Indinavir (CRIXIVAN) ist vor einigen Monaten in den Ländern der EU zur Behandlung der HIV-Infektion in Kombination mit antiviralen Nukleosid-Analoga zugelassen worden. Neben Saquinavir und Ritonavir stehen damit insgesamt drei Chemotherapeutika zur Verfügung, die ihre antiretrovirale Wirkung über den gleichen Mechanismus entfalten: alle binden kompetitiv an das katalytische Zentrum der HIV-Protease. Sie verhindern dadurch die Spaltung der viralen Polyproteinvorstufen, die während der Reifung neu gebildeter Viruspartikel erfolgt.[1] Zusammen mit den fünf Nukleosid-Analoga gibt es derzeit also insgesamt acht (s. ZCT 1996; 17:26-28 und ZCT 1996; 17:44), speziell zur Therapie der HIV-Infektion entwickelte Chemotherapeutika.
Antivirale Aktivität
Indinavir hemmt die Virusreplikation in Konzentrationen von etwa 0,1 µM (=0,07 mg/l). Die Substanz besitzt eine etwa zehnmal höhere Selektivität für die Protease von HIV-1 im Vergleich zur Protease aus HIV-2. Auch im menschlichen Organismus gibt es Proteasen (Renin, Cathepsin D, Elastase, Faktor Xa), doch erfolgt durch die Hemmstoffe der viralen Protease wegen der Spezifität des Enzyms keine relevante Hemmung dieser humanen Proteasen.
Pharmakokinetik
Nach oraler Einnahme von 800 mg Indinavir im Nüchternzustand wurden im Plasma gesunder Probanden nach etwa einer Stunde Spitzenkonzentrationen von 11,7 µM (= 8,3 mg/l) gemessen. Bei HIV-positiven Patienten schwankten die Konzentrationen im Plasma bei Einnahme von dreimal täglich 800 mg im Mittel zwischen 7,9 und 0,14 mg/l. Fett- und proteinreiche Mahlzeiten verringern die Resorption beträchtlich, während durch leichte Mahlzeiten kaum eine Veränderung erfolgt. Es wird jedoch empfohlen, das Präparat nüchtern einzunehmen. Indinavir wird in relativ geringem Maße (zu 60%) an Plasmaproteine gebunden. Die Elimination erfolgt überwiegend hepatisch mit einer Halbwertzeit von 1,8 Stunden.
Insgesamt wurden sieben Metabolite ohne wesentliche antivirale Aktivität beim Menschen nachgewiesen. Der Pyridin- und der
Indanring im Molekül des Arzneistoffes bilden die wichtigsten Angriffsstellen für das Cytochrom-Isoenzym CYP3A4, das an der Metabolisierung überwiegend beteiligt ist. Weniger als 20% einer Dosis
werden im Urin ausgeschieden. Bei Patienten mit Leberinsuffizienz und Zirrhose ist die Metaboliserung verringert, die AUC-Werte sind deutlich höher und die Halbwertzeit steigt auf 2,8 Stunden
an.
Interaktionen
Wie bei den anderen beiden Proteaseinhibitoren ist auch während der Therapie mit Indinavir mit vielfältigen Interaktionen zu rechnen. Nach Angaben des Herstellers sollen die folgenden Arzneimittel
nicht gleichzeitig angewandt werden: Rifampicin (RIMACTAN u. a.), Terfenadin (TELDANE u. a.), Astemizol (HISMANAL), Cisaprid (ALIMIX u. a.) sowie einige Benzodiazepine. Bei gleichzeitiger Gabe der
Nukleoside Zidovudin (RETROVIR) und Lamivudin (EPIVIR) sowie der Antiinfektiva Clarithromycin (KLACID) oder Cotrimoxazol
(BACTRIM u. a.) sollen dagegen keine relevanten Wechselwirkungen auftreten. Auch mit einem oralen Kontrazeptivum (Norethisteron / Ethinylestradiol 1/35) wurden keine klinisch relevanten Interaktionen
gesehen.
Klinische Erfahrungen
Die klinischen Studien wurden an verschiedenen Patientenkollektiven durchgeführt. Dazu gehören sowohl Patienten, die noch nicht antiretroviral behandelt wurden, als auch solche, bei denen eine entsprechende Therapie bereits erfolgte. Nach Angaben des Herstellers ergibt sich folgendes Bild von der klinischen Wirksamkeit des Medikamentes:[2]
Die empfohlene Dosierung beträgt 3 x täglich 800 mg oral in Kombination mit anderen HIV-wirksamen Substanzen. Niedrigere Dosierungen führen zu suboptimalen Ergebnissen. Bei 20 von 22 Patienten, die mit einer Dreifachkombination aus Indinavir, Zidovudin und Lamivudin behandelt wurden, waren nach 24 Wochen keine Virusspiegel mehr nachweisbar. Ein entsprechendes Ergebnis wurde bei 29 von 52 Patienten in der Zweifachkombination mit Zidovudin erreicht. Eine Monotherapie ist wegen der Resistenzentwicklung der Viren nicht sinnvoll. Derzeit werden klinische Studien mit verschiedenen Kombinationspartnern durchgeführt, die demnächst eine weitere Abschätzung der therapeutischen Möglichkeiten des neuen Arzneimittels erlauben werden.
Die Verträglichkeit war insgesamt gut, doch traten gastrointestinale Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Diarrhö bei 10% bis 20% der Patienten auf. Auch Kopfschmerzen und Asthenie wurden ähnlich häufig von den Prüfärzten als möglicherweise, wahrscheinlich oder definitiv "arzneimittelbedingt" beurteilt. Die häufigsten unerwünschten Laborwertveränderungen waren Anstiege der Transaminasen oder des Bilirubins sowie eine Proteinurie. In Einzelfällen kam es unter der Behandlung mit Indinavir zu einer Hepatitis. Obwohl bei diesen Patienten auch andere Ursachen für die Hepatitis in Frage kommen, spricht doch der enge zeitliche Zusammenhang mit der Indinavirgabe für den Proteaseinhibitor als auslösenden Faktor. Es ist empfehlenswert, während der Therapie die Leber-funktionsparameter zu kontrollieren [3]. Bei etwa 6% der Patienten wurde die Therapie wegen unerwünschter Wirkungen abgebrochen. Unter der Behandung mit Indinavir ist es zur Kristallurie und Bildung von Nierensteinen gekommen4. Die Patienten sollen auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (mindestens 1,5 Liter/Tag) achten.
ZUSAMMENFASSUNG
Indinavir (CRIXIVAN) ist ein Hemmstoff der HIV-Protease, der zusammen mit Nukleosiden verabreicht wird. Die Substanz besitzt eine ausreichend gute Bioverfügbarkeit. Die übliche Dosierung beträgt 3 x täglich 800 mg. Zahlreiche Interaktionen mit anderen hepatisch eliminierten Medikamenten wurden beschrieben oder sind zu erwarten. Neben gastrointestinalen Symptomen muß mit Störungen der Nierenfunktion gerechnet werden, da es unter der Therapie zur Kristallurie und Nephrolithiasis kommen kann. Insgesamt stellt die Entwicklung von Indinavir und den anderen Proteaseinhibitoren einen wesentlichen Fortschritt in der Behandlung HIV-infizierter Patienten dar.
1. MOYLE G, GAZZARD B. Current knowledge and future prospects
for the use of HIV protease inhibitors.
Drugs. 1996
May;51(5):701-12.
2. CRIXIVAN Produktmonographie, MSD München, 1996
3. BRAU N, LEAF HL et al. Severe hepatitis in three AIDS patients treated with
indinavir. Lancet. 1997 Mar
29;349(9056):924-5.
4. TASHIMA KT, HOROWITZ JD et al.
Indinavir nephropathy. N Engl J Med. 1997 Jan
9;336(2):138-40.
Ergänzungen (März 2007)
Indinavir wird dreimal täglich eingenommen, was einen Nachteil gegenüber anderen Protease-Inhibitoren darstellt. Eine Kombination mit Ritonavir zur pharma-kokinetischen Verbesserung ist möglich, hinsichtlich der Verträglichkeit bestehen jedoch gewisse Unsicherheiten. Eine Nephrolithiasis als typische Komplikation scheint bei „Boosterung“ häufiger zu sein.
VOIGT E, WICKESBERG A et al. First-line ritonavir/indinavir 100/800 mg twice daily plus nucleoside reverse transcriptase inhibitors in a German multicentre study: 48-week results. HIV Med. 2002 Oct;3(4):277-82.
Ergänzungen (Oktober 2014)
1. HIV 2014 / 2015 - ein umfangreiches Buch ist unter hivbuch.de kostenlos als PDF-Datei verfügbar (809 Seiten, 4,43 MB)
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Ergänzungen (Januar 2020)
Indinavir nicht mehr im Handel
Als Indinavir 1996 zugelassen wurde galt es als eins der wirksamsten antiretroviralen Arzneimittel. Mittlerweile sind besser verträgliche Proteaseinhibitoren und neue Substanzklassen im Handel, um eine HIV-Infektion zu behandeln. Zum Jahresende 2019 wurde der Vertrieb des Präparates CRIXIVAN eingestellt. Generische Präparate gibt es nicht, daher müssen Patienten, die bisher mit Indinavir behandelt wurden, auf andere Wirkstoffe umgestellt werden.
Mitteilung MSD, 10. September 2019