungen in diesem
Herbst als auch für die Grundimmunisierung naiver Personen (z.B. Kinder unter 5 Jahren) eingesetzt werden.1
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch keiner dieser angepassten Impfstoffe in Europa zugelassen, allerdings haben einige bekannte Impfstoffhersteller bereits Zulassungsanträge eingereicht. BioNtech und
Pfizer planen ihren neuen monovalenten mRNA-Impfstoff unter dem Namen „Comirnaty Omikron XBB.1.5“ zur Anwendung bei Personen ab 6 Monaten auf den Markt zu bringen. Die beiden Unternehmen gehen davon
aus, die Impfdosen unmittelbar nach Erteilung der Zulassung an die EU-Mitgliedsstaaten ausliefern zu können.4 Nur kurze Zeit später gab auch der Hersteller Moderna an, den Zulassungsantrag
für einen an XBB.1.5 angepassten mRNA-Impfstoff bei der EMA eingereicht zu haben, der vorbehaltlich der Zulassungserteilung rechtzeitig zur kommenden Impfsaison zur Verfügung stehen soll.5
Auch ein angepasster, proteinbasierter Impfstoffkandidat des Herstellers Novavax soll bereits in diesem Herbst eingesetzt werden können.6
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt, nach Aufbau einer Basisimmunität, bestimmten Personengruppen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, weitere Auffrischimpfungen
im Herbst im Abstand von 12 Monaten oder mehr zum letzten Antigenkontakt. Dafür soll vorrangig ein zugelassener Varianten-adaptierter Impfstoff eingesetzt werden.7 Weitere konkrete
COVID-19-Impfempfehlungen für die kommende Saison werden von den nationalen Institutionen in Deutschland, Österreich und Schweiz nach Zulassung der ersten angepassten Impfstoffe erwartet.
Es wird davon ausgegangen, dass es zukünftig auch bei den COVID-19-Impfstoffen in regelmäßigen Abständen Empfehlungen zu möglicherweise notwendigen Anpassungen der Impfstoffzusammensetzung geben
wird, ähnlich wie bei den jährlichen Impfungen gegen Influenza.1
1 ECDC and EMA. ECDC-EMA statement on updating COVID-19 vaccines composition for new SARS-CoV2 virus variants. EMA/257222/2023; published online Jun 6, 2023.
URL: https://www.ema.europa.eu/en/documents/other/ecdc-ema-statement-updating-covid-19-vaccines-composition-new-sars-cov-2-virus-variants_en.pdf [17.08.2023]
2 Hein, S. et al. The fourth vaccination with a non-SARS-CoV-2 variant adapted vaccine fails to increase the breadth of the humoral immune response. Sci Rep 2023; 13(1):10820. doi:
10.1038/s41598-023-38077-x
3 WHO. Statement on the antigen composition of COVID-19 vaccines; published online May 18, 2023.
URL: https://www.who.int/news/item/18-05-2023-statement-on-the-antigen-composition-of-covid-19-vaccines [17.08.2023]
4 Pfizer und BioNtech. Pfizer und BioNTech starten Einreichungsprozess zur Zulassung eines an Omikron XBB.1.5 angepassten monovalenten COVID-19-Impfstoffs bei der Europäischen
Arzneimittel-Agentur. Pressemitteilung; published online Jun 23, 2023.
URL: https://investors.biontech.de/de/node/15236/pdf [17.08.2023]
5 Moderna. Einreichung durch Moderna: variantenangepasster COVID-19-Impfstoff im EU-Zulassungsverfahren. Pressemitteilung; published online Jul 3, 2023. URL: https://assets.modernatx.com/m/37f0a6072363fe75/original/Moderna_Pressemitteilung_COVID-19_EMA-Einreichung_230703.pdf [17.08.2023]
6 Novavax. Novavax Prepared to Deliver Protein-based Monovalent XBB COVID Vaccine Consistent with FDA VRBPAC Recommendation for the Fall. Press release; published online Jun 15, 2023. URL:
https://ir.novavax.com/press-releases/2023-06-15-Novavax-Prepared-to-Deliver-Protein-based-Monovalent-XBB-COVID-Vaccine-Consistent-with-FDA-VRBPAC-Recommendation-for-the-Fall
[17.08.2023]
7 Robert Koch Institut. Implementierung der COVID-19- Impfung in die allgemeinen Empfehlungen der STIKO 2023. Epidemiologisches Bulletin 2023; (21). Stand 16.08.2023.
23.08.2023
Mit dem Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) wird derzeit ein bundesweit einheitliches und umfassendes System für die Überwachung für den Infektionsschutz geschaffen. Daten zum Infektionsgeschehen werden mit Hilfe von DEMIS zeitnah, vollständig und valide erfasst und analysiert, sodass Maßnahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) zur Prävention und Eindämmung von Infektionskrankheiten schneller ergriffen werden können. Eine Kernfunktion von DEMIS stellt die medienbruchfreie, elektronische Meldung gemäß Infektionsschutzgesetz durch alle Melder dar. Die Meldung erfolgt entweder (teil-)automatisiert über die IT-Systeme der Meldepflichtigen (via FHIR-Schnittstelle) oder über das DEMIS-Meldeportal.
Die Anbindung der Labore an die DEMIS-Infrastruktur ist seit 01.01.2021 gesetzlich verpflichtend (vgl. § 14 Abs. 8 IfSG). Informationen zu meldepflichtigen Erregernachweisen gemäß § 7 Abs. 1 IfSG konnten die Labore bis dato allerdings ausschließlich (teil-)automatisiert über die FHIR-Schnittstelle an die Gesundheitsämter melden. Für jene Meldungen über die Schnittstelle müssen laborseitig technische Anpassungen an der lokalen Software bzw. den Laborinformationssystemen (LIS) vorgenommen werden, deren Implementierung teilweise mit hohen Kosten verbunden ist.
Am 26.07.2023 wurde nun eine zweite technische Lösung zur elektronischen Meldung via DEMIS für Labore zur Verfügung gestellt. Das DEMIS-Meldeportal, das vorher nur für die Meldung von SARS-CoV-2- Schnelltestergebnissen genutzt werden konnte, wurde um fast alle Erreger, die nach § 7 Abs. 1 IfSG meldepflichtig sind, erweitert. Somit steht nun auch eine kostenfreie Lösung zur Meldung gemäß § 14 Abs. 1 IfSG, insbesondere für Wenigmelder, zur Verfügung. Der Start war erfolgreich, sodass nach zehn Tagen bereits 26 Meldungen zu insgesamt zehn verschiedenen Meldetatbeständen aus 14 verschiedenen Krankenhäusern eingegangen sind. Die häufigsten Meldungen gingen hierbei für Nachweise des Hepatitis-B-Virus und Campylobacter spp. ein. Auf der DEMIS-Wissensdatenbank werden den Laboren Informationen zur Nutzung des Meldeportals zur Verfügung gestellt. Das DEMIS-Meldeportal lenkt durch ein mehrseitiges Menü, in dem Angaben zur meldenden Einrichtung und zur betroffenen Person gemacht werden müssen. Detaillierte Angaben zu den Erregernachweisen – zur nachgewiesenen Erregerspezies sowie Material und Methoden – werden über eine Drop-Down-Auswahl zur Verfügung gestellt.
Mittelfristig wird das DEMIS-Meldeportal noch um weitere Funktionalitäten ergänzt: u. a. Implementierung fehlender Erregernachweise gemäß § 7 Abs. 1 IfSG, Umsetzung der bundeslandspezifischen meldepflichtigen Erreger (z.B. Borrelia burgdorferi spp.), die Meldung von Antibiogrammen sowie Meldungen gemäß §§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a IfSG.
Zurzeit ist das DEMIS Meldeportal nur für Leistungserbringer mit Zugang zur Telematikinfrastrukur (TI) erreichbar. Im Winter 2023/2024 soll das DEMIS-Meldeportal dann auch im Internet verfügbar gemacht werden und – mittels Anbindung an das Onlinezugangsgesetz (OZG) – einem breiteren Nutzerkreis (Kitas, Schulen, etc.) zugänglich gemacht werden.
Krause, D. & Sievers, C. (FG 32)
RKI NEWS – Hausmitteilungen des Robert Koch-Instituts 2023, Ausgabe 16.
23.08.2023
Die DGI hat ein Positionspapier zur Infektiologie in der stationären Versorgung publiziert. Darin wird verdeutlicht, dass eine gezielte infektiologische Fachkompetenz die Qualität der Krankenhausbehandlung von Patienten mit Infektionskrankheiten erheblich steigert. Die neu eingeführte medizinische Spezialisierung "Innere Medizin und Infektiologie" ermöglicht nun auch in Deutschland den Zugang zu diesem Expertenwissen. Das Positionspapier skizziert Ansätze zur Optimierung der strukturellen Integration der Infektiologie und etabliert eine eigenständige Leistungsgruppe innerhalb der Kliniken auf den Stufen 2 und 3.
23.08.2023
Dr. Frank Schreiber ist Experte für Biozidresistenz an der Bundesanstalt für Materialforschung und -testung (BAM). Im heutigen Video berichtet er vor dem One-Health-Hintergrund über Resistenzen von Bakterien gegen Biozide.
23.08.2023
Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) warnt, dass während der Sommermonate wiederholt Ausbrüche des Vogelgrippevirus auftreten, die zu einem Massensterben von Meeresbrütern, einschließlich Möwen, führt. Es wird erwartet, dass die menschliche Bevölkerung vermehrt mit kranken oder toten Vögeln und Säugetieren in Kontakt kommt.
Eine Übertragung auf den Menschen kann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Vogelgrippe in Wildvögeln und Säugetieren im Umlauf ist und der Mensch ihr direkt ohne Schutzausrüstung ausgesetzt ist. Es
wird angenommen, dass es während der Sommermonate nur sehr wenige Infektionen mit saisonalen Influenzaviren gibt und nur wenige Patienten mit schweren Erkrankungen durch das saisonale Influenzavirus
ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Um sporadische schwere Humaninfektionen mit dem Vogelgrippevirus in Krankenhäusern zu erkennen, wird folgender Ansatz vorgeschlagen:
26.07.2023
Die Gesundheitsversorgung wird noch einige Jahre lang unter einer Belastungsprobe stehen, weil SARS-CoV-2 als nosokomialer Erreger weiterhin zirkulieren wird und es einen Rückstau von Patienten gibt, die auf verspätete elektive Eingriffe warten. Diese Belastungen wird vor allem den Einsatz der ambulanten parenteralen Antibiotikatherapie (Outpatient Parenteral Antimicrobial Therapy, OPAT) vorantreiben, die zunehmend resistente Gram-negative Opportunisten behandeln wird. In der nachfolgenden Studie wurde die Wirksamkeit von Ertapenem/Zidebactam (Verabreichung 2 + 2 g / 24 Std.) untersucht.
Die in dieser Publikation getesteten Enterobacterales waren an die UKHSA Antimicrobial Resistance and Healthcare-Associated Infections Reference Unit zwischen Juli 2015 und Juli 2016 gesandt worden.
Über 90 % der E. coli mit AmpC-, ESBL-, KPC-, Metallo- oder OXA-48-Carbapenemasen wurden durch Ertapenem/Zidebactam 1:1 bei dem derzeitigen Ertapenem-Breakpoint von 0,5 mg/L gehemmt.
Ertapenem allein hemmte dagegen nur 60,0 % - 68,1 % der ESBL und AmpC produzierenden E. coli und nur 2,8 %- 25 % der Carbapenemase-produzierenden E. coli. Zwischen 65 % bis 90 % der
anderen wichtigen Enterobacterales wurden durch Ertapenem/Zidebactam bei 0,5 mg/L gehemmt, jedoch deutlich weniger MBL-produzierende K. pneumoniae/oxytoca (12,4 %), Ceftazidime-resistente
K. pneumoniae/oxytoca mit Oxa-48 ähnlichen Enzymen (41,6 %), MBL und Oxa-48 produzierende Enterobacterales (8,3 %). Tierstudien stützen jedoch einen Breakpoint von 8 mg/L für
Ertapenem/Zidebactam, der darauf beruht, dass eine verkürzte T > MIC im Vergleich zu Ertapenem allein erforderlich ist. Auf dieser Grundlage würde Ertapenem/Zidebactam gegen 90 % bis 100 % der
Isolate in allen Gruppen mit Ausnahme von K. pneumoniae/oxytoca mit MBL (± OXA-48) als wirksam gelten, bei denen die MHKs und die prozentualen Empfindlichkeiten erheblich variieren.
Schlussfolgerung der Autoren
Ertapenem/Zidebactam hat ein vorgeschlagenes einmal tägliches Schema, das sich gut für OPAT eignet. Selbst bei sehr konservativen Breakpoint-Prognosen hat es Potenzial gegen MDR-E. coli, einschließlich Metallo-Carbapenemase-Produzenten. Wenn die Studiendaten den in Tierversuchen ermittelten Breakpoint von 8 mg/L bestätigen, wird sich sein Potenzial weit über Infektionen durch ESBL, AmpC- und Carbapenemase-produzierende Enterobacterales erstrecken.
Kommentar der Herausgeber
Diese Kombination aus hochdosiertem Ertapenem plus dem Diazabicyclooctan Zidebactam könnte nicht nur im OPAT-Bereich eine wichtige Rolle spielen.
Mushtaq, S. et al. Activity of ertapenem/zidebactam (WCK 6777) against problem Enterobacterales. J Antimicrob Chemother 2022; 77(10): 2772–2778.
doi: 10.1093/jac/dkac280
26.07.2023
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat unter dem Namen XACDURO ein neues Antibiotikum zur Behandlung nosokomialer Pneumonien (HABP) und beatmungsassoziierter Pneumonien (VABP) zugelassen, die durch Bakterien des Acinetobacter baumannii-calcoaceticus-Komplex (ABC-Komplex) verursacht werden.1,2
Unter dem ABC-Komplex werden Acinetobacter baumannii (A. baumannii) und humanpathogene Verwandte aus der Familie der Acinetobacter zusammengefasst, die schwerwiegende nosokomiale Infektionen verschiedener Körperteile verursachen können, darunter vor allem bakterielle Pneumonien wie HABP und VABP. Besonders bedrohlich ist die Eigenschaft von A. baumannii durch diverse intrinsische als auch erworbene Resistenzmechanismen gegenüber multiplen Antibiotika resistent zu werden, was sich in einer weltweiten Zunahme an multirestenten A. baumannii niederschlägt. Für die Therapie multiresistenter A. baumannii stehen derzeit nur wenig Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, insbesondere beim Vorliegen einer Infektion mit carbapenemresistenten A. baumannii (CRAB), die mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. CRAB zählen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den kritischsten Erregern unserer Zeit, gegen die Antibiotika mit höchster Priorität entwickelt werden sollten.1-5
Das Arzneimittel XACDURO ist eine Kombination aus dem β-Lactam Sulbactam und dem Diazabicyclooctan Durlobactam. Das β-Lactam Sulbactam ist mit seiner Funktion als irreversibler Inhibitor von β-Lactamasen der Ambler Klassen A und C bereits seit einiger Zeit in Kombination mit anderen Antibiotika im Einsatz. Darüber hinaus besitzt Sulbactam aber auch eine direkte intrinsische bakterizide Aktivität gegen A. baumannii, da es die für die Peptidoglykan-Synthese notwendigen Penicillin-bindenden Proteine PBP1 und PBP3 inaktiviert. Zum Schutz vor dem Abbau von Sulbactam durch bestimmte Serin-β-Lactamasen ist wiederum Durlobactam enthalten, eine neuer β-Lactamase-Inhibitor mit breiter Aktivität gegen β-Lactamasen der Klassen A, C und D, die in multiresistenten A. baumannii weit verbreitet sind und die Behandlung des Erregers erschweren.2,3,5
XACDURO enthält die beiden Wirkstoffe in separaten Durchstechflaschen, die nach entsprechender Rekonstitution und Verdünnung durch eine gemeinsame intravenöse Infusion über 3 Stunden verabreicht werden. Die empfohlene Standarddosierung beträgt 1 g Sulbactam und 1 g Durlobactam alle 6 Stunden über 7 bis 14 Tage, wobei das Dosierintervall an die Nierenfunktion angepasst werden muss.2
Wirksamkeit und Sicherheit der Sulbactam-Durlobactam-Kombination wurden in der randomisierten und aktiv kontrollierten ATTACK-Studie untersucht, in die 176 hospitalisierte Patienten mit einer Pneumonie eingeschlossen waren, die durch einen Erreger aus dem ABC-Komplex verursacht wurde. Die Patienten erhielten entweder Sulbactam-Durlobactam in der empfohlenen Dosierung oder das Polymyxin Colistin (2,5 mg/kg bzw. nierenadaptierte Dosierung) alle 12 h im Anschluss an eine Loading Dose von 2,5-5 mg/kg. Alle Patienten wurden außerdem mit Imipinem/Cilastatin (1g/1g alle 6h) behandelt, um andere potenzielle eine HABP/VABP verursachende Pathogene zu adressieren, die nicht zum ABC-Komplex gehören.2,6
Als primärer Endpunkt wurde die 28-Tage-Gesamtmortalität bei Patienten mit laborbestätigten carbapenemresistenten ABC-Komplex-Isolaten herangezogen. Innerhalb von 4 Wochen starben in der Sulbactam-Durlobactam-Gruppe 19 % der Patienten im Vergleich zu 32 % der Patienten unter Colistin-Therapie. Die Therapie war im Allgemeinen gut verträglich, eine Nephrotoxizität trat unter Sulbactam-Durlobactam signifikant seltener auf als unter Colistin. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Leberfunktionsstörungen (inklusive Anstieg der Leberenzyme), Diarrhö, Anämie und Hypokaliämie.2,6
XACDURO ist das einzige Antibiotikum, das ausschließlich für die Behandlung von CRAB entwickelt wurde. Die Kombination aus altbekanntem Sulbactam und neuem β-Lactamase-Inhibitor zeigte sich in der ATTACK-Studie einer Therapie mit Colistin bei Kombination mit Imipinem/Cilastatin nicht unterlegen und könnte damit eine wertvolle Therapieoption zur Behandlung einer der bedrohlichsten Krankheitserreger unserer Zeit darstellen. Eine Zulassung bzw. Zulassungsempfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde ist bisher noch nicht erfolgt.
1 U.S. Food & Drug Administration (FDA). FDA Approves New Treatment for Pneumonia Caused by Certain Difficult-to-Treat Bacteria. Press
Announcement; published online May 23, 2023.
URL: https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-new-treatment-pneumonia-caused-certain-difficult-treat-bacteria
2 U.S. Food & Drug Administration (FDA). Xacduro (Sulbactam, Durlobactam): Full Prescribing Information; published online May 2023.
URL: https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/216974Orig1s000Correctedlbl.pdf
3 Watkins, R. R. et al. Sulbactam-durlobactam: A Step Forward in Treating Carbapenem-Resistant Acinetobacter baumannii (CRAB) Infections. Clin Infect
Dis 2023; 76(S2):163–165.
doi: 10.1093/cid/ciad093
4 World Health Organization (WHO). Prioritization of pathogens to guide discovery, research and development of new antibiotics for drug-resistant bacterial infections, including
tuberculosis. Geneva, 2017. WHO/EMP/IAU/2017.12
5 El‐Ghali, A. et al. Sulbactam‐durlobactam: A Novel β‐lactam‐β‐lactamase Inhibitor Combination Targeting Carbapenem‐Resistant Acinetobacter baumannii Infections. Pharmacotherapy 2023;
published online first Apr 13, 2023. doi: 10.1002/phar.2802
6 Kaye, K. S. et al. Efficacy and safety of sulbactam-durlobactam versus colistin for the treatment of patients with serious infections caused by Acinetobacter baumannii-calcoaceticus
complex: a multicentre, randomised, active-controlled, phase 3, non-inferiority clinical trial (ATTACK). Lancet Infect Dis 2023; published online first May 11, 2023.
doi: 10.1016/S1473-3099(23)00184-6
26.07.2023
Das 11. Sepsis Update der Deutschen Sepsis Gesellschaft (DSG) findet vom 6.-8. September in Weimar unter dem Motto „Immuntherapien – Fortschritte und Anpassungen“ statt. Bis zu 31. Juli besteht noch die Möglichkeit, Ihr Abstract online einzureichen. Die drei besten Präsentationen erhalten Posterpreise in Höhe von 1.000 / 750 / 500 Euro. Mehr erfahren
26.07.2023
Harnwegsinfektionen (HWI) sind bei Frauen sehr häufig und können durch eine Reihe von Erregern verursacht werden. Die hohen Rezidivraten und die zunehmende Antibiotikaresistenz von Uropathogenen machen Harnwegsinfektionen zu einem schwerwiegenden Problem in der Gesundheitsversorgung.
D-Mannose ist ein Monosaccharid, das strukturelle Ähnlichkeit mit Glykoproteinen des Epithels im Harntrakt (z.B. Uroplakin) aufweist, an die Uropathogene, insbesondere Escherichia coli,
mittels Typ 1 Fimbrien oder Pili bindet. Daher kann eine ausreichend hohe Urinkonzentration von D-Mannose nach oraler Einnahme die Adhäsion der Bakterien an das Urothelium kompetitiv hemmen. Mehrere
klinische Studien haben die Wirksamkeit von D-Mannose bei der Vorbeugung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen untersucht. Diese Studien lieferten aber nur begrenzte Evidenz für die Wirksamkeit von
D-Mannose in der Akuttherapie.
Eine kürzlich durchgeführte prospektive, nicht-randomisierte Studie bei Patientinnen mit akuter Zystitis berichtete nun über gute Erfolgsraten bei der Behandlung mit D-Mannose.
In einer Post-hoc-Analyse dieser Beobachtungsstudie wurden Patientinnen in drei Gruppen eingeteilt: D-Mannose Monotherapie, D-Mannose Kombinationstherapie mit Antibiotika, D-Mannose in Kombination
mit anderen therapeutischen Maßnahmen (Nieren- oder Blasentee). Heilung wurde als Patienten-dokumentierte Abwesenheit von Brennen oder Schmerzen beim Wasserlassen beurteilt. Unter der D-Mannose
Monotherapie wurden nach drei Tagen 85,7 % als geheilt beurteilt, 56,6 % in der D-Mannose-Antibiotika Kombinationsgruppe und 56,3 % in der Gruppe mit D-Mannose und anderen therapeutischen Maßnahmen.
Am letzten Tag der Dokumentation waren die Heilungschancen mit 92,9 %, 83,0 % und 87,5 % vergleichbar.
Schlussfolgerung der Autoren
In der Post-hoc-Analyse zeigte sich, dass D-Mannose als Monotherapie bei der akuten unkomplizierten Zystitis sehr gute klinische Heilungsraten erzielte, die mit denen einer D-Mannose-Antibiotika
Kombination vergleichbar waren. Es sind jedoch weitere randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien mit einer relevanten Anzahl von Patienten erforderlich, um die positive Wirkung von D-Mannose
bei akuter unkomplizierter Zystitis zu mit ausreichender Evidenz bestätigen.
Die Ergebnisse zeigen, dass D-Mannose eine vielversprechende Alternative zu Antibiotika bei der Behandlung akuter unkomplizierter Harnwegsinfektionen bei Frauen ist.
Wagenlehner, F. et al. Why d-Mannose May Be as Efficient as Antibiotics in the Treatment of Acute Uncomplicated Lower Urinary Tract Infections—Preliminary Considerations and Conclusions from a Non-Interventional Study. Antibiotics. 2022; 11(3):314. doi: 10.3390/antibiotics11030314
28.06.2023
Sepsis ist eine schwere Erkrankung mit hoher Morbidität und Mortalität. In diesem Editorial zu einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie (EXIT-SEP-Studie, Liu et al. JAMA Intern Med. 2023; published online first May 1, 2023. doi: 10.1001/jamainternmed.2023.0780) wurde die Wirksamkeit der Xuebijing-Injektion (XBJ), einem intravenös zu verabreichenden pflanzlichen Präparat zur Behandlung von Sepsis, und vor allem der Weg zu einer möglichen Zulassung beschrieben.
Die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) reguliert ein pflanzliches Produkt als Arzneimittel, wenn es für die Diagnose, Heilung, Milderung, Behandlung oder
Vorbeugung einer Krankheit bestimmt ist. Somit unterliegt ein pflanzliches Produkt wie XBJ (es ist kein Arzneimittel) den gleichen US-Zulassungsstandards wie ein Arzneimittel. Vor der Zulassung muss
die FDA feststellen, dass das Medikament für die vorgeschlagene Anwendung sicher und wirksam ist. Die FDA hat die rechtliche Befugnis, ausländische Daten als alleinige Grundlage für eine
Marktzulassung zu akzeptieren, wenn die Daten auf die US-Bevölkerung anwendbar und für die medizinische Praxis in den USA als relevant erachtet werden.
In der EXIT-STEP Studie war die 28-Tage Mortalität in der XBJ-Gruppe mit 18,8 % signifikant niedriger als in der Placebogruppe (26,1 %, p < 0.001). Könnte die EXIT-SEP-Studie einen substanziellen
Beweis für die Wirksamkeit als Einzelstudie liefern? Die Autoren weisen darauf hin, dass es sich zwar um eine große multizentrische Studie mit 1817 Patienten in 45 Studienzentren handelte und die
Ergebnisse eine klinisch aussagekräftige und statistisch überzeugende Wirkung auf die Sterblichkeit zeigten. Es fehlen jedoch wichtige Studieneigenschaften, um den Schluss zu ziehen, dass die Studie
ein breites Spektrum von Patienten umfasste. Die sekundären Endpunkte waren nur explorativer Natur, da es keine Kontrolle der Fehlerraten gab.
Die Autoren weisen auf die begrenzte Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse hin und stellen fest, dass sich die Sterblichkeitsrate bei Sepsis in China von der in anderen Ländern unterscheidet. Die
primären Infektionsorte in der EXIT-SEP-Studie unterschieden sich von US-amerikanischen Sepsis Populationen mit hohen Raten von Lungen- (45 %) und intraabdominalen Infektionen (32 %). In die Studie
wurden wenige Patienten mit schwerer Sepsis rekrutiert. Der mittlere APACHE-II-Score (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation) als Marker für den klinischen Schweregrad lag in beiden Gruppen
bei etwa 12, und nur 3,5 % der Patienten hatten zu Beginn der Studie einen APACHE-II-Score von 25 oder höher. Die Studie enthält keine Angaben über die Anzahl der Patienten im Alter von 65 Jahren und
älter. Patienten, die älter als 75 Jahre waren, wurden ausgeschlossen. Problematisch sind relativ viele fehlende Daten zu Vitalzeichen: sie waren bei 33 Patienten (3,6 %) in der XBJ-Gruppe und bei 24
Patienten (2,6 %) in der Placebogruppe unbekannt.
Weiterhin war die Schwelle für die Meldung schwerwiegender unerwünschter Ereignisse vergleichsweise hoch. Während der Studie traten zahlreiche schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf, da etwa 22 %
der Patienten starben. Es scheint so, dass die Prüfer alle schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse als krankheitsbedingt und keines als arzneimittelbedingt einstuften. Die Sicherheit von XBJ ist
daher schwer zu charakterisieren.
Schlussfolgerung der Autoren
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ergebnisse der EXIT-SEP1-Studie vielversprechend sind, aber wichtige Einschränkungen aufweisen. Um diese Ergebnisse zu bestätigen und ihre Verallgemeinerbarkeit zu gewährleisten, wäre eine internationale Studie mit einer Patientenpopulation mit verschiedenen Sepsis-Schweregraden notwendig, die eine komplette und kontrollierte Datenerfassung gewährleistet. Schließlich gelten für pflanzliche Arzneimittel bei der FDA die gleichen Zulassungsstandards wie für alle Arzneimittel.
Unger, E. F. et al. Xuebijing Injection for the Treatment of Sepsis. What Would a Path to FDA Approval Look Like? JAMA Intern Med. 2023; published online first May 1, 2023.
doi: 10.1001/jamainternmed.2023.0788
28.06.2023
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28.06.2023
Die aktuellen Empfehlungen der STIKO zur COVID-19-Impfung wurden in die neuesten STIKO-Empfehlungen integriert. Gemäß dem Epidemiologischen Bulletin 21/2023 wird allen Personen ab 18 Jahren empfohlen, eine Basisimmunität aufzubauen, die aus drei Antigenkontakten besteht (Impfung oder Infektion, aber mit mindestens zwei Impfstoffdosen).
Zusätzlich empfiehlt die STIKO bestimmten Personengruppen weitere Auffrischimpfungen, die ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben. Dazu gehören Personen ab 60 Jahren, Personen ab 6
Monaten mit relevanten Grunderkrankungen, Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen sowie medizinisches oder pflegerisches Personal, die einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko
ausgesetzt sind. Auch Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von Personen unter immunsuppressiver Therapie, die durch eine COVID-19-Impfung selbst nicht ausreichend geschützt werden können,
sollten jährliche Auffrischimpfungen erhalten. Diese werden in der Regel im Abstand von mindestens 12 Monaten zum letzten Antigenkontakt, vorzugsweise im Herbst, durchgeführt. Lesen Sie hier das vollständige Epidemiologische Bulletin 21/2023
28.06.2023
Die Manifestation einer Sepsis kann sich hinter unspezifischen Symptomen verbergen, wie zum Beispiel dem Satz „Der Patient gefällt mir heute nicht!“ In solchen Momenten ist schnelles Handeln unerlässlich, um das Leben des Patienten zu retten. Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 60.000 Menschen aufgrund von Sepsis oder septischem Schock. Doch wie können wir die „Red Flags“ erkennen, die auf eine Sepsis hinweisen?
In einem Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. Timo Brandenburger, Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsklinik Düsseldorf, wird über die Sepsis und den septischen Schock gesprochen. Dr. Brandenburger erläutert die ersten klinischen Anzeichen, die zugrundeliegende Pathophysiologie und die entsprechenden Notfallmaßnahmen. Er betont: „Mit jeder Stunde […] steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient an der Sepsis verstirbt, deutlich an.“ Seine Botschaft lautet: „Denken Sie daran, dass es sie gibt!“. Jetzt reinhören
28.06.2023
Allergien gegen Antibiotika zählen zu den individuellen, nicht vorhersehbaren Arzneimittelunverträglichkeiten (sogenannte Typ-B‑Reaktionen). Dabei spielen Arzneimittelunverträglichkeiten in bis zu 3 % aller Krankenhauseinweisungen eine Rolle. Bei insgesamt 10–20 % der hospitalisierten Patienten kann es zu einer Arzneimittelunverträglichkeit im Rahmen des stationären Aufenthalts kommen. Die Mehrheit aller Arzneimittelunverträglichkeiten ist auf die normalen pharmakologischen Toxizitätseigenschaften der Substanzen zurückzuführen (sogenannte Typ-A‑Reaktionen).
Obwohl durch die anamnestische Angabe einer Penicillinallergie erhebliche Einschränkungen in der Therapie akuter Infektionen entstehen, die mit Nebenwirkungen und teilweise schlechteren
Therapieergebnissen assoziiert sind, wird die Allergie leider zumeist nicht kritisch hinterfragt. Bei 85–90 % der Patienten mit einer Penicillinallergie handelt es sich um unspezifische
Unverträglichkeitsreaktionen ohne Gefährdung bei Reexposition. Eine sorgfältige Anamnese der Beschwerden sowie erste einfache diagnostische Schritte können bereits wesentlich zur Klärung einer
relevanten Allergie beitragen, um so den Patienten bei antibiotikapflichtiger Infektion die optimale Therapie bieten zu können. Generell gilt, große Sorgfalt bei der Anamnese, dem Einholen der
Vorbefunde und somit der individuellen Risikoeinschätzung walten zu lassen. Im Zweifel sollte Rücksprache mit einer allergologischen Fachabteilung gehalten werden.
Kreuzallergien zwischen verschiedenen β‑Lactam-Antibiotika können auftreten, das Risiko ist jedoch substanzabhängig und kann anhand entsprechender Tabellen eingeschätzt werden. Kreuzreaktionen
entstehen meist durch Übereinstimmungen in den R1-Seitengruppen, was überwiegend für die Penicillinabkömmlinge zutrifft. Kreuzreaktionen zwischen Penicillinen und Cephalosporinen bzw. Carbapenemen
oder Monobactamen sind äußerst selten.
Schlussfolgerung der Autoren
Kreuzreaktionen entstehen meist durch Übereinstimmungen in den R1-Seitengruppen, was überwiegend auf Penicillinabkömmlinge zutrifft. Kreuzreaktionen zwischen Penicillinen und Cephalosporinen bzw. Carbapenemen oder Monobactamen sind äußerst selten. Bei der Mehrheit der Patienten mit einer anamnestischen Penicillinallergie können β-Lactame eingesetzt werden, was einerseits vorteilhaft für den Patienten und andererseits aus gesundheitsökonomischer und Antibiotic Stewardship-Perspektive wünschenswert ist.
Fazit
Dies ist ein wichtiges Thema, weil häufig fälschlicherweise den Patienten die wirksamste Substanzklasse komplett vorenthalten wird. Wie in einem ebenfalls lesenswerten Übersichtsartikel von Blumenthal et al. (Lancet 2019; 393: 183–98) schön zusammengestellt, beträgt das Kreuzallergie-Risiko zwischen Penicillinen und Cephalosporinen, die nicht die gleichen Seitenketten tragen, weniger als 2 % und zwischen Penicillinen und Carbapenemen weniger als 1 %.
Hornuß, D. et al. Antibiotikaallergien – gezieltes Vorgehen bei vermeintlicher β-Laktam-Allergie. Inn Med (Heidelb) 2023; 64(4):351–361. doi: 10.1007/s00108-023-01490-5
17.05.2023
Antimikrobielle Resistenz (AMR) stellt eine unmittelbare Bedrohung für die globale Gesundheit dar und wurde durch den unangemessenen Einsatz von Diagnostikmethoden, die zur übermäßigen Verschreibung von antimikrobiellen Wirkstoffen führen, verschärft. Diagnostic Stewardship (DS) ist eine Ergänzung zu Antimicrobial Stewardship (AMS) und betont den Einsatz der richtigen Tests für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt. Es fördert auch den bewussten Einsatz schneller und neuer molekularer Diagnosewerkzeuge, um eine wirksame Antibiotikatherapie einzuleiten und gleichzeitig die übermäßige Verwendung von Breitspektrumantibiotika zu vermeiden, wenn diese nicht erforderlich sind. Eine angemessene Interpretation der Testergebnisse ist entscheidend, um Übertherapien und unnötige Kosten im Gesundheitswesen zu vermeiden. Obwohl viele schnelle Diagnosewerkzeuge mit hoher diagnostischer Ausbeute entwickelt wurden, sind sie oft durch eingeschränkte Zugänglichkeit, Kosten und mangelndes Wissen über ihre Verwendung limitiert. Eine sorgfältige Berücksichtigung von klinischen Anzeichen und Symptomen sowie Kenntnisse der lokalen Epidemiologie sind für DS von zentraler Bedeutung. Dies ermöglicht eine angemessene Interpretation mikrobiologischer Ergebnisse. Multidisziplinäre Teams sollten zusammenarbeiten, um DS zu fördern. Hindernisse in der Umsetzung des DS werden hauptsächlich durch Ressourcenknappheit und mangelndes geschultes Personal, und vor allem durch mangelndes Wissen verursacht. Der Mangel an Ressourcen ist häufig darauf zurückzuführen, dass das Bewusstsein dafür fehlt, welche Auswirkungen eine gute mikrobiologische Testung und Fachkenntnisse auf den richtigen Einsatz von Antibiotika haben können. Groß angelegte Forschungsarbeiten sind erforderlich, um weitere Belege für die Vorteile von DS für die Patientenergebnisse und die Gesundheitskosten zu liefern. Darüber hinaus sind Studien aus ressourcenarmen Gebieten erforderlich, um besser zu verstehen, wie DS in einem solchen Kontext etabliert werden kann. Eine gute klinische Mikrobiologie sollte DS als Kernaktivität einbeziehen, da sie für den Erfolg von AMS und Infektionsprävention wichtig ist. Das Potenzial von DS kann nicht voll ausgeschöpft werden, wenn es nicht mit einer angemessenen AMS gepaart wird.
Schlussfolgerung der Autoren
DS ist gekennzeichnet durch die Verordnung des korrekten Tests für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit. Damit unterstützt DS das AMS. Voraussetzung für DS ist die Kenntnis der diagnostischen Charakteristika des jeweiligen Tests. Empfehlenswert ist dafür die Zusammenarbeit in einem multidisziplinären Team aus Infektiologen, Mikrobiologen, Pflegefachpersonen und Epidemiologen. Bei der Integration des DS In den Alltag ist die elektronische Krankenakte hilfreich, indem sie klinische Behandlungspfade zur Verfügung stellt oder Verordnungen korrigiert.
Fazit
Nicht alles was diagnostisch möglich ist, ist klinisch sinnvoll. Entscheidend ist die Kenntnis über Stärken und Schwächen der diagnostischen Tests, um diese gezielt einzusetzen. Außerdem ist nicht jeder Erregernachweis therapiepflichtig. Das sogenannte „selective reporting“ beschreibt das gezielte Zurückhalten nicht therapierelevanter mikrobiologischer Befunde, um unnötige Therapien zu vermeiden und ist eine anerkannte ABS-Strategie.
Zakhour, J. et al. Diagnostic stewardship in infectious diseases: a continuum of antimicrobial stewardship in the fight against antimicrobial resistance. Int J
Antimicrob Agents 2023; 62(1).
doi: 10.1016/j.ijantimicag.2023.106816
17.05.2023
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat am 26.04.2023 den weltweit ersten Impfstoff gegen RSV zur Zulassung empfohlen. Der Impfstoff unter dem Produktnamen AREXVY ist für die aktive Immunisierung von Erwachsenen ab 60 Jahren vorgesehen, zum Schutz vor Erkrankungen der unteren Atemwege, die durch RSV verursacht werden.1
RSV galt lange Zeit als typische Viruserkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern. Auch Erwachsene können wiederholt an RSV erkranken, da keine lebenslange Immunität besteht. Neuere Studien zeigen, dass RSV-Infektionen bei älteren Erwachsenen ähnlich schwerwiegend sein können wie Influenza.2 Besonders onkologische und immunsupprimierte Patienten sind gefährdet, wie Ausbrüche mit Todesfällen in Deutschland gezeigt haben. Schätzungen der EMA zufolge sind RSV-Infektionen in Europa pro Jahr für ca. 250.000 Krankenhausaufenthalte und 17.000 stationäre Todesfälle bei Menschen über 65 Jahren verantwortlich.1,3
Bereits in den 1960er Jahren wurde versucht, einen RSV-Impfstoff für Säuglinge auf Basis eines Formalin-inaktivierten Virus zu entwickeln. Die entsprechenden RCTs endeten jedoch in einem Desaster, da 80% der geimpften Kinder im Vergleich zu 5% der Kontrollgruppe eine schwere RSV-Infektion erlitten.4 Spätere Laborarbeiten deuteten darauf hin, dass das Fusionsprotein des Virus - das Hauptziel für neutralisierende Antikörper - durch die Formalininaktivierung seine Struktur veränderte -also nicht mehr in der Präfusionsform vorlag. Die durch die Impfung induzierten Antikörper neutralisierten das Virus nicht ausreichend. Stattdessen induzierten diese eine überschießende inflammatorische Reaktion, die zu schweren Krankheitsverläufen führte (vaccine-associated enhancement of disease, VAED).5 Erst ein halbes Jahrhundert später gibt es nun wieder Impfstoffentwicklungen gegen RSV.
AREXVY enthält als Antigen eine veränderte und rekombinant hergestellte Version des sogenannten RSV-Fusionsoberflächenproteins in einer präfusionsstabilisierten Form (RSVPreF3). Dieses Protein ist beim natürlichen Virus unerlässlich für die Infektion des Körpers, da es die Fusion mit den menschlichen Epithelzellen der Schleimhäute der Atemwege ermöglicht. Durch die Applikation des Impfstoffs wird die Bildung neutralisierender Antikörper gegen das enthaltene Oberflächenprotein sowie die antigenspezifische zelluläre Immunantwort bei Personen mit bereits bestehender Immunität gegen RSV gesteigert. Zur Verstärkung der Immunreaktion ist außerdem das Adjuvans AS01E enthalten.1,3
Der Impfstoffkandidat wurde auf Grundlage einer aktuell laufenden internationalen Studie im Rahmen des beschleunigten Bewertungsverfahrens vom CHMP geprüft. In dieser multizentrischen, randomisierten und placebokontrollierten Phase-III-Studie wird die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs an ca. 25.000 älteren Erwachsenen überprüft, von denen die Hälfte mit AREXVY geimpft wurde. Bisherige Ergebnisse zeigten, dass etwa 83 % der geimpften Personen durch eine Einzeldosis AREXVY für mindesten 6 Monate gegen durch RSV verursachte Atemwegserkrankung geschützt waren. Zusätzlich wurde auch das Risiko für schwere Krankheitsverläufe signifikant reduziert. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Schmerzen an der injektionsstelle zählten zu den häufigsten gemeldeten unerwünschten Wirkungen. Da die bisherigen Ergebnisse nur auf den Daten aus einer ersten RSV-Saison basieren, sollen im weiteren Verlauf der Studie die Dauer des Impfschutzes über mehrere Saisons sowie die Sicherheit und Wirksamkeit einer Auffrischimpfung untersucht werden.1,3,6
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat den Impfstoff bereits am 03.05.2023 zugelassen.2 Für eine Zulassung in Europa ist nach der positiven Stellungnahme des CHMP noch der Beschluss der Europäischen Kommission nötig. Abseits der symptomatischen Therapie der Infektion steht hierzulande aktuell nur der monoklonale Antikörper Palivizumab (SYNAGIS) als zugelassenes Arzneimittel zur passiven Immunisierung von Kindern unter 2 Jahren mit einem hohen Risiko für RSV-Infektionen. Bereits in Europa zugelassen, aber noch nicht auf dem Markt verfügbar, ist der gegen das RSV Fusionsprotein gerichtete monoklonale Antikörper Nirsevimab mit verlängerter Halbwertszeit.7 Weitere Impfstoffe gegen RSV befinden sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Entwicklung, darunter auch Impfstoffe für Schwangere, die das Neugeborene nach der Geburt schützen sollen.
1 First vaccine to protect older adults from respiratory syncytial virus (RSV) infection. European Medicines Agency (EMA); published online Apr 26, 2023. https://www.ema.europa.eu/en/news/first-vaccine-protect-older-adults-respiratory-syncytial-virus-rsv-infection [05.05.2023]
2 Chorazka, M. et al. Clinical outcomes of adults hospitalized for laboratory confirmed respiratory syncytial virus or influenza virus infection. PLoS One 2021; 16(7):e0253161. doi: 10.1371/journal.pone.0253161
3 FDA Approves First Respiratory Syncytial Virus (RSV) Vaccine. Press Announcement. U.S. Food & Drug Administration (FDA); published online May 3, 2023. https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-first-respiratory-syncytial-virus-rsv-vaccine [05.05.2023]
4 Kim, H.W. et al. Respiratory syncytial virus disease in infants despite prior administration of antigenic inactivated vaccine. Am J Epidemiol 1969; 89(4):422–434. doi: 10.1093/oxfordjournals.aje.a120955
5 Bigay, J. et al. Vaccine-associated enhanced disease: field evidences and challenges for vaccine development. Front Microbiol 2022; 13:932408. doi: 0.3389/fmicb.2022.932408
6 Papi, A. et al. Respiratory syncytial virus prefusion F protein vaccine in older adults. N Engl J Med 2023; 388(7):595-608. doi: 10.1056/NEJMoa2209604
7 EMA Summary of Product Characteristics. Nirsevimab (Beyfortus). Apr 28, 2023.
17.05.2023
Hatten Sie auch schon mit Ausbrüchen zu tun, bei denen sich die Suche nach der Quelle extrem schwierig gestaltete? Über „Kuriose Quellen nosokomialer Infektionen” berichtet Dr. Sebastian Haller in seinem Vortrag beim 6. Workshop Antibiotikaresistenzen. Jetzt Video ansehen
17.05.2023
Bei Patienten mit Rifampicin-resistenter Tuberkulose werden rein orale Behandlungsschemata benötigt, die wirksamer und kürzer sind sowie ein besseres Nebenwirkungsprofil aufweisen als die derzeitigen Therapieregime.
In einer nicht-verblindeten multizentrischen, randomisierten, non-inferiority Studie (TB-PRACTECAL) wurden Wirksamkeit und Sicherheit von drei 24-wöchigen, rein oralen Therapieschemata für die
Behandlung von Rifampicin-resistenter Tuberkulose untersucht. An dieser Studie nahmen Patienten in Belarus, Südafrika und Usbekistan teil, die 15 Jahre oder älter waren und an einer
Rifampicin-resistenten Lungentuberkulose litten. Darüber hinaus wurde in dieser Studie eine 24-wöchige Behandlung mit Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin (BPaLM) mit einer 9- bis
20-monatigen Standardbehandlung verglichen. Der primäre Endpunkt war ein ungünstiges Therapieergebnis (zusammengesetzt aus Tod, Therapieversagen, Behandlungsabbruch, loss to follow-up oder Rezidiv
der Tuberkulose) 72 Wochen nach Randomisierung. Die Nichtunterlegenheitsmarge betrug 12 Prozentpunkte. Die Studie bestand aus zwei Teilen. Im ersten Teil sollten basierend auf Sicherheit und
Wirksamkeit 8 Wochen nach Randomisierung Therapieregime für den zweiten Teil der Studie ausgesucht werden, die Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid (BPaL) enthielten. Dafür wurden Patient in entweder
das Standardregime randomisiert oder in eines von 3 experimentelle 24-Wochen orale Regime: BPaL, BPaLM oder BPaL mit Clofazimin (BPalC). Im zweiten Teil der Studie wurden Patienten in entweder das
Standardtherapieregime oder das (in Teil 1 ausgewählte) experimentelle Therapieschemata randomisiert für den primären Endpunkt.
In Teil 1 der Studie wurden 552 Patienten in eine der 4 initialen Therapiegruppen randomisiert. Aufgrund der höchsten Wirksamkeit nach 8 Wochen (Kulturkonversion 77 % vs. 67 % für BPaLC und 46 % für BPaL) und bei vergleichbarer Sicherheit wurde BPaLM als Vergleichsgruppe gegenüber dem Standardregime für den Teil 2 der Studie ausgewählt. Von 301 Patienten in diesem 2. Teil der Studie konnten 145, 128 und 90 Patienten in der Intention-to-treat- (ITT), modifizierten Intention-to-treat-(mITT) bzw. Per-Protocol (PP) Population ausgewertet werden. In der mITT-Analyse erreichten 11 % der Patienten in der BPaLM-Gruppe und 48 % der Patienten in der Standardtherapiegruppe den primären Endpunkt (Risikodifferenz 37 % Punkte, 96.6 % Konfidenzintervall -53 % bis -22 %). In der PPl-Analyse erreichten 4 % der Patienten in der BPaLM-Gruppe und 12 % der Patienten in der Standardtherapiegruppe den primären Endpunkt (Risikodifferenz -9 %, 96.6 % Konfidenzintervall -22 % bis 4 %). In der „as-treated” Population für die Sicherheitsanalyse, in der alle randomisierten Patienten eingeschlossen waren, die mindestens eine Dosis der Studienmedikamente erhalten hatten, war die Inzidenz von unerwünschten Ereignissen des Grades 3 oder höher oder von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen in der BPaLM-Gruppe signifikant geringer als in der Standardtherapiegruppe (19 % vs. 59 %).
Schlussfolgerung der Autoren
Diese länderübergreifende, randomisierte, kontrollierte Studie zu 24-wöchigen, rein oralen Therapieschemata mit Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid zeigte, dass die Behandlung der
Rifampin-resistenten Tuberkulose mit BPaLM sowohl wirksamer war als auch ein besseres Sicherheitsprofil aufwies als die 9-20-monatige Standardtherapie. BPaLC (Clofazimin statt Moxifloxacin) und BPaL
(Linezolid statt Moxifloxacin) waren ebenfalls hochwirksam. Bei Patienten mit Rifampin-resistenter Lungentuberkulose war eine 24-wöchige, rein orale Behandlung der üblichen Standardtherapie nicht
unterlegen.
Fazit
Das Therapieschemata BPaL(M) über 24 Wochen wurde auch bereits erfolgreich bei multiresistenter (MDR) Tuberkulose getestet. Herausforderung bleibt einerseits die Nebenwirkungsrate. Andererseits ist
genau die Resistenzentwicklung zu beobachten, da in diesen kurzen oralen Regimes die potentesten und wertvollsten Medikamente für die MDR-Tuberkulose enthalten sind. Sollten diese durch einen
breiteren Einsatz bei weniger resistenten Tuberkulosefällen verloren werden, so könnte sich ein umso bedrohlicheres Szenario bei den besonders schwer zu therapierenden Patienten ergeben. Wir sind
gespannt auf Modellierungen und wie rasch diese Regimes Eingang in neue Leitlinien finden werden.
Nyang’wa, B.-T. et al. A 24-Week, All-Oral Regimen for Rifampin-Resistant Tuberculosis. N Engl J Med 2022; 387:2331–2343.
doi: 10.1056/NEJMoa2117166
19.04.2023
Es werden erweiterte Stabilitätsdaten für antimikrobielle Wirkstoffe für die ambulante parenterale antimikrobielle Therapie (OPAT) benötigt, um die Haltbarkeit von Antibiotika in aseptisch zubereiteten Elastomer-Infusoren festzulegen. Im Vereinigten Königreich wurden die relevanten Standards für die Stabilitätsprüfung und die Zuweisung der Haltbarkeitsdauer in dem „Standard Protocol for Deriving and Assessment of Stability-Part 1 (Aseptic Preparations-Small Molecules)“ veröffentlicht, dem Yellow Covered Document (YCD). Bei einer früheren systematischen Überprüfung aus dem Jahr 2017 konnten keine Daten zur Stabilität von antimikrobiellen Substanzen in Elastomerpumpen für OPAT ermittelt werden, die den damals geltenden YCD-Anforderungen entsprachen. Ziel dieser Studie war es, diese Suche zu aktualisieren, nachdem die YCD-Anforderungen 2017 und 2019 geändert wurden, und den Datensatz zur Stabilität von Antibiotika für OPAT zu erweitern.
Es wurde nach entsprechenden Arbeiten zur prolongierten Stabilität von Antibiotika gesucht, in denen deren Haltbarkeit nach Lagerung bei Kühl- oder Raumtemperatur und anschließender Prüfung bei einer
Temperatur von 32 °C oder darüber bewertet wurde. In der Regel werden Konzentrationen der aktiven Substanz zwischen 95 % und 105 % der Ausgangskonzentration am Ende der Verabreichungsperiode
toleriert. Daneben berücksichtigen die YCD-Kriterien auch allfällige toxische Abbauprodukte.
Von 267 ursprünglichen Referenzen erfüllten sechs die Einschlusskriterien und wurden zur Datenextraktion einer Volltextprüfung unterzogen. Bei den einbezogenen antimikrobiellen Mitteln handelte es
sich um Cefazolin, Ceftazidim, Piperacillin/Tazobactam, Flucloxacillin und Ceftolozan/Tazobactam. Von diesen zeigten nur Flucloxacillin und Piperacillin eine YCD-konforme Stabilität über einen
Infusionszeitraum von 24 Stunden, während Cefazolin, Ceftazidim und Ceftolozan/Tazobactam über einen Zeitraum von 12 Stunden infundiert werden konnten.
Schlussfolgerung der Autoren
Im Gegensatz zu der in der Überprüfung von 2017 vertretenen Position liegen jetzt Daten vor, die die Verwendung einer Reihe von antimikrobiellen Wirkstoffen bei der verlängerten Infusion in Elastomerprodukten für OPAT unterstützen. Es besteht die Notwendigkeit, den Datensatz zu erweitern und einen internationalen Konsens über die idealen Parameter für die Stabilitätsbewertung solcher Infusionen in Elastomerprodukten zu entwickeln.
Fazit
Insgesamt ist es enttäuschend, dass immer noch so wenige publizierte Daten zur Stabilität von Antibiotika existieren. Dies ist ein Hindernis für den Ausbau von OPAT-Programmen. Die im YCD geforderten Kriterien sind zugegebenermaßen streng und berücksichtigen neben Stabilität auch toxische Abbauprodukte. Dennoch zeigt diese Publikation an, dass tatsächlich mehrere Antibiotika für 12- oder 24-stündige Applikation bei Körpertemperatur geeignet sind und bestätigen damit unsere Alltagserfahrungen.
Jenkins, A. et al. Systematic review of the stability of antimicrobial agents in elastomeric devices for outpatient parenteral antimicrobial therapy services based on NHS Yellow Cover Document standards. Eur J Hosp Pharm 2022;29(6):304–307. doi: 10.1136/ejhpharm-2021-002729
19.04.2023
Zu einem der wichtigsten Infektionspräventionsmaßnahmen gehört die Händehygiene. Aus diesem Grund wird jedes Jahr am 5. Mai die Aufmerksamkeit auf den Internationalen Tag der Händehygiene gelenkt, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Händehygiene bei der Verhinderung von Infektionen zu stärken. Händewaschen ist eine einfache, aber wirksame Methode zur Prävention und Verringerung der Übertragung von Krankheitserregern, wie Viren und Bakterien, die Infektionen verursachen können. Dies ist besonders wichtig in Gesundheitseinrichtungen, in denen Patienten, Mitarbeiter und Besucher einem erhöhten Risiko für Infektionen ausgesetzt sein können. Das Datum des 5.5. soll hierbei die fünf Finger jeder Hand symbolisieren.
Auch in diesem Jahr begleitet die WHO den 5. Mai mit der Kampagne „SAVE LIVES: Clean Your Hands” (RETTE LEBEN: säubere deine Hände). In jedem Jahr rückt ein anderer Bereich des Gesundheitswesens in den Fokus. Der diesjährige Slogan lautet „Accelerate action together“ (Gemeinsam Handeln beschleunigen), sodass sich die Aufforderung 2023 insbesondere an zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Partner, wie die Mitglieder des Globalen Netzwerks der WHO für Infektions- und Präventionskontrolle (IPC) richtet, um gemeinsam die Maßnahmen zur Prävention von Infektionen und Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel in der Gesundheitsversorgung durchzusetzen und zusätzlich eine Kultur der Sicherheit und Qualität aufzubauen, in der die Verbesserung der Händehygiene hohe Priorität eingeräumt wird.
Zum Internationalen Tag der Händehygiene möchten wir Sie ermutigen sich an der globalen Bewegung zur Verbesserung der Händehygiene im Gesundheitswesen zu beteiligen, um gewährleisten zu können, dass eine gute Händehygiene-Praxis in Ihrer Einrichtung umgesetzt wird. Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter und Patienten über die Bedeutung der Händehygiene informiert und geschult sind sowie geeignete Waschgelegenheiten und Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen. Dies kann dazu beitragen, Infektionen zu verhindern und die Sicherheit und Gesundheit aller in Ihrer Einrichtung zu fördern. Mehr Informationen
19.04.2023
Das 11. Sepsis Update der Deutschen Sepsis Gesellschaft (DSG) findet vom 6.-8. September in Weimar statt. Unter dem Motto „Immuntherapien – Fortschritte und Anpassungen“ greift die Deutsche Sepsis Gesellschaft die mit der Corona-Pandemie konfrontierte Situation der Intensivmediziner auf. SARS-CoV-2 als neuer Erreger hat das vielfältige Spektrum der Sepsis-Erreger erweitert. Herausragende Forscher:innen werden über die neuesten Fortschritte bei immunmodulatorischen Ansätzen zur adaptiven Immunantwort bei Sepsis berichten. Jetzt Video ansehen
19.04.2023
Eine Kurzzeit-Antibiotikatherapie könnte die Therapieadhärenz verbessern und unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Kosten reduzieren. Auf der Grundlage spärlicher Belege empfehlen die meisten Leitlinien jedoch eine längere Antibiotikatherapie bei nicht schwerer ambulant erworbener Lungenentzündung (CAP) bei Kindern. In einem systematischen Review und einer Meta-Analyse wurde untersucht, ob bei Kindern mit nicht-schwerer CAP eine kürzere Antibiotikagabe einer längeren Therapiedauer nicht unterlegen ist. Als Informationsquellen wurden die Datenbanken wie MEDLINE, Embase, Web of Science, die Cochrane Library und drei chinesische Datenbanken bis zum 31. März 2022 wie auch Studiendatenbanken und Google herangezogen.
Es wurden randomisierte klinische Studien untersucht, die eine kürzere gegen eine längere Therapie mit demselben oralen Antibiotikum bei Kindern mit nicht schwerer CAP verglichen. Für die
Zusammenführung der Daten wurden Random-Effects-Modelle genutzt. Zur Bewertung der Qualität der Evidenz wurde die GRADE-Methode (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation)
verwendet. Haupt-Endpunkt war das Therapieversagen, definiert als persistierende Pneumonie oder Neuauftreten von Warnsignalen (z.B. Lethargie, Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle, Unfähigkeit zum
Trinken), Fieber (> 38 °C) nach Therapieende, Wechsel der Antibiotikatherapie, Hospitalisation, Tod, Verpassen von mehr als 3 Dosen des Studienmedikaments, loss to follow-up und Entzug des
Einverständnisses. Neun randomisierte klinische Studien mit 11.143 Teilnehmenden wurden in diese Meta-Analyse einbezogen. Insgesamt 98 % der Teilnehmenden waren zwischen 2 und 59 Monate alt, und 58 %
waren männlich. Acht Studien mit 10.662 Patienten meldeten ein Therapieversagen. Dieses trat bei 12,8 % bzw. 12,6 % der Teilnehmenden auf, die eine kürzere bzw. längere Antibiotikatherapie erhielten.
Daten aus qualitativ-hochwertigen Studien belegten, dass eine kürzere orale Antibiotikagabe einer längeren Antibiotikagabe in Bezug auf Behandlungsversagen bei Kindern mit nicht-schwerer CAP nicht
unterlegen war (relatives Risiko: 1,01; 95 % Konfidenzintervall: 0,92-1,11). Eine 3-tägige Antibiotikabehandlung war einer 5-tägigen hinsichtlich Therapieversagen ebenfalls nicht unterlegen
(relatives Risiko: 1,01; 95 % Konfidenzintervall: 0,91-1,12), und auch eine 5-tägige Behandlung war einer 10-tägigen nicht unterlegen (relatives Risiko: 0,87; 95 % Konfidenzintervall: 0,50-1,53).
Eine kürzere Antibiotikagabe war mit signifikant weniger (-21 %) Gastroenteritis und signifikant seltenerer (-26 %) Abwesenheit des Betreuungspersonals verbunden.
Schlussfolgerung der Autoren
Die Ergebnisse der Meta-Analyse deuten darauf hin, dass bei Kindern im Alter von 2 bis 59 Monaten mit nicht-schwerer CAP eine kürzere Antibiotikagabe einer längeren Antibiotikagabe nicht unterlegen ist. Daher sollten kürzere Antibiotikatherapien für die Behandlung der nicht-schweren pädiatrischen CAP in Betracht gezogen werden.
Fazit
Diese Studie bestätigt die immer stärkere Evidenz für kurze Therapiedauer. Gerade auch vor dem realen Hintergrund des Versorgungsengpasses mit Antibiotika, der Selektion von Antibiotikaresistenzen und den nachteiligen Effekten von Antibiotika auf das Mikrobiom erscheint es nicht mehr nur als eine Option, sondern sollte es eine ärztliche Pflicht sein, die Antibiotikatherapie so kurz wie möglich zu halten.
Li Q, Zhou Q, Florez ID, et al. Short-Course vs Long-Course Antibiotic Therapy for Children With Nonsevere Community-Acquired Pneumonia: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Pediatr. 2022;176(12):1199–1207. doi: 10.1001/jamapediatrics.2022.4123
23.03.2023
In der Primärversorgung werden häufig Antibiotika verschrieben, die das Risiko einer Antibiotikaresistenz in der Bevölkerung erhöhen.
In dieser pragmatischen randomisierten klinischen Studie in der Schweiz wurde untersucht, ob ein vierteljährliches Audit und Feedback zur Verschreibung von Antibiotika bei Hausärzten mit mittleren
bis hohen Verschreibungsrate den Antibiotika-Einsatz reduzieren kann.
Die Studie wurde von Januar 2018 bis Dezember 2019 bei 3.426 Hausärzten und Kinderärzten in der Schweiz durchgeführt, die zu den 75 % Ärzten mit den höchsten Antibiotikaverschreibungen
gehörten.
Hausärzte wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert, um sich zwei Jahre lang einem vierteljährlichen Antibiotika-Verschreibungsaudit und einem Feedback mit Vergleich gegenüber ihren Kollegen
(Peer-Benchmarking) oder keiner Intervention zu unterziehen, wobei 2017 als Ausgangsjahr diente. Für die Prüfung und das Feedback wurden anonymisierte Daten auf Patientenebene von drei
Krankenversicherern verwendet, die etwa 50 % der Versicherten in der Schweiz umfassen. Die Interventionsgruppe erhielt außerdem evidenzbasierte Leitlinien für die Behandlung von Atemwegs- und
Harnwegsinfektionen sowie Informationen zur ambulanten Antibiotikaresistenz. Die Ärzte der Interventionsgruppe wurden über die Art der Studie verblindet, die Ärzte der Kontrollgruppe wurden nicht
über die Studie informiert.
Die für Audit und Feedback verwendeten Versicherungsdaten wurden für die Outcome-Analyse verwendet. Der primäre Endpunkt war die Antibiotika-Verschreibungsrate pro 100 Konsultationen im zweiten Jahr
der Intervention. Zu den sekundären Endpunkten gehörten der Gesamtantibiotikaverbrauch im ersten Jahr und über zwei Jahre, der Einsatz von Chinolonen und oralen Cephalosporinen,
Krankenhausaufenthalte jeglicher Ursache und der Antibiotikaverbrauch in drei Altersgruppen (≤ 5 Jahre, 6-65 Jahre, und > 65 Jahre).
Insgesamt wurden 3.426 Ärzte in die Interventions- (n = 1713) und Kontrollgruppe (n = 1713) randomisiert, die 629.825 bzw. 622.344 Patienten mit insgesamt 4.790.525 Konsultationen im Ausgangsjahr 2017 betreuten. In der gesamten Kohorte wurde im zweiten Jahr der Intervention im Vergleich zu 2017 ein relativer Anstieg der Antibiotika-Verschreibungsrate um 4,2 % festgestellt. In der Interventionsgruppe lag der Median der jährlichen Antibiotika-Verordnungsrate pro 100 Konsultationen im zweiten Jahr der Intervention bei 8,2 (IQR, 6,1-11,4) und in der Kontrollgruppe bei 8,4 (IQR, 6,0-11,8). Bezogen auf den Gesamtanstieg wurde in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine um -0,1 % (95 % CI, -1,2 % bis 1,0 %) niedrigere Antibiotika-Verordnungsrate pro 100 Konsultationen festgestellt. Mit Ausnahme von Chinolonen im zweiten Jahr der Intervention (-0,9 % [95 % CI, -1,5 % bis -0,4 %]) wurde keine relevante Verringerung der Verschreibungsrate für bestimmte Antibiotika zwischen den Gruppen festgestellt.
Schlussfolgerung der Autoren
Bei den Hausärzten in der Schweiz mit mittlerer bis hoher Antibiotika-Verordnungsrate führte das vierteljährliche personalisierte Audit der Antibiotikaverschreibung und das Feedback mit Peer-Benchmarking nicht zu einer Reduktion der Antibiotikaverschreibung.
Fazit
Die Autoren führen einige mögliche Ursachen für die fehlende Wirksamkeit auf, die tatsächlich entscheidend sein könnten. So wurde das Feedback mit einer 6-monatigen Latenz gegeben, wodurch es als weniger relevant erscheint und kaum auf die aktuelle Situation bezogen werden kann. Außerdem enthalten die Versicherungsdaten keine Angaben zu Diagnosen, weswegen keine Aussagen gemacht werden können, ob die Antibiotikatherapie angemessen war.
Aghlmandi S, Halbeisen FS, Saccilotto R, et al. Effect of Antibiotic Prescription Audit and Feedback on Antibiotic Prescribing in Primary Care: A Randomized
Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2023;183(3):213–220.
doi: 10.1001/jamainternmed.2022.6529
23.03.2023
Durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Deutschland im Hinblick auf die Tuberkulose-Fallzahlen als Niedriginzidenzland mit 4,9 pro 100.000 Einwohner eingestuft. Zudem sinken die
Fallzahlen seit 2019 kontinuierlich – bis vor kurzem, denn im Jahr 2022 wurde eine geringfügige Erhöhung verzeichnet. Eine mögliche Ursache stellen die Folgen des Ukraine-Kriegs dar. Menschen, die
aus einem Land mit einer höheren Inzidenz (70 pro 100.000 Einwohner) stammen, haben ein erhöhtes Risiko sich mit Tuberkulose zu infizieren und daran zu erkranken. Enger Kontakt mit an offener
Lungentuberkulose erkrankten Personen, aber auch andere Faktoren wie beengte Wohnverhältnisse und schlechte Hygienebedingungen, stellen eine Bedrohung dar. Flucht und Migration begünstigen diese
Faktoren, sodass die Zahlen in Niedriginzidenzländern steigen können.
Ziel der WHO ist es, die Zahl der Neuerkrankungen auf weniger als 1 pro 100.000 Einwohnung bis zum Jahr 2035 zu senken. Dies bedarf jedoch einer fächerübergreifenden Kooperation aller Mitwirkenden.
Zudem muss der Tuberkulosekontrolle eine höhere Bedeutung zugeschrieben werden. Um diese Thematik in der Öffentlichkeit zu platzieren und diese für die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen
Folgen zu sensibilisieren, gedenken wir am 24. März dem Welt-Tuberkulose-Tag. Mehr Informationen
23.03.2023
Infektionskrankheiten gehören zu den größten Herausforderungen der Gesundheitswesen weltweit. Die COVID-19-Pandemie hat das sehr eindrücklich verdeutlicht. Die Gesundheit von Mensch, Tier und
Umwelt ist eng miteinander verknüpft: Um neue Krankheiten zu verhindern und die globale Gesundheit zu verbessern, müssen daher Zusammenhänge und Abhängigkeiten verstanden werden. Dafür steht der
One-Health-Ansatz.
Prof. Leendertz ist Biologe und Veterinärmediziner. Als Gründungsdirektor des neu gegründeten Helmholtz-Instituts für One Health in Greifswald spricht er im Rahmen der Sepsis-Akademie zu „One Health
– oder der Blick über den Tellerrand“. Jetzt Video ansehen
23.03.2023
Liebe Leserinnen und Leser,
mit großer Freude darf ich mich bei Ihnen als neuer Mitherausgeber der Zeitschrift für Infektionstherapie vorstellen.
Ich bin Internist und klinischer Infektiologie und als Leitender Arzt in der Klinik für Infektiologie & Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen in der Schweiz tätig. Weiterhin bin ich
Titularprofessor an der Universität Zürich und Mitglied der Programmleitung des Joint Medical Masters in St. Gallen (JMM-HSG/UZH).
Nach meinem Medizinstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und an der Harvard Medical School in Boston, absolvierte ich meine Facharztausbildung in Innerer Medizin in der
Medizinischen Klinik Ziemssenstraße der LMU München sowie am Beth Israel Deaconess Medical Center/Harvard Medical School in Boston und anschließend meine Facharztausbildung in Infektiologie an der
Emory University in Atlanta. Nach einem Fellowship an der Respiratory and Meningeal Pathogens Research Unit am Chris Hani Baragwanath Hospital in Soweto/ University of the Witwatersrand,
Johannesburg, wo ich zu Pneumokokken-Epidemiologie und -Diagnostik forschte, kam ich 2007 in die Schweiz. Hier arbeitete ich zunächst am Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern, dann
an der Medizinischen Universitätsklinik am Kantonsspital Aarau und seit 10 Jahren nun am Kantonsspital St. Gallen.
Ich bin aktiv in der Patientenversorgung im Bereich der gesamten Infektiologie, in der medizinischen Lehre sowie in der klinischen und translationalen Forschung tätig. Meine klinischen und
wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Atemwegsinfektionen, der Infektionen auf Intensivstationen und des rationalen Antibiotikaeinsatzes.
Infektiologische Herausforderungen begegnen uns täglich nicht erst seit der COVID-19-Pandemie, sondern auch durch die zunehmenden Probleme der Antibiotikaresistenz und eine immer komplexere
Hochleistungsmedizin. Entsprechend werden auch wieder vermehrt neue Antiinfektiva entwickelt und getestet und das Interesse daran ist beträchtlich.
Zusammen mit Prof. Mathias Pletz freue ich mich, Ihnen auch in Zukunft spannende Neuigkeiten auf dem Gebiet der Infektionstherapie präsentieren zu dürfen.
Herzliche Grüße
Ihr
Werner Albrich
24.02.2023
Doxycyclin wird in Leitlinien als eine Behandlungsoption für die leichte, ambulant erworbene Lungenentzündung (CAP) bei Erwachsenen empfohlen. Da es ein „altes” Antibiotikum ist, gibt es dazu nur
wenige aktuelle Daten. In der nachfolgenden Arbeit wurde die Datenlage zur Wirksamkeit von Doxycyclin bei erwachsenen Patienten mit leichter bis mittelschwerer CAP überprüfend zusammengefasst.
Hierzu wurde eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse von randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) zu Doxycyclin im Vergleich zu einem anderen Vergleichspräparat durchgeführt.
Der primäre Endpunkt war die klinische Heilungsrate. Meta-Analysen mit randomisierten Effektenmodellen wurden verwendet, um gepoolte Odds Ratio zu erstellen und Heterogenität zu evaluieren. Das Risiko von Verzerrungen und die Qualität der Evidenz wurden mit dem Cochrane Risk of Bias 2.0-Tool und GRADE-Methoden bewertet. Es wurden dazu 6 RCTs mit 834 klinisch evaluierbaren Patienten eingeschlossen. Die Studien fanden zwischen 1984 und 2004 statt.
Die klinische Heilungsrate war zwischen der Doxycyclin- und der Vergleichsgruppe ähnlich (87,2% [381/437] gegenüber 82,6 % [328/397]). Eine Subgruppenanalyse von zwei Studien mit einem niedrigen
Bias-Risiko ergab signifikant höhere klinische Heilungsraten in der Doxycyclin-Gruppe (87,1 % [196/225] gegenüber 77,8 % [165/212]). Die Raten unerwünschter Ereignisse waren in der Doxycyclin-Gruppe
und der Vergleichsgruppe vergleichbar.
Vergleichstherapien waren drei Makrolide (Roxithromycin, Spiramycin und Erythromycin) und drei Fluorchinolone (Ofloxacin, Fleroxacin und Levofloxacin). Vier Studien wiesen insgesamt hohe Bias-Risiken
auf.
Schlussfolgerung der Autoren
Die Wirksamkeit von Doxycyclin war bei leichter bis mittelschwerer CAP mit der von Makroliden oder Fluorchinolonen vergleichbar und stellt somit eine praktikable Behandlungsoption dar. Allerdings
sind die Studien relativ alt. Um eine aktuelle Aussage treffen zu können, sind neue Studien erforderlich.
Sang-Ho Choi et al. Efficacy of Doxycycline for Mild-to-Moderate Community-Acquired Pneumonia in Adults: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized
Controlled Trials, Clinical Infectious Diseases, Volume 76, Issue 4, 15 February 2023, Pages 683–691, DOI: 10.1093/cid/ciac615
24.02.2023
In dieser Meta-Analyse wurde das Risiko einer Myokarditis/Perikarditis nach einer COVID-19-Impfung ausgewertet. Bis zum März 2022 erfolgte eine systematische Literatursuche in sieben Online-Datenbanken. Die Heterogenität wurde anhand des I2-Index geprüft. RR und 95 % CI wurden entweder durch Modelle mit zufälligen oder festen Effekten gepoolt. Es wurden auch Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Insgesamt wurden 11 Studien mit insgesamt 58.620.611 Personen einbezogen. Die COVID-19-Impfung war mit einem erhöhten Risiko für Myokarditis oder Perikarditis assoziiert (RR=2,04; 95 % CI=1,33, 3,14). Darüber hinaus wurde ein gegenüber der ersten Dosis erhöhtes Risiko für Myokarditis oder Perikarditis bei Personen nach der zweiten Dosis festgestellt (RR=4,06; 95 % CI=2,08, 7,92). Eine erhöhte Inzidenz von Perikarditis oder Myokarditis wurde vor allem bei Personen gefunden, die die Impfstoffe BNT162b (COMIRNATY) und mRNA-1273 (SPIKEVAX) erhielten.
Fazit
Die derzeitigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die COVID-19-Impfung mit einem erhöhten Risiko für Myokarditis oder Perikarditis verbunden ist. Außerdem haben Personen, die die zweite Dosis
erhalten haben, im Vergleich zur ersten Dosis ein höheres Risiko, an Myokarditis oder Perikarditis zu erkranken. Daher sollten Entscheidungen über die COVID-19-Impfung eine Risikobewertung des
Nutzens der COVID-19-Impfung in allen Alters- und Geschlechtsgruppen beinhalten. Die Ergebnisse sind jedoch durch die Anzahl und Qualität der eingeschlossenen Studien begrenzt, und es sind weitere
gut konzipierte Studien erforderlich, um die möglichen Mechanismen zu erklären, durch die COVID-19-Impfstoffe das Risiko einer Myokarditis oder Perikarditis erhöhen können.
Gao J et al. A Systematic Review and Meta-analysis of the Association Between SARS-CoV-2 Vaccination and Myocarditis or Pericarditis. Am J Prev Med. 2023
Feb;64(2):275-284.
doi: 10.1016/j.amepre.2022.09.002. Epub 2022 Sep 26.
27.1.2023
Am 5. Januar 2023 verstarb Prof. Ralf Stahlmann, ehemals kommissarischer und stellvertretender Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité – Universitätsmedizin
Berlin. Ralf Stahlmann ist nach langer, geduldig ertragener schwerer Erkrankung in seinem Haus in Berlin-Lichterfelde friedlich eingeschlafen.
Ralf Stahlmann wurde am 10. Februar 1950 in Mennighüffen, einem Ortsteil der Stadt Löhne in Nordrhein-Westfalen, geboren. Er absolvierte sein Abitur in Bad Oeynhausen und studierte von 1968 bis 1974
erfolgreich Pharmazie in Hamburg sowie von 1974 bis 1980 Medizin in Berlin. 1981 folgte die Promotion zum Thema „Pharmakokinetik und therapeutische Anwendung neuer oraler Cephalosporin-Antibiotika“
im Forschungslabor Antiinfektiva (Prof. H. Lode) des Klinikums Steglitz der FU Berlin. Von 1980 bis 2000 war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Toxikologie und Embryonalpharmakologie der
FU Berlin (Prof. D. Neubert), an dem er 1989 im Fach Pharmakologie und Toxikologie mit einer Arbeit über „Untersuchungen zur Reproduktionstoxizität von Chemotherapeutika“ habilitiert wurde. Von 1992
bis 1993 arbeitete Ralf Stahlmann als Visiting Professor am Department of Pharmacology and Toxicology, Purdue University, West Lafayette, USA, und trat im Juli 1992 der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für
Infektionstherapie e.V. bei, in der er bis zum Ende ein engagiertes und allseits beliebtes Mitglied war. 1995 erfolgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der FU Berlin. Von 2000 bis 2010
war er Universitätsprofessor (C3/W2) im Fachbereich Humanmedizin und fungierte dabei zunächst als kommissarischer, später als stellvertretender Direktor am Institut für Klinische Pharmakologie und
Toxikologie der Charité (Prof. R. Kreutz). 2008 initiierte Ralf Stahlmann den Masterstudiengang Toxikologie an der Charité, den er bis 2018 leitete. Weiterhin war er von 2005 bis 2021 Vorsitzender
der Ethikkommission der Charité (Ausschuss CBF). Seit 2015 repräsentierte er Deutschland als Mitglied im RAC (Risk Assessment Committee) der European Chemical Agency in Helsinki.
Wissenschaftliche Schwerpunkte von Ralf Stahlmann waren die Arzneimittel- und Reproduktionstoxikologie. So erarbeitete er mit seiner Forschungsgruppe in Zell- und Tierexperimenten unter anderem
grundlegende Erkenntnisse zur Toxikologie von Fluorchinolonen.
Der Verfasser dieses Nachrufs hatte das Privileg mit dem Verstorbenen über 40 Jahre in freundschaftlicher, kollegialer und erfolgreicher Zusammenarbeit die Zeitschrift für Chemotherapie (heute:
Zeitschrift für Infektionstherapie) herauszugeben. Ralf Stahlmann war die Seele der Zeitschrift und hatte eine besondere Begabung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Publizistik. Zahlreiche
gemeinsame wissenschaftliche Publikationen beruhten auf dieser produktiven Kooperation, die geprägt war durch beiderseitiges, intensives Interesse an den Fortschritten der Infektionstherapie.
Privat war Ralf ein Freund der klassischen Musik. Er widmete sich intensiv seiner Familie und hinterlässt eine sehr fürsorgliche Ehefrau, zwei Töchter und drei Enkel. Technische Neuigkeiten in der
Musik- und Medienwelt faszinierten ihn und er fotografierte leidenschaftlich gerne und gut. Im Urlaub zog es ihn immer wieder nach Spanien, da die spanische Mentalität ihm sehr zusagte und eine
wirksame Erholung garantierte.
Ralf Stahlmann war ein stets positiv denkender, in sich ruhender, breit interessierter und kluger Mensch, den wir sehr vermissen werden.
Prof. Hartmut Lode
Gründungsherausgeber der
Zeitschrift für Infektionsmedizin
27.1.2023
►COVID-19 Kompendium (4., erw. u. akt. Auflage)
►COVID-19 Erkrankungen weltweit
Website der Johns Hopkins University
►COVID-19 Erkrankungen in Deutschland (Landkreise)