Unveränderter Text aus Heft 2, 2019
Ergänzungen am Ende des Textes
Bereits vor 40 Jahren wurde Borsäure als Hemmstoff für ß-Laktamasen erkannt. Mit der Abkürzung BATSI (boronic acid transitional state inhibitor) wird eine neue Klasse von borhaltigen ß-Laktamase-Inhibitoren bezeichnet. Ein Entwicklungsziel bestand in der gezielten Synthese von Boronaten mit Tetraederstruktur, da eine Übergangsstruktur während der ß-Laktamhydrolyse solch eine geometrische Formation besitzt (Abb. 1). Theoretisch könnten solche Verbindungen einmal in der Lage sein, sowohl Serin- als auch Metalloenzyme aus der großen Gruppe der ß-Laktamasen zu inhibieren. Dieses Ziel ist jedoch noch nicht erreicht.1
Abb. 1: Hydrolyse eines Cephalosporinmoleküls.
Nu: bezeichnet den nukleophilen Angriff der ß-Laktamase am ß-Laktamring. Nu: kann die Hydroxylgruppe des Serins oder eine Zink-koordinierte Hydroxylgruppe in den Metallo-Enzymen sein. Die instabile Übergangsform weist eine Tetraederstruktur auf.
Im Fokus bei der Entwicklung von Vaborbactam stand vor allem eine hohe Potenz zur Hemmung von Carbapenemasen. Der Inhibitor hat keine antibakterielle Wirkung, er wird unter dem Namen VABOMERE in fixer Kombination mit Meropenem (MERONEM u.a.) in den Handel gebracht.2,3 Es ist der erste therapeutisch verfügbare, borhaltige ß-Laktamase-Inhibitor (Abb. 2). Die Substanz hemmt die Serin-Enzyme der Klassen A und C, einschließlich der Klebsiella pneumoniae-Carbapenemase KPC. Seine Wirkung basiert auf der Bildung eines kovalenten Addukts mit ß-Laktamasen, wobei es hydrolytisch stabil ist. Vaborbactam hemmt weder Enzyme der Klasse B (Metallo-ß-Laktamasen, wie NDM oder VIM) noch Carbapenemasen der Klasse D (OXA-48).3,4
Abb. 2: Strukturformel Vaborbactam (RPX7009), MM 297,1 Das zyklische Boronsäurederivat hemmt ß-Laktamasen der Klassen A und C.
Antibakterielle Aktivität der Kombination
Bakterien, die KPC oder andere Klasse A ß-Laktamasen bilden, verhalten sich resistent gegenüber Meropenem. In Gegenwart von Vaborbactam werden die Hemmkonzentrationen um das 64-fache oder mehr reduziert, die Erreger können dann wieder von dem Antibiotikum erfasst werden. So wird das breite, klinisch bewährte antibakterielle Spektrum durch die Hemmung der Abwehrenzyme der Erreger verbreitert. P. aeruginosa–Isolate sprechen auf die Kombination ähnlich an, wie auf Meropenem; die MHK90-Werte liegen bei 8 bis 32 mg/l.3
Die antimikrobielle Wirkung von Meropenem korreliert mit der Zeitdauer, in der die Plasmakonzentrationen des freien, nicht proteingebundenen Antibiotikums die minimale Hemmkonzentration (MHK) des Antibiotikums überschreiten. Für Vaborbactam ist der PK-PD-Index das Verhältnis der Plasma-AUC des freien Vaborbactams zur MHK von Meropenem/Vaborbactam.2,5
Pharmakokinetische Eigenschaften
Meropenem / Vaborbactam (Mer / Vab) wird in einer Dosierung von 2,0 g / 2,0 g alle acht Stunden über drei Stunden als intravenöse Infusion verabreicht. Die Spitzenkonzentrationen bei Patienten lagen etwa bei 57 mg/l (Mer) und 71 mg/l (Vab). Die Plasmaproteinbindung beträgt etwa 2% (Mer) bzw. 33% (Vab). Die Verteilungsvolumina von Meropenem und Vaborbactam wurden mit 20,2 l bzw. 18,6 l berechnet, was etwa dem Extrazellulärraum entspricht. Etwa 70% der Plasmakonzentrationen der beiden Wirkstoffe sind in der Bronchialepithelflüssigkeit (ELF) nachweisbar. Etwa ein Viertel der Meropenem-Dosis wird nach Hydrolyse als inaktive offene Ringform ausgeschieden. Beide Komponenten werden überwiegend in unveränderter Form mit einer Halbwertzeit von ca. 2,3 Stunden mit dem Urin ausgeschieden. Bei gesunden Freiwilligen war die Halbwertzeit etwas kürzer. Bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer eGFR von weniger als 50 ml / min / 1,73 m2 muss die Dosis angepasst werden.2,3,6,7
Interaktionen
Meropenem kann ebenso wie andere Carbapeneme die Konzentrationen von Valproinsäure im Plasma reduzieren; daraus resultiert ein erhöhtes Anfallsrisiko. Falls die gleichzeitige Gabe notwendig ist, sollten Spiegel des Antiepileptikums bestimmt werden und gegebenenfalls die Dosierung angepasst werden. Probenecid hemmt die renale, tubuläre Sekretion des Antibiotikums, die gleichzeitige Therapie sollte vermieden werden, da es sonst zu erhöhten Plasmakonzentrationen von Meropenem kommt.2,3
Klinische Studien
In einer umfangreichen Doppelblindstudie (TANGO I) wurden mehr als 500 Patienten randomisiert, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit der neuen Kombination zu untersuchen. Patienten mit Pyelonephritis und komplizierten Harnwegsinfektionen wurden entweder mit Meropenem / Vaborbactam (3 x tgl. 2,0 g / 2,0 g) oder mit Piperacillin / Tazobactam (3 x tgl. 4,0 g / 0,5 g) behandelt. Die Präparate wurden jeweils über 3 bzw.0,5 Stunden infundiert. Als Erreger wurden überwiegend E. coli (65%) oder K. pneumoniae (15%) nachgewiesen. Die Mehrheit der Patienten wurde bei klinischer Besserung nach mindestens fünf Tagen auf eine orale Behandlung mit Levofloxacin umgestellt. Eine Besserung der Symptomatik und Beseitigung der Erreger im Urin konnte am Schluss der intravenösen Therapie bei mehr als 90 Prozent der Teilnehmer festgestellt werden. Eine Woche nach dem letzten Behandlungstag waren 76,5% bzw. 73,2% der Patienten nach klinischen Kriterien geheilt und der Erreger war beseitigt.8
VABOMERE ist in den USA und in Europa auf der Basis dieser Studie zur Behandlung der Pyelonephritis und komplizierten Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen zugelassen.
In Europa erstreckt sich das Indikationsgebiet zusätzlich auch auf die folgenden Infektionen:
- Komplizierte intraabdominelle Infektion und
- Nosokomial erworbene Pneumonie (HAP: hospital-acquired pneumonia) einschließlich Beatmungspneumonie (VAP: ventilator associated pneumonia).
Laut Fachinfo ist das Kombinationspräparat auch zur Behandlung von Infektionen durch aerobe gramnegative Organismen bei Erwachsenen mit „eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten“ indiziert. Diese Indikationen basieren auf Erfahrungen mit Meropenem als Monotherapie und pharmakokinetisch-pharmakodynamischen Analysen für Meropenem/Vaborbactam.2
Die Informationen über Patienten mit diesen zuletzt genannten Infektionen sind sehr begrenzt. Insgesamt 77 Patienten mit Infektionen durch Carbapenem-resistente Enterobacteriaceae wurden 2:1 randomisiert, um entweder Meropenem / Vaborbactam zu erhalten oder die „bestmögliche bisher verfügbare Therapie“. Dies war meist eine Kombination aus einem hochdosierten Carbapenem plus zusätzlichen Antibiotika aus der Gruppe der Aminoglykoside, Polymyxine oder anderer. Nach Ausschluss einiger Patienten aus verschiedenen Gründen blieben schließlich nur 32 bzw. 15 Teilnehmer in den beiden Gruppen übrig. In diesen Fällen lag eine mikrobiologisch bestätigte Infektion mit einem Carbapenem-resistenten Erreger vor. Mit 87% war K. pneumoniae der vorherrschende Erreger. Bei etwa der Hälfte der Patienten bestand eine Bakteriämie, ein Drittel hatte eine Harnwegsinfektion, nur fünf eine nosokomiale Pneumonie und lediglich vier eine komplizierte intraabdominelle Infektion. Die Heilungsraten werden mit 66% (21 / 32) und 33% (5/15) der Patienten zugunsten der Meropenem / Vaborbactam-Kombination angegeben. Innerhalb von vier Wochen verstarben 15,6% bzw. 33,3% der Studienteilnehmer.2,9
Verträglichkeit
Die Doppelblindstudie TANGO I gestattet auch einen Vergleich zwischen den beiden Antibiotika-Inhibitor-Kombinationen hinsichtlich der unerwünschten Wirkungen. Behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse traten bei 15,1% (Mer / Vab) bzw. 12,8% (Pip/Taz) der Teilnehmer auf, davon schwerwiegende Nebenwirkungen bei 4,0 % bzw. 4,4%. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Kopfschmerzen (8,8% vs. 4,4%) und Diarrhö (3,3% vs. 4,4%), eine Phlebitis an der Infusionsstelle trat bei 2,2% bzw. 0,7% auf (Inzidenzen jeweils Mer / Vab vs. Pip / Taz). Da Carbapeneme einschließlich Meropenem Krampfanfälle hervorrufen können, muss auf eine Dosisanpassung bei renal insuffizienten Patienten geachtet werden. Falls ein Patient mit Antikonvulsiva behandelt wird, sollten diese Medikamente nicht abgesetzt werden. Die Spiegel von Valproinsäure müssen kontrolliert werden.2,8
ZUSAMMENFASSUNG:
Vaborbactam ist ein neuartiger, borhaltiger ß-Laktamase-Inhibitor. Mit der Kombination aus Meropenem plus Vaborbactam (VABOMERE) können Infektionen durch Carbapenem-resistente Erreger, wie zum Beispiel KPC-produzierende K. pneumoniae behandelt werden. Beide Komponenten besitzen ähnliche pharmakokinetische Eigenschaften. Nach intravenöser Infusion über drei Stunden verteilen sie sich überwiegend extrazellulär und werden unverändert renal ausgeschieden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis reduziert werden. In einer umfangreichen Studie an Patienten mit Pyelonephritis und komplizierten Harnwegsinfektionen konnte die Nichtunterlegenheit gegenüber der Kombination aus Piperacillin / Tazobactam gezeigt werden. In Europa ist das neue Arzneimittel auch bei nosokomial erworbener Pneumonie und komplizierten abdominellen Infektionen zugelassen. Erste Erfahrungen zeigen bei Infektionen mit Carbapenem-resistenten Erregern vielversprechende Resultate. Die Verträglichkeit war gut, spezifische toxische Wirkungen sind bisher nicht bekannt. Das neue Arzneimittel ist als Antwort auf die zunehmende, ß-Laktamase-vermittelte Resistenz gramnegativer Erreger eine willkommene Ergänzung der therapeutischen Möglichkeiten. Ein zurückhaltender Einsatz sollte dafür sorgen, dass die neue Option möglichst lange bestehen bleibt.
Literatur
2. VABOMERE, SmPC (Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels) www.ema.eu FREE FULL TEXT
3. Dhillon S. Meropenem/Vaborbactam: a review in complicated urinary tract infections. Drugs 2018; 78:1259-1270 FREE FULL TEXT
Ergänzung (2019)
Leitlinie der PEG
Auf die ausführliche PEG S2k Leitlinie (AWMF-Registernummer 082-006) der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.v. (PEG) Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – update 2018 (2. aktualisierte Version; 25. Juli 2019) sei an dieser Stelle hingewiesen.
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