Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes
Influenzaviren A und B rufen die Symptome einer "echten Grippe" (Influenza) hervor. Die Neuraminidase ist ein essentielles Enzym für die Replikation der Viren. Es ist auf der Oberfläche der
Viruspartikel lokalisiert und weist im aktiven Bereich keine wesentlichen Varianten auf. Das Enzym unterstützt die Freisetzung von neu gebildeten Viren aus infizierten Zellen und scheint auch den
Zugang der Erreger durch den Mucus zur Oberfläche der Epithelzellen zu erleichtern. Die medizinischen Maßnahmen bei Influenza bestehen insbesondere in der Impfung (s. ZCT 1999; 20:33-34) oder in der
frühzeitigen Gabe von Amantadin (AMANTADIN-ratiopharm u.a.).
Antivirale Wirkung
Bereits seit den vierziger Jahren, als die Neuraminidase auf der Virusmembran entdeckt wurde, wird nach Wirkstoffen gesucht, die dieses Enzym hemmen und dadurch die Influenza einer Behandlung
zugänglich machen. Zanamivir (RELENZA) wurde unter Berücksichtigung der dreidimensionalen Struktur des Oberflächenproteins gezielt entwickelt; es hemmt die Neuraminidase bereits bei Konzentrationen
im Bereich von etwa 1 bis 10 nM. Die Vermehrung der Viren wird durch Hemmung der Freisetzung von infektiösen Influenza-Virionen aus den Epithelzellen des Respirationstraktes reduziert. Die klinische
Wirksamkeit wurde in mehreren kontrollierten Studien nachgewiesen (1,2).
Zanamivir wird nach oraler Gabe nur minimal und in variablem Ausmaß resorbiert (1 bis 5 %). Nach Inhalation ist die Resorption höher (10 bis 20 %), doch ist die antivirale Wirkung nach dieser
Applikationsart nicht systemisch, sondern überwiegend durch die lokal an den Schleimhäuten der Atemwege erzielten Konzentrationen bedingt.
Der Wirkstoff des neuen Arzneimittels liegt in Pulverform vor und wird mit Hilfe eines speziellen Gerätes (Diskhaler) inhaliert. Die Einzeldosen des Pulvers (je 5 mg) sind in den Kammern einer runden
Scheibe ("Rotadisk") abgepackt. Die freigegebene Einzeldosis beträgt 3,6 mg. Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich zwei Inhalationen über fünf Tage. Eine genaue Erläuterung für die Anwendung
ist in der Gebrauchsanweisung enthalten.
Der hauptsächliche Depositionsort ist der Oropharynx (ca. dreiviertel der Dosis), die Deposition in der Lunge liegt im Bereich von 10 bei 20 % einer Dosis. Zanamivir wird unverändert renal
ausgeschieden und nicht metabolisiert. Die Eliminationshalbwertzeit liegt zwischen 2,6 und fünf Stunden, bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich
(1,3,4)
Es wurden drei multizentrische, Placebo-kontrollierte klinische Studien durchgeführt, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Virustatikums bei Influenza A und B geprüft wurde. Der primäre
Endpunkt war für alle drei Studien identisch: Zeitdauer bis zur Besserung der klinischen Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Husten etc.).
Die Ergebnisse der Studien lassen sich wie folgt zusammenfassen: inhaliertes Zanamivir bessert die Symptomatik und reduziert die Dauer der Erkrankung um etwa ein bis zwei Tage. Der Unterschied im
Vergleich zu Placebo ist statistisch signifikant. Drei Tatsachen schränken jedoch den Nutzen der Therapie erheblich ein:
Die Mehrzahl der viralen Infektionen des Respirationstraktes wird nicht durch Influenza-Viren, sondern durch andere Erreger hervorgerufen (Parainfluenza-, Rhino-, Corona- und andere Viren). Bei
diesen Infektionen ("grippaler Infekt") ist das Medikament nicht wirksam.
Bei Patienten mit relativ milden Verläufen einer Influenza (kein Fieber!) war ein therapeutischer Nutzen nicht nachweisbar.
Mit einer Wirkung kann nur gerechnet werden, wenn die Behandlung innerhalb kurzer Zeit nach Beginn der Symptomatik beginnt.
Bereits vor zwei Jahren wurde auf diese wichtigen Einschränkungen hingewiesen. In einer großen Studie war bei Patienten ohne Fieber die Krankheitsdauer nicht reduziert (5,5 vs. 5,5 Tage) und auch bei
einem Behandlungsbeginn später als 30 Stunden nach Einsetzen der Symptomatik war kein Nutzen im Vergleich zu Placebo erkennbar (Krankeitsdauer 5,5 vs. 5,8 Tage). Wir hatten bereits in einem früheren
Beitrag in dieser Zeitschrift diese Zusammenhänge diskutiert (vgl. ZCT 12-14, 1998, PDF im Archiv). Angesichts
der eindeutigen Resultate der klinischen Studien muß die in den Informationen des Herstellers angegebene Zeitgrenze von 48 Stunden als sehr "großzügig" angesehen werden (5)
Die inhalative Verabreichung von Zanamivir ist offenbar gut verträglich. In den klinischen Studien ergaben sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Patienten, die mit dem Arzneimittel
behandelt wurden und den Patienten der Placebogruppe. Selbst die intravenöse Verabreichung von bis zu 1200 mg täglich über fünf Tage wurde gut vertragen (5)
Mit Zanamivir (RELENZA) steht ein Virustatikum zur Verfügung, das bei inhalativer Verabreichung die Zeitdauer einer Erkrankung durch Influenza A oder B signifikant um etwa 36 Stunden verkürzen kann.
Es ist jedoch nur wirksam, wenn mit der Behandlung sehr frühzeitig begonnen wird (am besten innerhalb von 30 Stunden). Bei Patienten ohne Fieber ist kein therapeutischer Nutzen zu erwarten.
Schließlich muß bedacht werden, daß die überwiegende Zahl der viralen Infektionen der Atemwege ("grippaler Infekt") nicht durch Influenza-Viren, sondern durch andere Erreger hervorgerufen wird. Das
neue Arzneimittel ist bei diesen weitaus häufigeren Erkrankungen nicht wirksam.
Ergänzung (Dezember 2019)
Zanamivir - jetzt auch zur Infusion
Seit Dezember 2019 ist das Virustatikum als DECTOVA auch zur intravenösen Anwendung verfügbar. Es ist indiziert zur Behandlung der komplizierten und potentiell lebensbedrohlichen Infektion mit Influenza A- oder B-Viren bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen (ab einem Alter von 6 Monaten), wenn das Influenza-Virus resistent gegen Arzneimittel ist, und/oder andere Mittel zur Behandlung der Influenza für den individuellen Patienten nicht geeignet sind.
Dectova, Produktinformation (deutsch) EMA
Ergänzung (Februar 2020)
Eine ausführliche Beschreibung von Zanamivir (DECTOVA) zur intravenösen Anwendung finden Sie hier (Text aus Heft 1, 2020)