Unveränderter Text aus Heft 4, 2020
Imipenem war das erste Carbapenem, das in Deutschland seit 1985 verfügbar ist. Es wird stets in Kombination mit Cilastatin verwendet, um einen raschen Abbau in der Niere durch die Dehydropeptidase I zu verhindern. Relebactam ist ein neu entwickelter ß-Laktamaseinhibitor, der in Kombination mit Imipenem/Cilastatin unter dem Namen RECARBRIO in den Handel kommt. Jede Durchsteckflasche zur Herstellung der Infusionslösung enthält 500 mg Imipenem, 500 mg Cilastatin und 250 mg Relebactam. Damit steht neben Meropenem plus Vaborbactam (VABOMERE) eine weitere Kombination aus Carbapenem und ß-Laktamaseinhibitor zur Verfügung.1
Tabelle 1:
Therapeutisch verfügbare ß-Laktamase-inhibitoren
Gruppe |
Inhibitor
|
Antibio-tikum |
ESBL |
AmpC |
KPC |
OXA-48 |
MBL |
Clavan
|
Clavulan-säure |
Amoxi-cillin Ticar-cillin |
+ |
- |
- |
- |
- |
Penam- sulfon |
Sulbac-tam |
Ampi-cillin |
+ |
- |
- |
- |
- |
Tazobac-tam
|
Pipera-cillin Cefto-lozan |
+ |
- |
- |
- |
- |
|
DBO*
|
Avibac-tam |
Cefta-zidim |
+ |
+ |
+ |
+ |
- |
Relebac-tam
|
Imi-penem |
+ |
+ |
+ |
- |
- |
|
Boron-säure
|
Vabor-bactam |
Mero-penem |
+ |
+ |
+ |
- |
- |
Tanibor-bactam (=VNRX-5133)** |
Cefe-pim
|
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
* DBO = Diazabicyclooctan; ** in klinischer Prüfung
+ = relevante Hemmung; - = keine relevante Hemmung
Relebactam besitzt keine antibakterielle Aktivität; in Kombination mit Antibiotika kann jedoch deren Wirkung wieder hergestellt werden, wenn Erreger durch ß-Laktamaseproduktion resistent geworden sind. Die Substanz hemmt ß-Laktamasen der Klassen A und C; Enzyme der Klassen B (Metallo-ß-Laktamasen) und D werden nicht beeinflusst.
Chemisch besteht eine große Ähnlichkeit mit Avibactam, das in dem Kombinationspräparat ZAVICEFTA neben Ceftazidim enthalten ist.2 Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verfügbaren Kombinationen aus ß-Laktamantibiotika und ß-Laktamaseinhibitoren.3
Abbildung: Strukturformel von Relebactam (MK-7655, MM 348). Der Unterschied zu Avibactam besteht in einem zusätzlichen Piperidinring (blau). Beide Inhibitoren sind Diazabicyclooctanone (DBO).
Antibakterielle Aktivität
Zum Spektrum der Kombination aus Imipenem und dem Inhibitor gehören aerobe gramnegative Mikroorganismen, wie Citrobacter freundii, Enterobacter spp., Escherichia coli, Klebsiella spp., Pseudomonas aeruginosa, Serratia marcescens und einige anaerobe Bakterien wie Bacteroides fragilis oder Fusobacterium spp. Im grampositiven Bereich werden Enterococcus faecalis, Staphylococcus aureus (nur Methicillin-sensible Isolate) und Streptokokken der Viridans-Gruppe erfasst. Die Überexpression der PDC (Cephalosporinase aus Pseudomonas), gekoppelt mit dem Verlust des Eintrittsporins OprD für Imipenem, kann zu einer Resistenz gegenüber der Kombination bei P. aeruginosa führen. Die Expression von Effluxpumpen bei P. aeruginosa hat jedoch keinen Einfluss.1,2,3
Pharmakokinetische Eigenschaften
Bei alleiniger Anwendung wird Imipenem in der Niere durch die Dehydropeptidase I verstoffwechselt, weshalb das Carbapenem nur niedrige Konzentrationen im Urin erreicht. Cilastatin, ein Hemmstoff dieses Enzyms, verhindert die renale Verstoffwechselung, so dass bei zeitgleicher Anwendung von Imipenem und Cilastatin therapeutisch ausreichende Imipenem-Spiegel im Urin (ca. 70 % der Dosis) erreicht werden. Die Kombination aus Imipenem (500 mg) / Cilastatin (500 mg) plus Relebactam (250 mg) wird alle sechs Stunden über eine Dauer von 30 Minuten als intravenöse Infusion verabreicht. Die Bindung an humane Plasmaproteine beträgt bei Relebactam und Imipenem etwa 20 % (Cilastatin ca. 40 %).3,4,5 Auch die Verteilungsvolumina von Imipenem, Cilastatin und Relebactam unterscheiden sich nicht wesentlich. Nach mehrfacher Infusion alle sechs Stunden wurden die Verteilungsvolumina mit 24,3 l; 13,8 l bzw. 19,0 l berechnet. Weitere Daten werden in der Tabelle 2 zusammengefasst.
Tabelle 2: Pharmakokinetische Eigenschaften der drei Wirkstoffe des Arzneimittels
|
Imipenem |
Cilastatin |
Relebactam |
Molekulare Masse (g/mol) |
299,35 |
358,45 |
348,37 |
Dosis (mg) |
500 |
500 |
250
|
Cmax µM mg/l |
106 ± 26,8 31,7 ± 8,0 |
96,4 ± 21,8 34,6 ± 7,8 |
48,3 ± 24,9 16,8 ± 8,7 |
AUC0-6 h µM x h mg x h / l |
138 ± 17,8 41,3 ± 5,3 |
98,0 ± 17,0 35,1 ± 6,1 |
81,6 ± 17,8 28,4 ± 6,2 |
t½ (h) |
1,1 ± 0,1 |
1,0 ± 0,1 |
1,7 ± 0,2
|
Cl (l/h) |
12 ± 17,8 |
14,2 ± 17 |
8,8 ± 17,8
|
Vdss (l/kg) |
24,3 |
13,8 |
19,0
|
Anteil in ELF |
55% |
kA |
54% |
Die Penetration in die pulmonale epitheliale Flüssigkeit (epithelial lining fluid, ELF) betrug gut 50 % der Plasmakonzentration für Imipenem und Relebactam.
Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von weniger als 90 ml/min ist eine Dosisreduktion des Arzneimittels erforderlich. Unter Beibehaltung des Dosisintervalls wird die Dosierung der drei Komponenten bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance zwischen 30 und 60 ml/min um 40% auf 300, 300 und 200 mg reduziert. Für Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 150 ml/min und mehr sollten alternative Behandlungsstrategien in Betracht gezogen werden.
Klinische Studien
Nach der Definition der europäischen Zulassungsbehörde EMA kann das Kombinationspräparat bei Patienten mit „Infektionen durch aerobe gramnegative Erreger und begrenzten Therapieoptionen“ angewandt werden. Die Indikation beruht auf der „Erfahrung mit Imipenem/Cilastatin, pharmakokinetisch-pharmakodynamischen Analysen für Imipenem/Cilastatin/Relebactam und den limitierten Daten aus einer randomisierten klinischen Studie, in der 21 auswertbare Patienten mit RECARBRIO und zehn auswertbare Patienten mit Colistin und Imipenem/Cilastatin, aufgrund von Infektionen durch Imipenem-unempfindlichen Erregern, behandelt wurden“.1
Die Doppelblindstudie wurde publiziert.6,7 Initial wurden in 16 verschiedenen Krankenhäusern in 11 Ländern insgesamt 48 Patienten randomisiert. Die mMITT-Population bestand aus 31 Patienten (mMITT = modified microbiologic intent-to-treat). Bei der Hälfte der Patienten in beiden Gruppen lag eine komplizierte Harnwegsinfektion bzw. akute Pyelonephritis vor, acht bzw. drei Patienten hatten eine nosokomiale Pneumonie bzw. beatmungsassoziierte Pneumonie, jeweils zwei Patienten hatten eine komplizierte intraabdominelle Infektion. Bei drei Viertel der Patienten konnte P. aeruginosa als Verursacher der Infektion isoliert werden. Eine indikationsbezogene Bewertung ist aufgrund der wenigen Fälle nicht möglich. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die Nutzen-Risiko-Bewertung tendenziell einen Vorteil für die Behandlung mit der Kombination aus Imipenem und Relebactam erkennen ließ.
Zwei weitere klinische Studien liegen als Publikation vor.8,9 Bei mehr als 300 Patienten mit komplizierten Abdominalinfektionen wurden zwei verschiedene Dosierungen von Relebactam (125 und 250 mg) zusammen mit 500 mg Imipenem, sowie Imipenem ohne ß-Laktamaseinhibitor verglichen. Die häufigsten Diagnosen waren Appendizitis und Cholezystitis. In allen drei Armen der Doppelblindstudie lagen die klinischen Heilungsraten bei Abschluss der intravenösen Therapie bei mehr als 95%. Bei etwa jedem zehnten Studienteilnehmer wurde ein Imipenem-resistenter Erreger zu Beginn der Studie isoliert. Die Mehrheit dieser Bakterien war auch gegen Imipenem-Relebactam resistent. Im Einzelnen waren das 17/19 P. mirabilis, 2/5 P. aeruginosa und 3/3 A. baumannii-Isolate. Trotz Resistenz nach CLSI-Grenzwerten war bei all diesen Patienten das Therapieresultat nach klinischen und auch mikrobiologischen Kriterien gut.9
Unerwünschte Wirkungen, Interaktionen
Gastrointestinale Störungen, wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö, waren die häufigsten unerwünschten Wirkungen während der klinischen Prüfung des Arzneimittels. Spezifische Wirkungen des ß-Laktamaseinhibitors wurden nicht beobachtet. Zentralnervöse Störungen, wie Krampfanfälle, Verwirrtheitszustände und myoklonische Aktivität, sind bekannte Nebenwirkungen von Imipenem/Cilastatin, insbesondere bei ZNS-Vorerkrankungen des Patienten oder wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion nicht berücksichtigt wurde. Imipenem und andere Carbapeneme hemmen die Hydrolyse des Valproinsäure-Glukuronids zu Valproinsäure und können so die Valproinsäure-Serumkonzentration verringern, wodurch sich das Risiko für Krampfanfälle erhöht. Eine gleichzeitige Anwendung der Arzneimittel wird nicht empfohlen.1
ZUSAMMENFASSUNG:
Imipenem wird seit mehr als drei Jahrzehnten zur Behandlung bakterieller Infektionen angewandt. Durch Kombination mit dem neu entwickelten ß-Laktamaseinhibitor Relebactam werden zusätzlich Erreger erfasst, die durch ß-Laktamasebildung resistent geworden sind. Da Imipenem immer mit Cilastatin kombiniert wird, liegen in dem neuen Präparat RECARBRIO drei Wirkstoffe vor, die ähnliche pharmakokinetische Eigenschaften besitzen. Die Kombination wird als intravenöse Infusion verabreicht, die Substanzen werden renal eliminiert. Die bisherigen klinischen Erfahrungen mit dem neuen Arzneimittel – insbesondere bei Infektionen durch Carbapenem-resistente Bakterien - sind noch sehr begrenzt. Die Verträglichkeit wird nach den verfügbaren Informationen durch den neuen Wirkstoff nicht verändert. Der Trend zu neuen ß-Laktamaseinhibitoren setzt sich mit dieser Neueinführung fort, weitere Hemmstoffe der bakteriellen Resistenzenzyme sind in der Entwicklung.
Literatur
1. EMA, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Recarbrio, Merck Sharp & Dohme
4. McCarthy MW. Clinical Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Imipenem-Cilastatin/Relebactam Combination Therapy. Clin Pharmacokinet. 2020 Feb 3. [Epub ahead of print] Review.