Ergänzungen am Ende des Textes
Nitrofurantoin (FURADANTIN u.a) wird seit vielen Jahren zur Prophylaxe und Therapie von unkomplizierten Harnwegsinfektionen angewandt.[1] Mit der Entwicklung von anderen Antiinfektiva, die zur Therapie von Harnwegs-infektionen besser geeignet sind, ging der Einsatz von Nitrofurantoin bei dieser Indikation über Jahrzehnte kontinuierlich zurück. Angesichts der rasch zunehmenden Resistenzhäufigkeit von E. coli gegen die üblichen Standardmedikamente ergibt sich heute aber zunehmend das Problem, ein geeignetes Medikament für Patienten mit Harnwegsinfektionen auszuwählen. Da neu entwickelte therapeutische Alternativen derzeit und in absehbarer Zukunft nicht zur Verfügung stehen, muss gelegentlich auf ältere Antiinfektiva, wie Nitrofurantoin, trotz bekannter Risiken zurückgegriffen werden.[2,3]
Nitrofurantoin wirkt bakteriostatisch, in höheren Konzentra-tionen auch bakterizid. Der Wirkungsmechanismus ist im Einzelnen nicht geklärt. Die
antibakterielle Wirkung entfaltet sich nach Reduktion der Nitrogruppe im bakteriellen Stoffwechsel. Offenbar greift die Substanz in zahlreiche Vorgänge im bakteriellen Stoffwechsel ein. In
reduzierter Form entstehen DNA-Addukte, in der Folge kommt es zu Strangbrüchen, einer Hemmung der Proteinsynthese und anderen Prozessen. Zum Spektrum des Wirkstoffs gehören die üblichen Erreger von
Harnwegsinfektionen, wie E. coli mit einer minimalen Hemmkonzentration von etwa 16 mg/l. Im sauren Milieu des Urins ist die antibakterielle Aktivität erhöht. Citrobacter und die meisten Stämme von
Klebsiella und Enterobacter Spezies sind ebenfalls empfindlich. Relativ hohe Resistenzquoten bestehen bei Proteus-, Providencia und Serratia spp., Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter sind fast
immer resistent. Bemerkenswert ist die gute Aktivität der Substanz gegen grampositive Kokken, wie S. aureus, S. epidermidis und auch Enterokokken. Sogar Vancomycin-resistente Enterokokken (meist E.
faecium) werden durch Nitrofurantoin erfasst. Die Resistenzlage ist über die Jahrzehnte der therapeutischen Anwendung praktisch unverändert geblieben, was durch die vielfältigen Angriffspunkte der
Substanz in der Bakterienzelle erklärt wird.[2,4]
Nach oraler Gabe wird Nitrofurantoin fast vollständig resorbiert. In der makrokristallinen Form erfolgt die Resorption verzögert, was zu einer verbesserten gastrointestinalen Verträglichkeit beitragen soll. Die Plasma-Halbwertzeit beträgt ca. 20 bis 30 Minuten, bei eingeschränkter Nierenfunktion ist sie verlängert. Im Gewebe erfolgt ein rascher Abbau der Substanz. Die Spitzenkonzentration im Plasma liegt nur bei etwa 1 mg/l, antibakteriell wirksame Konzentrationen im Plasma und im Gewebe werden also nicht erreicht.[2] Die Spiegel im Urin liegen zwischen 50 und 250 mg/l, weshalb Nitrofurantoin erfolgreich zur Behandlung von Harnwegsinfektionen angewandt werden kann. In niedrigen Konzentrationen wird Nitrofurantoin allerdings in alle Gewebe und Körperflüssigkeiten verteilt, was unter dem Aspekt unerwünschter Wirkungen von Bedeutung ist. So werden zum Beispiel in der Plazenta und im Embryo Konzentrationen von etwa 2 μg pro Gramm Gewebe gemessen. In der Frauenmilch finden sich deutlich niedrigere Konzentrationen als im Plasma.[1]
Nitrofurantoin wird zur Behandlung der akuten und rezidivierenden Zystitis angewandt. Es soll
allerdings nur verordnet werden, wenn „effektivere und risikoärmere Antibiotika oder Chemotherapeutika nicht einsetzbar sind“.[1] Es wird bei Frauen vor der Menopause als eine mögliche Alternative zu
den sonst üblichen Therapeutika empfohlen, zum Beispiel wenn die Resistenz gegen Trimethoprim alleine (INFECTOTRIMET) oder in Kombination mit Sulfamethoxazol (COTRIM u.a.) bei > 20% liegt. Auch
bei älteren Frauen ist es bei dieser Indikation anwendbar. Die empfohlenen Dosierungen liegen bei 3 x tgl. 50 bis 100 mg, bzw. 2 x tgl. 100 mg für Zubereitungen mit verzögerter Freisetzung des
Wirkstoffes.[4]
Die Therapiedauer beträgt fünf bis sieben Tage. Eine Kurzzeittherapie, wie sie mit anderen Therapeutika erfolgreich durchgeführt werden kann, ist mit Nitrofurantoin offenbar nicht möglich. Eine
dreitägige Behandlung von Frauen mit Harnwegsinfektionen war mit einem Therapieversagen bei fast 20% der Patientinnen verbunden; günstiger waren die Therapieresultate mit Trimethoprim oder einem
Chinolonpräparat.[4,5] Unter Verträglichkeitsaspekten ist besonders die Anwendung von Nitrofurantoin zur länger dauernden Prophylaxe von Harnwegsinfektionen problematisch. Jedoch gilt Nitrofurantoin
nach Abwägung aller Vor- und Nachteile auch bei dieser Indikation neben Trimethoprim und Cotrimoxazol als eines der primär empfohlenen Mittel. Zur Prävention der häufig rezidivierenden Zystitis liegt
die empfohlene Dosierung bei 50 bis 100 mg täglich.[4]
Umstritten ist nach wie vor die Anwendung von Nitrofurantoin in der Schwangerschaft. Häufig wird darauf hingewiesen, dass teratogene Wirkungen beim Menschen nicht bekannt geworden sind. Da
Nitrofurantoin die Aktivität der Glutathion-Reduktase reduziert, kann es aber bei Neugeborenen zu einer hämolytischen Anämie führen, wenn die Schwangere kurz vor der Entbindung Nitrofurantoin
erhalten hat. Zumindest die Anwendung im letzten Trimenon ist daher eindeutig kontraindiziert.[6,7]
Zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Nitrofurantoin-Behandlung gehören Störungen des
Gastrointestinaltrakts (Erbrechen, Übelkeit, cholestatischer Ikterus); gelegentlich kommt es zu allergischen Reaktionen (Pruritus, Exantheme, Fieber etc.). Die Häufigkeit von pulmonalen
Nebenwirkungen liegt bei mehr als 1%, es werden akute und chronische Lungenreaktionen unterschieden (siehe Übersicht "Pulmonale unerwünschte Wirkungen
von Antiinfektiva" ZCT Heft 5, 2007). Zentralnervöse Symptome (Schwindel, Kopfschmerzen) können ebenfalls auftreten, insbesondere bei Dauertherapie ist eine Polyneuropathie möglich, die
irreversibel sein kann.[8] Das Risiko ist erhöht bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, sowie bei Patienten mit Diabetes mellitus. Schwerwiegende hämatologische Veränderungen sind sehr
selten (Anämien, Agranulozytose), ebenso Autoimmun-reaktionen, die meist in Zusammenhang mit chronischen Lungen- oder Lebererkrankungen bekannt geworden sind. Leitsymptome dieser Lupus-ähnlichen
Syndrome waren Fieber, Exanthem, Arthralgien und Eosinophilie.
Nitrofurantoin besitzt ein mutagenes und kanzerogenes Potenzial; bei Verabreichung an trächtige Tiere wurden erhöhte Fehlbildungsraten bei den Nachkommen beobachtet. In höheren Dosierungen
beeinträchtigt es die Spermatogenese. Bisher gibt es jedoch keine Hinweise auf teratogene oder fertilitätsstörende Wirkungen beim Menschen.[1]
In folgenden Situationen ist Nitrofurantoin kontraindiziert:
- bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- bei Niereninsuffizienz (auch bei geringfügiger Einschränkung der Nierenfunktion)
- bei Polyneuropathien
- im letzten Trimenon der Schwangerschaft (in den ersten sechs Monaten nur bei eindeutiger IIndikation!)
- bei Glukose-6-Phosphatdehydrogenasemangel (Risiko für hämolytische Anämie!)
Besondere Vorsicht ist geboten bei älteren Patienten, da hier stets mit einer eingeschränkten Nierenfunktion gerechnet werden muss und bei Patienten mit Erkrankungen, die als unerwünschte Wirkungen
von Nitrofurantoin auftreten können (z. B. Lungenfibrose, chronische Hepatitis oder Cholestase).
Nitrofurantoin (diverse Generika) ist ein lange bekanntes Antiinfektivum mit einer Aktivität gegen
grampositive und gramnegative Bakterien. Die Resistenzsituation ist trotz jahrzehntelanger Anwendung noch günstig. Wegen der raschen Elimination und geringen Gewebegängigkeit kann Nitrofurantoin nur
bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen (akute und rezidivierende Zystitis) angewandt werden. Die Therapiedauer beträgt fünf bis sieben Tage. Gastrointestinale Nebenwirkungen sind häufig, besonders
bedeutsam sind akute und chronische pulmonale Reaktionen, die tödlich verlaufen können. Auch Leberschäden und allergische Reaktionen sind als mögliche unerwünschte Wirkungen von Nitrofurantoin zu
berücksichtigen. Da sich die Resistenzsituation bei den anderen Substanzen, die zur Therapie der Zystitis empfohlen werden, in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat, besitzt das
Nitrofurantoin trotz der erheblichen Nachteile und Risiken auch heute noch einen gewissen therapeutischen Stellenwert. Sein Einsatz sollte jedoch in jedem Fall sehr wohl überlegt sein.
1. FACHINFO Nitrofurantoin retard-ratiopharm, Ratiopharm GmbH, Januar 2006
2. CUNHA
BA. New
uses for older antibiotics: nitrofurantoin, amikacin, colistin, polymyxin B, doxycycline, and
minocycline revisited Med Clin North Am. 2006 Nov;90(6):1089-107.
3. GUAY
DR. An
update on the role of nitrofurans in the management of urinary tract infections. Drugs.
2001;61(3):353-64.
4. European Association of Urology (EAU) (www.uroweb.org/publications/)
5. GOETTSCH
WG, JANKNEGT R et al. Increased
treatment failure after 3-days' courses of nitrofurantoin and
trimethoprim for urinary tract infections in women: a population-based retrospective cohort study using
the PHARMO database. Br J Clin Pharmacol. 2004 Aug;58(2):184-9.
6. CIMOLAI
N, CIMOLAI T. Nitrofurantoin
and pregnancy. CMAJ.
2007 Jun 19;176(13):1860-1
7. LE, J. et al. Urinary tract iinfections during
pregnancy. Ann Pharmacother 2004;38:1692-1701
8. KAMMIRE
LD, DONOFRIO PD. Nitrofurantoin
neuropathy: a forgotten adverse effect. Obstet
Gynecol. 2007;110:510-2
Ergänzungen
Welche Prophylaxe bei Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen?
Einen Beitrag zu der Problematik finden Sie im Heft 2, 2014 dieser Zeitschrift (siehe Archiv).
Renaissance alter Antibiotika.
Einen Beitrag über den aktuellen Stellenwert alter Antibiotika finden Sie im Heft 6, 2015 dieser
Zeitschrift. Hier wird die Thematik am Beispiel von Nitrofurantoin ausführlich erörtert (siehe Archiv).
Neue Daten zur Pharmakologie von Nitrofurantoin
In einem in vitro-Modell konnte gezeigt werden, dass die Zeitdauer der Konzentrationen von Nitrofurantoin oberhalb der minimalen Hemmkonzentration der entscheidende pharmakologische Index
für die bakterizide Wirkung der Substanz ist. Ein ESBL-produzierender E. coli-Stamm war ähnlich sensibel wie der Wildtyp.