(aus ZCT Heft 2, 1996, aktualisiert)
Ein 28 Jahre alter Patient berichtet über Fieber, das seit einer Woche besteht, ferner über Kopfschmerzen, Krankheitsgefühl und Hinfälligkeit sowie Symptome eines Infektes der oberen Atemwege. Seit zwei Tagen ist eine erythematöse, zunächst makulös rundliche Infiltration auf dem Rücken der rechten Hand entstanden, welche innerhalb kürzester Zeit in eine papulöse Hauteruption überging. Diese Papel hätte sich vergrößert und sei zentral mit einer Krustenbildung einhergegangen. In der Papel ist es zu konzentrischen Farbveränderungen gekommen und weitere Hautveränderungen seien am Unterarm aufgetreten. Im Bereich der Mundschleimhaut seien zusätzlich Schmerzen, eine Rötung des Gaumens und Schluckbeschwerden bemerkt worden.
Die recht typische Manifestation dieser Hauterkrankung mit den Stadien der makulösen erythematösen Hautveränderungen mit nachfolgenden Papelbildungen in symmetrischer Verteilung distal auf beiden Extremitäten (insbesondere der oberen) zusammen mit den konzentrischen Farbveränderungen in diesen Läsionen ("Iris-Läsionen") und mit dem eher jungen Lebensalter des Patienten sind relativ typisch für die seltene Manifestation eines Erythema multiforme. Ein Erythema multiforme kann in der sogenannten Minor-Form wie im vorliegenden Fall auftreten; in der anderen, sogenannten Major-Form, kann es zu bullösen Hautveränderungen mit epidermalen nekrolytischen Hautablösungen sowie auch ausgedehnten Mukosaerosionen im Bereich der Augen, der Genitalorgane, des Pharynx und des oberen Respirationstraktes kommen.
Ätiologisch können bei dem Erythema multiforme zahlreiche infektiöse wie auch nicht-infektiöse Ursachen vermutet werden. Drei relativ gut beschriebene Ätiologien werden heute vorwiegend verantwortlich gemacht: Herpes simplex, Mykoplasma pneumoniae und Arzneimittel. In über 60% geht einem Erythema multiforme in einem etwa ein- bis dreiwöchigen Abstand eine Herpes simplex-Infektion voraus. Seltener ist ein Mykoplasma-assoziiertes Erythema multiforme, welches insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt. Unter den Arzneimittel-induzierten Erythemen muß insbesondere die Assoziation mit Sulfonamiden, Phenylbutazon (BUTAZOLIDIN u.a.), Diphenylhydantoin (ZENTROPIL u.a.) und Penicillinen berücksichtigt werden. Typischerweise tritt das Erythema multiforme ein bis drei Wochen nach Behandlungsbeginn mit den genannten Substanzen auf. Pathogenetisch wird eine immunologische Reaktion in der Haut und an den Schleimhäuten bedingt durch zirkulierende Immunkomplexe vermutet. Histologisch finden sich eine Akkumulation von mononukleären Zellen um die oberflächlichen Hautgefäße zusammen mit einer Schädigung der Epidermis. Differentialdiagnostisch muß bei den Hauterscheinungen an eine bakterielle Endokarditis, eine chronische Meningokokken-Bakteriämie, eine sekundäre Syphilis sowie auch an vaskulär sich manifestierende Kollagenosen gedacht werden.
Eine wirksame Therapie für das Erythema multiforme gibt es nicht. Bei infektiöser Ursache sollte die Herpes simplex-Infektion mit Aciclovir (ZOVIRAX) behandelt werden. Bei wiederholtem Auftreten eines Erythema wird die prophylaktische Therapie mit oralem Aciclovir zur Verhinderung eines rezidivierenden postherpetischen Erythema multiforme empfohlen. Eine Mykoplasma-Infektion wird mit Makroliden, z.B. Azithromycin (ZITHROMAX), oder Tetrazyklinen, z.B. Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a.) behandelt. Mögliche ursächliche Pharmaka sollten sofort abgesetzt werden. Der Stellenwert einer systemischen Steroidtherapie ist umstritten und offensichtlich nicht hilfreich.