Unveränderter Text aus ZCT Heft 2, 1996
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes
Seit Jahrzehnten hat sich Erythromycin (div. Warenzeichen) als wichtiges Antibiotikum zur Behandlung von Infektionen durch grampositive Bakterien, Chlamydien und Mykoplasmen bewährt. Ein wichtiger
Nachteil des Medikamentes ist jedoch die Instabilität der Verbindung im sauren Milieu des Magensaftes. Nachdem bekannt wurde, über welche Wege die Degradation der Substanz im Sauren abläuft, konnte
man gezielt stabilere Verbindungen synthetisieren, die heute zunehmend verordnet werden. Wegen der optimierten Eigenschaften zählen derzeit Roxithromycin (RULID), Clarithromycin (KLACID) und Azithromycin (ZITHROMAX) zu den bevorzugten Präparaten bei einer oralen Therapie mit Makroliden.
Mit Erythromycin-Stinoprat (ERYSEC, MEDISMON u.a.) wird nun eine neue Form des Erythromycin-Propionats auf den Markt gebracht, die gegenüber den klassischen Erythromycin-Präparaten keine erkennbaren
Vorteile besitzt. In Analogie zu dem lang bekannten Erythromycin-Estolat (INFECTOMYCIN u. a.) wird hier lediglich eine neue Salzform einer bekannten Verbindung vermarktet (Acetylcystein fungiert hier
als Anion, während beim Estolat ein Dodecylsulfat-Salz vorliegt).
Nach oraler Gabe entsteht aus dieser Verbindung im Organismus zunächst Erythromycinpropionat, dann freie Erythromycin-Base als Wirkform und außerdem Acetylcystein (ACC, FLUIMUCIL u.a.). Die
Bezeichnung "Multi-Prodrug" soll andeuten, daß von dem freigesetzten Acetylcystein eine sekretolytische Wirkung erwartet wird. Die Mengen an Acetylcystein, die in einer Tablette mit 650 mg Wirkstoff
enthalten sind, lassen keine adäquate sekretolytische Therapie erwarten (ca. 100 mg). Im übrigen ist die fixe Kombination von Antibiotika mit anderen pharmakologisch wirksamen Substanzen
grundsätzlich abzulehnen, da für die Begleittherapie stets andere Einnahmeregeln gelten, als für das Antibiotikum.
Die vom Hersteller des Präparates herausgegebene Broschüre ("Wissenschaftliche Basisinformation") läßt leider viele Wünsche offen. Die Darstellung der antibakteriellen Aktivität der Substanz ist
völlig unzureichend (vergleichende mikrobiologische Untersuchungen fehlen!) und auch bei der Darstellung der pharmakokinetischen Daten ergeben sich Unstimmigkeiten. Da Veröffentlichungen über die
Eigenschaften der Substanz im internationalen Schrifttum sehr spärlich sind, kann insgesamt nur ein erheblicher Mangel an wissenschaftlicher Information festgestellt werden. Von den 30 Zitaten im
"Literaturverzeichnis" der Broschüre sind mehr als 20 unveröffentlicht.
Erythromycin-Stinoprat (ERYSEC, MEDISMON) ist ein "neues" Erythromycin-Präparat, das keine erkennbaren Vorteile gegenüber älteren Salz- oder Esterformen
des Erythromycins besitzt. Da die Dokumentation der Eigenschaften der Substanz sehr zu wünschen übrig läßt, kann die therapeutische Verwendung gegenwärtig nicht empfohlen werden. Die neu entwickelten
säurestabilen Erythromycin-Derivate [Roxithromycin (RULID), Clarithromycin (KLACID) und Azithromycin (ZITHROMAX)] stellen derzeit die rationalere Auswahl in der Gruppe der Makrolid-Antibiotika dar.
Aktuelle Ergänzungen (September 2007)
Hinweis: Hinweise und Empfehlungen zum rationalen Einsatz oraler Antibiotika bei Erwachsenen und Schulkindern (Lebensalter 6 Jahre) einer Expertenkommission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. siehe http://www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de/CTJ/CTJEMPF.HTM