Unveränderter Text aus ZCT Heft 4, 2015
Ergänzungen am Ende des Textes
Die Entwicklung der Oxazolidinone geht nur langsam voran. Mehr als 20 Jahre vergingen nach der Erstbeschreibung eines antibakteriell wirksamen Oxazolidinons bis zur Einführung von Linezolid (ZYVOXID), des ersten klinisch verwendbaren Derivats im Jahr 2000. Bei mehr als 30 verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen wurde versucht, einen weiteren Wirkstoff aus dieser Gruppe zu entwickeln, doch fast alle Kandidaten scheiterten aufgrund ihrer mangelhaften Eigenschaften.1
Sie zeigten entweder
(1) nicht das gewünschte pharmakokinetische Verhalten und/oder
(2) sie waren zu toxisch
und/oder
(3) sie zeigten keine bessere antibakterielle Aktivität als Linezolid,
das sich bereits seit 15 Jahren als oral und intravenös zu verabreichendes Arzneimittel bei Infektionen durch grampositive Erreger, einschließlich Methicillin-resistenter Staphylokokken (MRSA), bewährt hat.
Wenn nun mit Tedizolid (SIVEXTRO) ein zweiter Vertreter dieser Arzneimittelgruppe auf den Markt kommt, bleibt die entsprechende Aufmerksamkeit nicht aus.2,3 Die chemische Struktur von Tedizolid weist an zwei Stellen Unterschiede zu der von Linezolid auf. Der Morpholino-Ring wurde ersetzt durch zwei aromatische Stickstoff-haltige Ringsysteme. Darüber hinaus wurde der Acetamid-Substituent am Oxazolidinonring durch eine Hydroxymethylgruppe ersetzt. Der Arzneistoff liegt als Phosphorsäureester vor, der rasch im Blut des Patienten durch Phosphatasen gespalten wird und den eigentlichen Wirkstoff Tedizolid freisetzt.
Strukturformel von Tedizolid (MM 370) im Vergleich zu Linezolid. In dem Prodrug Tedizolid-Phosphat ist der Wirkstoff an der Hydroxymethylgruppe (Abschnitt V, rechts) mit Phosphorsäure verestert.
Antibakterielle Wirkung, Resistenz
Tedizolid bindet an die 50S-Unterheit der bakteriellen Ribosomen und hemmt dadurch die Proteinbiosynthese. Eine hohe Aktivität besteht gegen grampositive Erreger, wie Streptokokken, Staphylokokken und Enterokokken. Im Vergleich mit Linezolid besteht eine höhere in vitro Aktivität gegen MRSA. In einer Studie an jeweils mehr als 100 S. aureus-Isolaten, die entweder Methicillin-sensibel (MSSA) oder Methicillin-resistent waren, zeigte Tedizolid eine vierfach höhere Aktivität. In vitro wurden die MSSA bereits durch 0,5 mg/l (Linezolid: 2 mg/l) gehemmt (MHK90-Werte); für MRSA-Stämme war von beiden Wirkstoffen die doppelte Konzentration notwendig.4 Insgesamt 13 Linezolid-resistente Stämme (MHK > 8 mg/l) wurden durch 8 mg/l Tedizolid inhibiert. Die hohe Aktivität gegen Streptococcus pneumoniae wird durch die niedrige Hemmkonzentration von 0,25 mg/l verdeutlicht (Linezolid: 2 mg/l). Die Aktivität im gramnegativen Bereich ist nicht ausreichend: Haemophilus influenzae (n=99) wird erst durch Konzentrationen von 8 (MHK50) bzw. 16 mg/l (MHK90) erfasst.
Es sind mehrere Mechanismen bekannt, wodurch Bakterien Resistenz gegen Linezolid erlangen können. Wenn die Resistenz über Veränderungen in der 23s rRNA oder in ribosomalen Proteinen der 50S-Untereinheit (L3, L4) erworben wurde, besteht im Allgemeinen auch Resistenz gegen Tedizolid. Beachtenswert ist ein Unterschied hinsichtlich der cfr-Resistenz. Die Abkürzung cfr steht für Chloramphenicol-Florfenicol-Resistenz, die ursprünglich bei Bakterien in veterinärmedizinischen Proben nachgewiesen wurde. Die genetische Information ist Plasmid-kodiert und bewirkt eine Multiresistenz gegen Linezolid und andere Antibiotikagruppen. Aufgrund seiner abweichenden Struktur (Hydroxymethylgruppe) ist Tedizolid jedoch im Gegensatz zu Linezolid gegen Staphylokokken aktiv, die dieses Gen aufweisen.
Pharmakokinetische Eigenschaften
Tedizolid-Phosphat kann oral oder intravenös verabreicht werden. Nach oraler Gabe im nüchternen Zustand werden Spitzenkonzentrationen im Plasma nach etwa 3 Stunden gemessen, bei Einnahme mit einer Mahlzeit wurden die höchsten Konzentrationen mit einer Verzögerung von ca. 6 Stunden erreicht, wobei die Bioverfügbarkeit insgesamt nicht beeinflusst wurde.
An der Biotransformation von Tedizolid sind mehrere Sulfotransferasen (SULT1A1, SULT1A2, SULT2A1) beteiligt. Das antibakteriell inaktive Sulfatkonjugat wird überwiegend mit den Fäces eliminiert. Weitere pharmakokinetische Daten im Vergleich mit Linezolid wurden in der Tabelle 1 zusammengestellt. Die Daten stammen überwiegend aus einer Studie, in der die Pharmakokinetik nach Einzeldosen zwischen 200 und 1200 mg, sowie nach 3-wöchiger Mehrfachdosierung von 200, 300 oder 400 mg bestimmt wurden.5 Linezolid (2 x 600 mg) wurde vergleichend untersucht. Während die Halbwertzeit des Tedizolids sich innerhalb von drei Wochen praktisch nicht änderte, wurde Linezolid mit einer Halbwertzeit von 3,8 Stunden (1. Tag) bzw. 5,8 Stunden (21. Tag) ausgeschieden.
Tabelle 1. Pharmakokinetische Parameter von Tedizolid und Linezolid nach oraler Gabe im Vergleich am Tag 1 der Studie5
|
Tedizolid- phosphat
|
Linezolid |
Dosis |
1 x 200 mg |
2 x 600 mg |
Bioverfügbarkeit |
91% |
100% |
Cmax |
1,8 mg/l |
12,2 mg/l |
t½ |
11 h |
3,8 h |
AUC0-∞ |
21,6 mg/l x h |
78,1 mg/l x h |
Protein- bindung |
70 - 90% |
30% |
VD |
117 l |
42,9 l |
Elimination* |
in metaboli-sierter Form:
20% Urin; 80% Fäces (als Sulfo-konjugat)
|
in metaboli-sierter Form:
50% Urin; 9% Fäces
unverändert im Urin: ca. 30% |
* nach Fachinfo Sivextro und Zyvoxid
Mit Blick auf eine mögliche Verwendung des Arzneimittels bei pulmonalen Infektionen, sind die Konzentrationen des Wirkstoffs im Lungengewebe bedeutsam. Sechs Stunden nach oraler Verabreichung waren die Konzentrationen im alveolaren Flüssigkeitsfilm (ELF, epithelial lining fluid) und in den Alveolarmakrophagen mit 4,5 und 4,4 mg/l deutlich höher als im Plasma (1,5 mg/l).6 Im Vergleich zu den freien, nicht-proteingebundenen Plasmakonzentrationen wurden 20- bis 40-fach höhere Konzentrationen in den verschiedenen Kompartimenten der Lunge ermittelt.
Klinische Studien
Tedizolid ist zunächst nur zur Behandlung von akuten, bakteriellen Haut- und Weichgewebeinfektionen bei Erwachsenen zugelassen. In den Zulassungsstudien (ESTABLISH-1 und -2) war es bei dieser Indikation in einer Dosierung von 1 x tgl. 200 mg gleich gut wirksam wie Linezolid in einer Dosierung von 2 x tgl. 600 mg. Der Therapieerfolg lag in beiden Gruppen bei etwa 80%, obwohl Tedizolid nur 6 Tage, Linezolid jedoch 10 Tage verabreicht wurde.7,8 Eine Doppelblindstudie bei nosokomialer Pneumonie im Vergleich zu Linezolid bei mehr als 700 Patienten wird derzeit auf der Internetseite www.clinicaltrials.gov gelistet. Für die Studie (NCT02019420) ist ein Zeitraum von etwa vier Jahren vorgesehen, mit Ergebnissen ist nicht vor Ende 2017 zu rechnen.
Verträglichkeit, Interaktionen
Linezolid verfügt neben der antibakteriellen Aktivität über weitere pharmakologisch-toxikologische Wirkungen, die bei der Therapie berücksichtigt werden müssen. Es ist naheliegend, dass diese Aspekte während der Entwicklung des neuen Oxazolidinons besonders beachtet wurden. In tierexperimentellen, toxikologischen Untersuchungen weist Tedizolid – ähnlich wie Linezolid – ein dosisabhängiges hämatotoxisches Potenzial auf.3 In vitro hemmt es reversibel und nichtselektiv die Monoaminooxidase-Enzyme (MAO). Ob dadurch relevante Interaktionen auftreten können lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen, da entsprechende Patienten während der klinischen Prüfung nicht untersucht wurden.
In den beiden ESTABLISH-Studien mit insgesamt 1.333 Patienten war Tedizolid besser verträglich als Linezolid: sowohl gastrointestinale Störungen als auch hämatologische Abweichungen traten deutlich seltener auf.9 In der Tedizolid-Gruppe klagten 8,2% der Patienten über Übelkeit (Linezolid: 12,2%), zum Erbrechen kam es in 2,9% (Linezolid: 5,6%). Die Unterschiede waren statistisch signifikant. Der Anteil an Patienten mit Thrombozyten-Werten von weniger als 150.000 pro mm3 Blut lag am Ende der Behandlung bei 4,9% (Linezolid: 10,8%, p < 0,001).
ZUSAMMENFASSUNG:
Tedizolid (SIVEXTRO) ist ein neues Oxazolidinon, das in einer Dosierung von einmal täglich 200 mg oral oder intravenös bei Haut- und Weichgewebeinfektionen durch grampositive Erreger angewandt werden kann. Im Vergleich zu Linezolid (ZYVOXID) zeigt es eine höhere antibakterielle Aktivität und es wird langsamer eliminiert, was eine einmal tägliche Dosierung ermöglicht. Derzeit wird untersucht, ob das neue Arzneimittel auch bei nosokomialer Pneumonie eingesetzt werden kann. In den klinischen Studien war Tedizolid gleich gut wirksam und eindeutig besser verträglich als Linezolid. Verträglichkeit und Interaktionsrisiken können derzeit jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden.
2. EMA, Summary of Product Characteristics, SIVEXTRO
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Ergänzung (2019)
Leitlinie zur Therapie mit parenteralen Antibiotika
Auf die ausführliche PEG S2k Leitlinie (AWMF-Registernummer 082-006) der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.v. (PEG) Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – update 2018 (2. aktualisierte Version; 25. Juli 2019) sei an dieser Stelle hingewiesen.
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Ergänzung (2021)
Tedizolid bei nosokomialer Pneumonie?
Tedizolid besitzt pharmakologische Eigenschaften, die eine Verwendung bei nosokomialer Pneumonie nahe legen. Bei beatmeten Patienten erwies es sich als ähnlich wirksam wie Linezolid, wenn die Gesamtsterblichkeit nach vier Wochen betrachtet wird. Die Heilungsrate nach einer bis zwei Wochen war jedoch zugunsten des Linezolid unterschiedlich. Tedizolid ist bisher nicht bei nosokomialer Pneumonie zugelassen, es wird bei akuten bakteriellen Hautinfektionen eingesetzt.