Originaltext aus ZCT 05-1998
Bitte beachten Sie auch den Artikel zum Rote Hand Brief
In der vergangenen Ausgabe der ZCT wurde eine neue Einteilung der Fluorchinolone vorgestellt, die von einer Arbeitsgruppe der PEG ("Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie") erarbeitet wurde
(ZCT 1998; 19:27-28). Nach diesem Vorschlag der PEG kann zwischen 4 Gruppen unterschieden werden. Die neueren Substanzen der Gruppe III [z. B.
Grepafloxacin (VAXAR) oder Levofloxacin (TAVANIC) besitzen im Gegensatz zu den älteren
Fluorchinolonen (Gruppen I und II) eine relevante Aktivität gegen Pneumokokken. Eine gute Pneumokokkenaktivität weisen auch die Substanzen der Gruppe IV auf, zu denen Trovafloxacin (TROVAN) gehört,
das seit einigen Wochen in Europa zugelassen und zur Therapie erhältlich ist.(1)
Antibakterielle Wirkung
Die antibakterielle Wirkung gegen gramnegative Bakterien ist gut und vergleichbar mit der von Ciprofloxacin (CIPROBAY); gegen Pseudomonas aeruginosa
ist Trovafloxacin in vitro jedoch etwas schwächer wirksam. Trovafloxacin unterscheidet sich von den anderen bisher erhältlichen Fluorchinolonen unter anderem durch eine therapeutisch ausreichende
Aktivität gegen anaerobe Bakterien, weshalb es in die Gruppe IV eingeordnet wurde.
Hinsichtlich der Pneumokokkenaktivität ist es in vitro das bisher aktivste Fluorchinolon: eine Konzentration von 0,25 mg / l reicht aus, um mehr als 90% der Pneumokokken zu hemmen (MHK90). Von
besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß auch Penicillin-resistente Pneumokokken in diesem niedrigen Konzentrationsbereich erfaßt werden. Diese Erreger spielen zwar derzeit in Deutschland noch eine
untergeordnete Rolle, doch könnten sie in den kommenden Jahren - ähnlich wie heute bereits in einigen anderen Ländern - zu einem therapeutischen Problem werden. Da Trovafloxacin auch eine gute
antibakterielle Aktivität gegenüber den sogenannten "atypischen Erregern" besitzt, sind die pharmakodynamischen Voraussetzungen für ein wirksames Therapeutikum bei bakteriellen Infektionen der
Atemwege gegeben.(1,2)
Pharmakokinetik
Trovafloxacin wird rasch aus dem Magen-Darmtrakt resorbiert. Die Bioverfügbarkeit liegt bei etwa 90% und wird durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme nicht in relevanter Weise beeinflußt. Da
Trovafloxacin nur in geringem Maße wasserlöslich ist, wurde zur intravenösen Therapie ein Bis-Alanin-Derivat (Alatrofloxacin) entwickelt, aus dem nach der Infusion innerhalb weniger Minuten
Trovafloxacin durch Hydrolyse freigesetzt wird. Die Substanz wird zu etwa 76% an Plasmaproteine gebunden. Trovafloxacin wird mit einer Halbwertzeit von etwa 11 Stunden überwiegend in unveränderter
Form über die Galle und Fäzes ausgeschieden. In der Leber wird Trovafloxacin durch Konjugation metabolisiert, die Verstoffwechselung über Cytochrom P450-abhängige Monooxygenasen ist gering. Zu den
wichtigsten Metaboliten gehören ein Glucuronid, ein Sulfatkonjugat und N-Acetylderivate. Ein geringer Anteil (6%) einer verabreichten Dosis läßt sich im Urin unverändert nachweisen; zusätzlich finden
sich etwa 13% der Substanz im Urin als Glucuronid. Die Gewebegängigkeit des Chinolons ist gut. In vielen Geweben sind die Konzentrationen höher als im Blut. In den broncho-alveolären Makrophagen
findet eine Anreicherung bis auf das 20fache der Plasmakonzentration statt.(1,3)
Bei Patienten mit leichter Einschränkung der Leberfunktion ist keine Dosisanpassung erforderlich. Bei mäßiggradiger Einschränkung muß berücksichtigt werden, daß es zu einer verzögerten Elimination
bei diesen Patienten kommt. Erfahrungen bei Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz liegen nicht vor.
Bei Patienten mit eingeschränkter oder aufgehobener Nierenfunktion (Dialyse) kann Trovafloxacin unverändert dosiert werden (Dosierung von Antiinfektiva
bei Niereninsuffizienz)
Klinische Wirksamkeit
Trovafloxacin ist in mehr als 30 klinischen Studien (Phase II und III), die zum Teil doppelblind durchgeführt wurden, untersucht worden. Bei zahlreichen Indikationen konnte eine gute klinische
Wirksamkeit nachgewiesen werden. Aufgrund dieser bisherigen Erfahrungen wird es bei den folgenden Erkrankungen empfohlen: nosokomiale und ambulant erworbene Pneumonie, akute Exazerbation der
chronischen Bronchitis, akute Sinusitis, komplizierte intraabdominale Infektionen, akute Beckenentzündung, Salpingitis, Gonokokken-Urethritis und Zervizitis, Chlamydien-Zervizitis sowie komplizierte
Haut- und Weichteilinfektionen.1
Meist ist die 1-mal tägliche Einnahme einer Tablette mit 200 mg Trovafloxacin ausreichend, bei schweren Infektionen kann initial eine Dosis von 300 mg intravenös verabreicht werden; bei der
unkomplizierten Gonorrhö ist die Einmalgabe von 100 mg ausreichend.
Angesichts des umfangreichen Indikationskatalogs stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Substanz im Vergleich zu den bisher angewandten Antibiotika. Eine einseitige, undifferenzierte
Anwendung von Trovafloxacin ist nicht ratsam. Vielmehr gilt nach wie vor, daß mit einem möglichst rationalen Einsatz von Substanzen aus verschiedenen Wirkstoffgruppen den Problemen der
Resistenzentwicklung am besten begegnet werden kann. Dies bedeutet, daß zum Beispiel bei bakteriellen Infektionen der Atemwege auch Antibiotika wie Amoxicillin (CLAMOXYL u.a.), die Makrolide oder
auch die Cephalosporine eine Bedeutung besitzen. Ohne Zweifel stellt Trovafloxacin jedoch aufgrund seiner günstigen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften eine interessante
therapeutische Alternative bei Infektionen der Atemwege und auch bei abdominellen Infektionen dar.
Unerwünschte Wirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Trovafloxacin betreffen den Magen-Darmtrakt und das ZNS: etwa 10% der Behandelten geben vor allem zu Beginn der Therapie ein Gefühl von Benommenheit an, daß
im Englischen als "dizziness" oder "light headedness" bezeichnet wird. Über dieses Symptom wurde von Frauen häufiger als von Männern und von jüngeren Patienten häufiger als von älteren Personen
geklagt. Es ist nach Trovafloxacin offenbar häufiger als nach Gabe anderer Chinolone. Im allgemeinen verschwindet dieses Symptom bei wiederholter Gabe.
Das phototoxische Potential von Trovafloxacin ist gering. Trotzdem sollten die Patienten auf die phototoxischen Risiken bei einer massiven Sonnenlichtexposition (bzw. anderen UV-Lichtquellen) während
einer Chinolontherapie hingewiesen werden. Anzeichen kardiotoxischer Wirkungen (z.B. Verlängerung des QTc-Intervalls), wie sie unter anderen Chinolonen beschrieben worden sind, wurden in den
klinischen Prüfungen mit Trovafloxacin nicht beobachtet. Die Abbruchrate lag bei 5,7% der insgesamt mehr als 8000 Patienten, die im Rahmen von klinischen Studien behandelt worden sind.
Aufgrund chondrotoxischer Wirkungen im Tierexperiment, die sich als Veränderungen im Gelenkknorpel oder der Epiphysenfuge äußern, ist eine Anwendung bei Kindern und Jugendlichen bis zum Abschluß des
Wachstums sowie bei schwangeren und stillenden Frauen kontraindiziert.
Interaktionen
Trovafloxacin besitzt wie alle Chinolone eine Affinität zu di- und trivalenten Kationen. Bei gleichzeitiger Einnahme mit Magnesium-, Kalzium- oder Aluminium-haltigen Antazida oder anderen Präparaten
kann es zu erheblichen Einbußen der Bioverfügbarkeit kommen. Auch die gleichzeitige Einnahme von Morphin führt zur Reduktion der Bioverfügbarkeit. Bei einer entsprechenden Therapie muß daher ein
zeitlicher Abstand von 2 bis 4 Stunden zwischen der Einnahme der Präparate eingehalten werden. Eine Interaktion mit dem Abbau von Theophyllin oder anderen Arzneistoffen, die durch hepatische
Monooxygenasen metabolisiert werden, ist bei Gabe von Trovafloxacin nicht beobachtet worden.(1,5)
ZUSAMMENFASSUNG
Trovafloxacin (TROVAN) ist ein Fluorchinolon, das bei guter antibakterieller Aktivität gegen gramnegative Bakterien, auch gegen Pneumokokken, andere grampositive Bakterien sowie gegen atypische und
anaerobe Erreger wirksam ist. Es steht zur oralen und intravenösen Therapie zur Verfügung. Bei einer Halbwertzeit von 11 Stunden ist die 1-mal tägliche Verabreichung ausreichend (200 mg bzw. 300 mg).
In der klinischen Prüfung erwies es sich als gut wirksam bei Infektionen der oberen und unteren Atemwege, bei abdominellen Infektionen und bei Infektionen des Genitaltraktes. Die häufigste
unerwünschte Wirkung besteht in einem Benommenheitsgefühl, das bei wiederholter Gabe nachläßt. Andere unerwünschte Wirkungen waren selten, insbesondere sind das phototoxische und kardiotoxische
Potential dieses Fluorchinolons gering. Das neue Chemotherapeutikum stellt eine wichtige Bereicherung der therapeutischen Möglichkeiten dar. Es bleibt abzuwarten, welchen Stellenwert Trovafloxacin im
Vergleich zu anderen Chinolonen mit Pneumokokkenwirksamkeit und zu Antibiotika aus anderen Wirkstoffgruppen einnehmen wird.
1. TrovanTM Produktmonographie, Stand Juli 1998, Pfizer GmbH, Karlsruhe
2. NEU HC, CHIN NX. In vitro activity of the new fluoroquinolone
CP-99,219.
Antimicrob Agents Chemother. 1994
Nov;38(11):2615-22.
3. VINCENT J, VENITZ J et al. Pharmacokinetics and safety of trovafloxacin
in healthy male volunteers
following administration of single intravenous doses of
the prodrug, alatrofloxacin.
J Antimicrob Chemother. 1997 Jun;39 Suppl
B:75-80.
4. Fishman A. J. et al. Antimicrob. Agents Chemother. 1998; 42: 2048-2054
5. Stahlmann, R., Lode, H. In: Andriole, V. The Quinolones, S. 369-415