Zanamivir - ein Hemmstoff der Neuraminidase zur Behandlung der Influenza A und B

Originaltext aus ZCT 06-1999
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Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Influenzaviren A und B rufen die Symptome einer "echten Grippe" (Influenza) hervor. Die Neuraminidase ist ein essentielles Enzym für die Replikation der Viren. Es ist auf der Oberfläche der Viruspartikel lokalisiert und weist im aktiven Bereich keine wesentlichen Varianten auf. Das Enzym unterstützt die Freisetzung von neu gebildeten Viren aus infizierten Zellen und scheint auch den Zugang der Erreger durch den Mucus zur Oberfläche der Epithelzellen zu erleichtern. Die medizinischen Maßnahmen bei Influenza bestehen insbesondere in der Impfung (s. ZCT 1999; 20:33-34) oder in der frühzeitigen Gabe von Amantadin (AMANTADIN-ratiopharm u.a.).

Antivirale Wirkung

Bereits seit den vierziger Jahren, als die Neuraminidase auf der Virusmembran entdeckt wurde, wird nach Wirkstoffen gesucht, die dieses Enzym hemmen und dadurch die Influenza einer Behandlung zugänglich machen. Zanamivir (RELENZA) wurde unter Berücksichtigung der dreidimensionalen Struktur des Oberflächenproteins gezielt entwickelt; es hemmt die Neuraminidase bereits bei Konzentrationen im Bereich von etwa 1 bis 10 nM. Die Vermehrung der Viren wird durch Hemmung der Freisetzung von infektiösen Influenza-Virionen aus den Epithelzellen des Respirationstraktes reduziert. Die klinische Wirksamkeit wurde in mehreren kontrollierten Studien nachgewiesen (1,2).

Strukturformel Zanamivir

Applikation und pharmakokinetische Eigenschaften


Zanamivir wird nach oraler Gabe nur minimal und in variablem Ausmaß resorbiert (1 bis 5 %). Nach Inhalation ist die Resorption höher (10 bis 20 %), doch ist die antivirale Wirkung nach dieser Applikationsart nicht systemisch, sondern überwiegend durch die lokal an den Schleimhäuten der Atemwege erzielten Konzentrationen bedingt.
Der Wirkstoff des neuen Arzneimittels liegt in Pulverform vor und wird mit Hilfe eines speziellen Gerätes (Diskhaler) inhaliert. Die Einzeldosen des Pulvers (je 5 mg) sind in den Kammern einer runden Scheibe ("Rotadisk") abgepackt. Die freigegebene Einzeldosis beträgt 3,6 mg. Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich zwei Inhalationen über fünf Tage. Eine genaue Erläuterung für die Anwendung ist in der Gebrauchsanweisung enthalten.
Der hauptsächliche Depositionsort ist der Oropharynx (ca. dreiviertel der Dosis), die Deposition in der Lunge liegt im Bereich von 10 bei 20 % einer Dosis. Zanamivir wird unverändert renal ausgeschieden und nicht metabolisiert. Die Eliminationshalbwertzeit liegt zwischen 2,6 und fünf Stunden, bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich (1,3,4)
 

Klinische Wirksamkeit


Es wurden drei multizentrische, Placebo-kontrollierte klinische Studien durchgeführt, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Virustatikums bei Influenza A und B geprüft wurde. Der primäre Endpunkt war für alle drei Studien identisch: Zeitdauer bis zur Besserung der klinischen Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Husten etc.).
Die Ergebnisse der Studien lassen sich wie folgt zusammenfassen: inhaliertes Zanamivir bessert die Symptomatik und reduziert die Dauer der Erkrankung um etwa ein bis zwei Tage. Der Unterschied im Vergleich zu Placebo ist statistisch signifikant. Drei Tatsachen schränken jedoch den Nutzen der Therapie erheblich ein:
Die Mehrzahl der viralen Infektionen des Respirationstraktes wird nicht durch Influenza-Viren, sondern durch andere Erreger hervorgerufen (Parainfluenza-, Rhino-, Corona- und andere Viren). Bei diesen Infektionen ("grippaler Infekt") ist das Medikament nicht wirksam.
Bei Patienten mit relativ milden Verläufen einer Influenza (kein Fieber!) war ein therapeutischer Nutzen nicht nachweisbar.
Mit einer Wirkung kann nur gerechnet werden, wenn die Behandlung innerhalb kurzer Zeit nach Beginn der Symptomatik beginnt.


Bereits vor zwei Jahren wurde auf diese wichtigen Einschränkungen hingewiesen. In einer großen Studie war bei Patienten ohne Fieber die Krankheitsdauer nicht reduziert (5,5 vs. 5,5 Tage) und auch bei einem Behandlungsbeginn später als 30 Stunden nach Einsetzen der Symptomatik war kein Nutzen im Vergleich zu Placebo erkennbar (Krankeitsdauer 5,5 vs. 5,8 Tage). Wir hatten bereits in einem früheren Beitrag in dieser Zeitschrift diese Zusammenhänge diskutiert (vgl. ZCT 12-14, 1998, PDF im Archiv). Angesichts der eindeutigen Resultate der klinischen Studien muß die in den Informationen des Herstellers angegebene Zeitgrenze von 48 Stunden als sehr "großzügig" angesehen werden (5)
 


Unerwünschte Wirkungen, Interaktionen


Die inhalative Verabreichung von Zanamivir ist offenbar gut verträglich. In den klinischen Studien ergaben sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Patienten, die mit dem Arzneimittel behandelt wurden und den Patienten der Placebogruppe. Selbst die intravenöse Verabreichung von bis zu 1200 mg täglich über fünf Tage wurde gut vertragen (5)

 


ZUSAMMENFASSUNG


Mit Zanamivir (RELENZA) steht ein Virustatikum zur Verfügung, das bei inhalativer Verabreichung die Zeitdauer einer Erkrankung durch Influenza A oder B signifikant um etwa 36 Stunden verkürzen kann. Es ist jedoch nur wirksam, wenn mit der Behandlung sehr frühzeitig begonnen wird (am besten innerhalb von 30 Stunden). Bei Patienten ohne Fieber ist kein therapeutischer Nutzen zu erwarten. Schließlich muß bedacht werden, daß die überwiegende Zahl der viralen Infektionen der Atemwege ("grippaler Infekt") nicht durch Influenza-Viren, sondern durch andere Erreger hervorgerufen wird. Das neue Arzneimittel ist bei diesen weitaus häufigeren Erkrankungen nicht wirksam.

 

 

1. DUNN CJ, GOA KL. Zanamivir: a review of its use in influenza. Drugs. 1999 Oct;58(4):761-84.

2. VON ITZSTEIN M, WU WY et al. Rational design of potent sialidase-based inhibitors of influenza virus replication. Nature. 1993 Jun 3;363(6428):418-23.

3. CASS LM, EFTHYMIOPOULOS C et al. Pharmacokinetics of zanamivir after intravenous, oral, inhaled or intranasal administration to healthy volunteers. Clin Pharmacokinet. 1999;36 Suppl 1:1-11.

4. CASS LM, BROWN J et al. Pharmacoscintigraphic evaluation of lung deposition of inhaled zanamivir in healthy volunteers. Clin Pharmacokinet. 1999;36 Suppl 1:21-31

5. Fachinformation (SPC) Relenza, GlaxoWellcome, Bad

Oldesloe (US-Prescribing Information)

 

 

Ergänzung (Dezember 2009)


Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels

in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 6, 1999) sind

zahlreiche weitere Arbeiten über Zanamivir publiziert

worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden

Arbeiten hingewiesen werden:

1. MOSCONA A. Neuraminidase inhibitors for influenza.
    N Engl J Med. 2005 Sep 29;353(13):1363-73.

2. ISON MG. Influenza in hospitalized adults: gaining insight into a significant  problem. J Infect Dis. 2009 Aug 15;200(4):485-8.

3. LEE N, CHAN PK et al. Viral loads and duration of viral shedding in adult patients hospitalized with influenza. J Infect Dis. 2009 Aug 15;200(4):492-500.

 

Ergänzung (Dezember 2019)

 

Zanamivir - jetzt auch zur Infusion

Seit Dezember 2019 ist das Virustatikum als DECTOVA auch zur intravenösen Anwendung verfügbar. Es ist indiziert zur Behandlung der komplizierten und potentiell lebensbedrohlichen Infektion mit Influenza A- oder B-Viren bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen (ab einem Alter von 6 Monaten), wenn das Influenza-Virus resistent gegen Arzneimittel ist, und/oder andere Mittel zur Behandlung der Influenza für den individuellen Patienten nicht geeignet sind.

 

Dectova, Produktinformation (deutsch) EMA

www.ema.europa.eu

 

Ergänzung (Februar 2020)

 

Eine ausführliche Beschreibung von Zanamivir (DECTOVA)  zur intravenösen Anwendung finden Sie hier (Text aus Heft 1, 2020)

 

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