Methicillin- (Oxacillin-) resistenter Staphylococcus aureus (MRSA)

Teil 1

unveränderter Text aus Heft 5, 2012

 

Ergänzungen am Ende des Textes

 

siehe auch:

 

Teil 2, Heft 6, 2012

 

Teil 3, Heft 1, 2013

 

Die Resistenz gegen ß-Laktamantibiotika - inklusive Carbapeneme - von Staphylococcus aureus wird durch den Erwerb des veränderten Penicillinbindeprotein (PBP) 2 verursacht, welches als PBP 2a oder PBP2’ bezeichnet wird. Durch die verringerte Affinität von ß-Laktamen an dieses Protein verläuft der Aufbau der Zellwand trotz Anwesenheit der Antibiotika ungestört, d.h. Wachstum und Vermehrung der Bakterienzellen werden nicht oder nur gering beeinflusst.  Ausnahmen bilden zwei neue Cephalosporine (Ceftobiprol, Ceftarolin), die eine hohe Affinität für PBP2a besitzen.1,2 Das sogenannte mecA-Gen für PBP2a findet sich auf einem mobilen genetischen Element, welches als „staphylococcal cassette chromosome“ (SCCmec) bezeichnet wird. Bis heute wurden 11 verschiedene SCCmec (I-XI) mit unterschiedlicher Größe beschrieben.

MSSA-Stämme können sich durch den Erwerb des SCC von Koagulase-negativen Staphylokokken zu MRSA wandeln.3Auf unterschiedlichen SCCmec können neben mecA weitere Gene für Resistenzen z.B. gegen Makrolide, Lincosamide und andere Antibiotika kodiert sein, was dann zu einer Multiresistenz führt.

Mit der Einführung des Päparates CELBENIN mit dem Wirkstoff Methicillin in die Therapie von Infektionen mit Penicillin-resistenten S.aureus-Stämmen traten bereits vor etwa 50 Jahren auch schon die ersten MRSA-Stämme auf.4In Deutschland lag nach Untersuchungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft der MRSA-Anteil bis zum Beginn der 1990er Jahre zwischen einem und fünf Prozent. Hierauf folgte ein starker Anstieg auf etwa 20 bis 22%, der sich in den vergangenen Jahren annähernd auf diesem Niveau gehalten hat und sogar einen rückläufigen Trend erkennen lässt (Robert Koch-Institut: ARS, Datenstand 20.4.2012). Ursache des Anstiegs des MRSA-Anteils scheint der verbreitete Einsatz von Cephalosporinen der Gruppe 3 sowie von Fluorchinolonen gewesen zu sein, welche Mitte bis Ende der 80er Jahre in die Therapie eingeführt wurden.5,6 Allerdings ist zu beachten, dass der MRSA-Anteil in Abhängigkeit von der Patientenpopulation eines Krankenhauses oder einer Abteilung innerhalb einer medizinischen Einrichtung stark schwanken kann. Bei ambulanten Patienten beträgt der MRSA-Anteil ca. 13% (Robert Koch-Institut: ARS, Datenstand 20.4.2012).

 

Bezogen auf die Patientenzahl sind nach belgischen Daten ca. 3% der Patienten bei Aufnahme in ein Krankenhaus MRSA-positiv,7 nach eigenen Untersuchungen aus Berlin ca. 4%, wobei in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahre 3,8% positiv sind, zwischen 70 und 80 Jahre 4,9% und in höherem Alter knapp 6%.

 

Epidemiologisch können gegenwärtig drei große Gruppen von MRSA-Populationen unterschieden werden, die auch einen unterschiedlichen genetischen Hintergrund haben:

- HA-MRSA: healthcare-associated/hospital-acquired MRSA

- CA-MRSA: community-associated MRSA

- LA-MRSA: livestock-associated MRSA

 

HA-MRSA

 

Die Mehrzahl der HA-MRSA-Stämme beherbergt die SCCmec Typen I, II und III verbunden mit einer Multiresistenz und fehlenden PVL-Genen (Panton-Valentin Leukozidin; benannt nach Philip N. Panton und Francis Valentine). Genetisch unterscheiden sich diese Stämme von der CA- und LA-Population. Eine Analyse der Populationsdynamik verschiedener MRSA-Typen [Resistenz gegen einzelne Antibiotika oder klonale Komplexe (clonal complex = CC) bzw. SCCmec-Typ] zeigt eine hohe Variabilität über die Zeit hinweg innerhalb eines Klinikums.8,9 Es bleibt gegenwärtig spekulativ, welche biologischen Prozesse diese epidemiologischen Veränderungen hervorrufen.

 

Patienten mit HA-MRSA-Risiko sind Personen, die innerhalb der vorangegangenen sechs Monate mindestens vier zusammenhängende Tage im Krankenhaus verbracht haben, und folgende Risikofaktoren aufweisen:

chronische Pflegebedürftigkeit (mindestens Stufe 1),MRSA-positiv (auch in der Anamnese) bzw. zwei oder mehr der nachfolgenden Risikofaktoren:

- Antibiotikatherapie in den vorangegangenen sechs Monaten,

 liegende Katheter (z.B. Harnblasenkatheter, PEG),

 - Dialysepflichtigkeit, Hautulkus, Gangrän, chronische Wunde/n,

- tiefe Weichgewebeinfektionen.

 

 

Nach Schätzungen des nationalen Referenzzentrums für nosokomiale Infektionen waren im Jahr 2008 ca. 130.000 Patienten mit MRSA besiedelt bzw. infiziert, darunter waren 34.000 nosokomiale Fälle. Der Nachweis von MRSA in Blutkulturen und Liquores ist nach dem IfSG meldepflichtig, damit ergibt sich 2010 eine Inzidenz in Deutschland von 1,94/100.000 Einwohner.10 Wesentliche Krankheitsbilder mit MRSA-Ätiologie sind Wund-, Haut- und Weichgewebe-infektionen, Osteomyelitis, nosokomiale Pneumonie sowie Harnwegsinfektionen.

 

 

CA-MRSA

 

Diese Form der MRSA-Population trat in den 1990ern unabhängig von der HA-MRSA-Epidemiologie zuerst in bestimmten Populationen, z.B. Aborigins in Australien, Heimbewohner, Bewohner von Indianerreservaten11,12 auf, und verbreitet sich gegenwärtig in einigen Ländern wie den USA rasch bei Menschen ohne die für HA-MRSA bekannten Risikofaktoren. CA-MRSA besiedelt gesunde Personen, kann aber auch Haut- und Weichgewebeinfektionen bis hin zu einer häufig  tödlich verlaufenden nekrotisierenden Pneumonie verursachen. Beschrieben sind Ausbrüche in Gefängnissen, bei Football-Mannschaften, Kindern, Menschen ohne festen Wohnsitz, Drogenabhängigen oder bei Männern, die Sex mit Männern haben.13,14

 

CA-MRSA-Stämme gehören verschiedenen genetischen Linien an, und zeigen weltweit eine unterschiedliche Epidemiologie: in den USA überwiegend der USA300-Klon (ST8-Iva: sequence type 8 – SCCmec IVa),15 ST39-IVc und ST93-IVa in Australien und Neuseeland; ST59- IVa, ST59-V und ST72-IVc in Asien; ST-22-IV und ST-772 V in Indien sowie ST88-IV in Afrika. Die Untersuchung von europäischen CA-MRSA-Stämmen ergab ein heterogenes Bild der Verteilung einzelner Klone wie USA300, ST-59, ST80 („europäischer Klon“) sowie ST772, wobei innerhalb eines Landes bis zu zehn unterschiedliche Klone gefunden wurden.16

Ein wichtiger Virulenzfaktor bei CA-MRSA-Stämmen ist das Panton-Valentine-Leukozidin, ein binäres zytolytisches Enzym. Die Gene für das Leukozidin (lukF-PV und lukS-PV) werden durch bestimmte Bakteriophagen übertragen. Dies erklärt auch das vom genetischen Hintergrund bzw. vom Klon unabhängige Auftreten des Virulenzmarkers, d.h. nicht alle CA-MRSA sind PVL-positiv bzw. auch MSSA-Stämme können diese Gene tragen.

 

Eine zunehmende Zahl von Patienten mit CA-MRSA-Infektionen bzw. die asymptomatische Besiedlung gesunder Personen einschließlich Pflegepersonal in Krankenhäusern wird dazu führen, dass diese Stämme auch häufiger auf hospitalisierte Patienten oder Personen in Pflegeheimen übertragen werden.17 Damit besteht die Möglichkeit bzw. Gefahr eines gemeinsamen Auftretens von HA- und CA-MRSA-Stämmen in dieser Umgebung. In Ländern wie Indien mit einer hohen CA-MRSA-Prävalenz (z.B. CA-MRSA-V  ST772) werden die in Krankenhäusern endemischen HA-MRSA-Stämme zunehmend von CA-MRSA-Stämmen verdrängt.18 So wurde ein Ausbruch auf einer neonatologischen Intensivstation durch CA-MRSA-V ST772 mit dem Besitz von PVL-Genen, Enterotoxin-Genen sowie Resistenz gegen Makrolide und Aminoglykoside beschrieben.19

 

Bei einer weiteren Ausbreitung der CA-MRSA-Stämme ist nicht auszuschließen, dass bei einer neuerlichen Influenza-Epidemie vermehrt Pneumonien durch diese Stämme hervorgerufen werden,20,21 was zu einem Therapieversagen führen kann, wenn nach den Leitlinien für eine ambulant erworbene Pneumonie (z.B. primäre Therapie mit einem Cephalosporin bzw. einem Penicillin mit ß-Laktamaseinhibitor) vorgegangen wird.22

 

 

LA-MRSA

 

Bereits 1972 wurden MRSA-Stämme bei Rindern mit Mastitis beobachtet.23 Inzwischen hat sich ein neuer klonaler Komplex (clonal complex), CC398 genannt, unter Nutztieren ausgebreitet, der auch bei menschlichen Infektionen vorkommt. Im CC398 sind die Sequenztypen (ST) 398 und nah verwandte STs zusammengefasst, wobei nicht alle Stämme gegen Methicillin resistent sind. In einigen Teilen der Niederlande ist MRSA CC398 in bis zu 25% aller menschlichen MRSA-Isolate nachweisbar.24 Eine Theorie besagt, dass CC398 MSSA-Stämme vom Menschen auf Nutztiere übertragen wurden und in der Tierpopulation ein SCCmec mit dem mecA-Gen erwarb.25 MRSA wird durch eine Reihe von Breitspektum-Cephalosporinen aber auch durch Gabe von Zink in der Tiermast selektioniert. Tatsächlich kann bei vielen LA-MRSA-Stämmen mit dem SCCmec Vc  das Gen für eine Zink-Resistenz gefunden werden.

 

LA-MRSA wurden bei einer Vielzahl von Nutztieren nachgewiesen: MRSA ST398 bei Pferden sowie beim Personal in einer Pferdeklinik in der Schweiz;26 in Belgien MRSA ST398 bei Schweinen in 44% der insgesamt 1500 untersuchten Tiere (insgesamt 68% der Höfe betroffen);27 in Deutschland Detektion von MRSA CC398 in Milch, bei Milchkühen, Kälbern, im Staub von Schweinekoben, bei Hunden, Pferden, Schafen sowie beim Menschen.28

Im Jahr 2011 wurde ein neues SCCmec Element mit der Bezeichnung XI (SCCmec XI) erstmals beschrieben,29 mit einer bis dato zuvor nicht beschriebenen mecA-Homologie, welche als mecALGA125 bezeichnet wird. Die Detektion dieser Stämme, von denen vermutet wird, dass sie vom Tier (also LA-MRSA) stammen, ist problematisch, da sie gegenwärtig weder mit den kommerziell verfügbaren PCR-Methoden noch mittels PBP2a-Agglutination gefunden werden.30
Dieses Auftauchen eines neuen mecA-Homologs zeigt die Plastizität genetischer Elemente und damit die Grenzen molekularer Nachweismethoden. Nach wie vor ist die phänotypische Methode ein entscheidender Schritt in der Detektion von MRSA-Stämmen, um Ausbrüche mit neuen Varianten rechtzeitig zu erkennen und einzudämmen. Stämme mit SCCmec XI wurden in England, Dänemark, Deutschland und Irland gefunden. Die Pathogenität dieser Isolate für den Menschen wurde als gering eingeschätzt, da wichtige Virulenzgene nicht vorhanden waren und sie selten bei Infektionen auftraten. Dieses Bild hat sich inzwischen gewandelt, da Stämme mit zahlreichen Toxingenen beim Menschen isoliert wurden.31

Personen mit Kontakt zu MRSA-positiven Schweinen und Kälbern sind zu 23-38% LA-MRSA positiv sowie 4% der Familienmitglieder dieser Personen.32 In Deutschland in einem Gebiet mit intensiver Schweinehaltung (Münsterland) sind 22% der MRSA-Patienten bei Krankenhausaufnahme LA-MRSA positiv.33

 

1. HEBEISEN, P. et al.

Antimicrob Agents Chemother, 2001; 45: 825-836

 

2. BIEK, D. et al.

J Antimicrob Chemother 2010; 65 Suppl 4: iv9-16

 

3. BLOEMENDAAL, A.L.A. et al.

PLoS ONE 2010; 5: e11841

 

4. JEVONS, M.P.

BMJ 1961; 1: 124-125

 

5. CROWCROFT, N.S. et al.

Infect Contr Hosp Epidemiol 1999; 20: 31-36

 

6. MONNET, D.L. et al.

Emerg Infect Dis 2004; 10: 1432-1441

 

7. ROISIN, S. et al.

Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2012; 31: 873-880

 

8. DONNIO, P.-Y. et al.

J Clin Microbiol 2002; 40: 1048-52

 

9. CUNY, C. et al.

PLoS ONE 2011; 6: e24360

 

10. KÖCK, R. et al.

Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 761-767

 

11. BORER, A.

Emerg Infect Dis 2002; 8: 966-70

 

12. FEY, P.D. et al.

Antimicrob Agents Chemother 2003; 47: 196-203

 

13. YOUNG, D.M. et al.

Arch Surg 2004; 139: 947-51

 

14. KAZAKOVSA, S.V. et al.

N Engl J Med 2005; 352: 468-475

 

15. KLEVENS, R.M. et al.

JAMA 2007; 298: 1763-1771

 

16. ROLO, J. et al.

PLoS ONE 2012; 7: e34768

 

17. OTTER, J.A., FRENCH, G.L.

J Hosp Infect 2011; 79: 189-193

 

18. D’SOUZA, N. et al.

J Clin Microbiol 2010; 48: 1806-1811

 

19. BRENNAN, G. et al.

J Clin Microbiol 2012; 50: 841-847

 

20. HAGEMAN, J.C. et al.

Emerg Infect Dis 2006; 12: 894-9

 

21. SOHN, K.M. et al.

J Korean Med Sci 2012; 27: 313-316

 

22. WOODHEAD, M. et al.

Clin Microbiol Infect, 2011; 17 (Suppl. 6): 1-24

 

23. DEVRIESE, .LA. et al.

Zentralbl Veterinärmed B 1972; 19: 598-605

 

24. VAN CLEEF, B.A. et al.

Emerg Infect Dis 2011; 17: 502-505

 

25. PRICE, L.B. et al.

mBio 2012; 3: e00305

 

26. SIEBER, S. et al.

Microb Drug Resist 2011; 17: 471-478

 

27. CROMBÉ, F. et al.

Microb Drug Resist 2012; 18: 125-31

 

28. FESSLER, A.T. et al.

Vet Microbiol 2012;160:77-84

 

29. GARCÍA-ÁLVAREZ, L. et al.

Lancet Infect Dis 2011; 11: 595-603

 

30. KRIEGESKORTE, A. et al.

Emerg Infect Dis 2012; 18: 1016-18

 

31. SABAT, A.J. et al.

J Clin Microbiol 2012;50:3374-3377

 

32. CUNY, C. et al.

PLoS One 2009; 4: e6800

 

33. KÖCK, R. et al.

Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2009; 28: 1375-1382

 

 

Ergänzung 2017

 

Die WHO hat Ende Februar 2017 eine Liste von bakteriellen Krankheitserregern publiziert, die aufgrund ihrer Antibiotikaresistenz eine Bedrohung darstellen.  Die Dringlichkeit des  Bedarfs für neue Antibiotika zur Therapie von Infektionen durch Methicillin-resistente Staphylococcus aureus wird auf dieser Liste als "hoch" eingestuft.

 

WHO, 27. Februar 2017; www.who.int

 

 

Jetzt für den INFEKTIO letter anmelden und regelmäßig per E-Mail Wissenswertes aus Mikrobiologie, Arznei-mittelforschung,Therapie uvm. erhalten.

Informationen für Ärzte und Apotheker zur rationalen Infektionstherapie

Die Zeitschrift für Infektionstherapie (bis 2015: "Zeitschrift für Chemotherapie") erscheint im Jahr 2025 im 46. Jahrgang. Herausgeber und Redaktion sind bemüht, Sie kontinuierlich und aktuell über wichtige Entwicklungen im Bereich der Infektionstherapie zu informieren.

Druckversion | Sitemap
© mhp Verlag GmbH 2023