Unveränderter Text aus Heft 3, 1993
Aktuelle Ergänzungen am Ende des
Textes
(siehe auch: Ribavirin oral, REBETOL, Heft 3, 2001)
Die meisten der heute therapeutisch verwendeten Virustatika sind Nukleosid-Analoga - die Moleküle dieser Arzneimittel bestehen aus einem Zuckeranteil und
einer Base.1 Im Vergleich zu den physiologischen DNA-Bausteinen wurde der Zuckeranteil derart chemisch modifiziert, daß es zu einer Störung der Nukleinsäure-Synthese durch Kettenabbruch
oder Polymerase-Hemmung kommt. Im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Nukleosid-Analoga ist das neu eingeführte Ribavirin (VIRAZOLE) eine Substanz mit veränderter Base (Zuckeranteil: Ribose). Der
Wirkungsmechanismus dieses Antimetaboliten ist noch nicht genau bekannt, beschrieben wurden jedoch eine Hemmung der Synthese von Guanosin-Nukleosiden, eine Hemmung der RNA-Polymerase und eine
indirekte Hemmung der Proteinbiosynthese. Zur systemischen Gabe ist Ribavirin in den USA seit 1972 verfügbar, seit 1986 ist es von der FDA auch zur Aerosol-Behandlung zugelassen.
Prinzipiell wirkt Ribavirin gegen ein recht breites Spektrum von Viren (z. B. Hepatitis-A- , Influenza-, Masern-, Herpes- und HI-Viren). Therapeutisch relevant ist jedoch nur die Aktivität gegen RS-Viren (= Respiratory Syncytial Viren). Unter experimentellen und therapeutischen Bedingungen wurde bisher keine Resistenzentwicklung beobachtet, wie sie von anderen Virustatika [z.B. Aciclovir (ZOVIRAX) oder Zidovudin (RETROVIR)] bekannt ist.
In Deutschland wird Ribavirin nur zur Aerosoltherapie angeboten. Die Substanz wird unter diesen Bedingungen in geringem Ausmaß resorbiert und innerhalb von 24 Stunden renal eliminiert. Die Plasmaspiegel lagen zwischen 0,5 und 2,2 mg/l nach 8-stündiger Inhalation. Im Atemwegssekret werden Konzentrationen von über 1000 mg/l erreicht; die Spiegel persistieren mit einer Halbwertzeit von 1,4 bis 2,5 Stunden. Bei Applikation einer Lösung von 20 mg Ribavirin/ml wird die verabreichte Dosis bei Kindern (weniger als 1 Jahr alt) auf 1,8 mg/kg/Stunde geschätzt.
Der Inhalt einer Flasche VIRAZOLE (6 g Ribavirin) wird in 300 ml Wasser gelöst und als Aerosol über 12
bis 18 h verabreicht. Als Indikation kommen schwere Infektionen der unteren Atemwege, verursacht durch RS-Viren, in Frage. Eine nach klinischer Diagnose begonnene Therapie sollte nur fortgesetzt
werden, wenn die Diagnose innerhalb von 24 Stunden durch einen positiven Erregernachweis bestätigt wird. Zur Behandlung soll ein spezielles Verneblungsgerät (SPAG-2) eingesetzt werden. Wird das
Aerosol bei Patienten angewandt, die gleichzeitig beatmet werden müssen, ist eine Überwachung des Beatmungsgerätes erforderlich, da Niederschläge des Medikamentes die Schlauchsysteme verengen können.
Filter und Ventile sollen alle 2 - 4 Stunden gewechselt werden.
Das Behandlungspersonal muß vor einer Inhalation des Medikamentes geschützt werden. Ribavirin wirkt im Tierexperiment teratogen; eine kanzerogene Wirkung wurde nicht
beobachtet.2
Die Anwendung des teuren Medikamentes bei RS-Virusinfektionen ist nicht unumstritten. Es liegen mehrere
kontrollierte klinische Studien vor, in denen eine vorteilhafte Wirkung des Virustatikums gesehen wurde. Die Studien an Kindern mit Spontanatmung sind jedoch wegen der geringen Anzahl untersuchter
Patienten und aus anderen Gründen (statistische Methoden!) kritisiert worden. Keine der älteren Studien bewies signifikante Veränderungen in der Mortalität, der Behandlungsdauer oder der Dauer des
Krankenhaus-aufenthaltes.
Neuere Studien zeigten einen therapeutischen Erfolg bei leichten RSV-Infektionen bei Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie oder angeborener Herzerkrankung3. In einer weiteren,
Placebo-kontrollierten Studie an insgesamt 28 Kindern, die aufgrund schwerer RSV-Infektionen beatmet werden mußten, wurde eine signifikante Verkürzung der Dauer der mechanischen Beatmung durch
Ribavirin erreicht (4,9 Tage vs. 9,9 Tage). Auch die Dauer des Krankenhaus-aufenthaltes war geringfügig reduziert4.
Bei systemischer Verabreichung besitzt Ribavirin ein hämatotoxisches Potential. Bei inhalativer Verabreichung wird die Substanz jedoch gut vertragen - Veränderungen des Blutbilds wurden nicht
beobachtet. In den USA wurde bei Auswertung der Daten von mehr als 25.000 Patienten die Häufigkeit von Nebenwirkungen mit weniger als 1% berechnet. Am häufigsten waren Hautirritationen (Ausschlag,
Rötung) und milde Bronchospasmen bei Therapiebeginn.
Ribavirin (VIRAZOLE) ist ein neues Virustatikum, das zur inhalativen Therapie von bronchopulmonalen Infektionen durch
RS-Viren ("Respiratory Syncytial Viren") geeignet ist. Insbesondere bei Kindern mit kardiologischen oder pulmo-logischen Grunderkrankungen und/oder Immunsuppression sowie bei schwerkranken,
beatmungspflichtigen Patienten konnte in klinischen Studien ein Nutzen der Therapie nachgewiesen werden. Die Verträglichkeit war gut; Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz des Personals müssen beachtet
werden.
1. Antiviral Agents. In: MANDELL, G.L., DOUGLAS, R.G., BENNETT, J.E. Principles and Practice of Infectious Diseases. S. 379-381, 1990
2. Virazole. Informationsmaterial des Herstellers (Thomae, Biberach) Ribavirin wird seit 1999 von ICN Pharmaceuticals Holland B.V. vertrieben.
3. GROOTHUIS JR, WOODIN KA et al. Early ribavirin treatment of respiratory syncytial
viral infection in high-risk children. J Pediatr. 1990 Nov;117(5):792-8.
4. SMITH DW, FRANKEL LR et al. A controlled trial of aerosolized ribavirin
in infants receiving mechanical ventilation for severe respiratory
syncytial virus infection. N Engl J Med. 1991 Jul 4;325(1):24-9.
Ergänzung (2001)
Ribavirin (REBETOL) wird seit 2001 zur oralen Therapie der Hepatitis C in Kombination mit subkutan verabreichtem
Interferon-alpha eingesetzt (siehe Heft 3, 2001).
Ergänzung (2005)
Zur Prophylaxe der RS-Virusinfektion bei Kindern steht Palivizumab (SYNAGIS) zur Verfügung. Der monoklonale Antikörper wird einmal monatlich intramuskulär verabreicht (siehe Heft 3, 2005).
Ergänzung (2020)
Ribavirin bei RSV-Infektionen nicht mehr empfohlen
Die inhalative Ribavirin-Behandlung wird kaum noch durchgeführt, in Plazebo-kontrollierten Studien zeigte sich bislang kein eindeutiger günstiger Effekt auf die Häufigkeit der Beatmungspflicht, die Dauer der intensivmedizinischen Therapie oder des Krankenhausaufenthaltes bei einer RSV-induzierten Erkrankung und auf die Entwicklung einer Pneumonie. Die Ribavirin-Therapie wird daher nicht mehr empfohlen.
RKI, Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen (RSV), Mai 2011