Unveränderter Text aus ZCT Heft 1, 1989
Rezidivierende Harnwegsinfektionen stellen ein erhebliches therapeutisches Problem dar. Regelmäßig haben wir über neue Aspekte und aktuelle Informationen
zu diesem Thema berichtet. Erst kürzlich referierten wir eine kanadische Studie, in der über Nutzen und Risiko einer jahrelangen prophylaktischen Gabe von Co-trimoxazol (BACTRIM u.a.) berichtet wird
(ZCT 9:39-40, 1988).
Zur Zeit erfährt die interessierte Ärzteschaft über "grundlegende Änderungen" der Empfehlungen zur Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Die Informationen kommen allerdings nicht aus
wissenschaftlichen Quellen, sondern stammen aus der Marketingabteilung eines Arzneimittelherstellers. Angepriesen wird URO-VAXOM - ein neues Präparat, das pro Kapsel "6 mg lysierte immunaktive
Fraktionen aus ausgewählten E.coli-Stämmen" enthält. Diese Bakterienreste sollen laut Aussage des Herstellers nach oraler Verabfolgung "immunkompetente Zellen stimulieren, wodurch es zu einer
verstärkten lokalen Immunantwort im Bereich der Harnwege kommt".
Die "klassischen therapeutischen Mittel (Antibiotika, Harnwegsdesinfizienzien) bringen dem Patienten zwar Erleichterung ...., stellen jedoch nicht unbedingt eine Grundbehandlung der rezidivierenden
Infektionen dar." Soweit eine Aussage des Herstellers, der uneingeschränkt zugestimmt werden kann. Weiterhin heißt es in der "wissenschaftlichen" Dokumentation: "mit URO-VAXOM steht ein biologischer
... Immunmodulator zur Verfügung, der ... die geschwächte körpereigene Abwehr stärkt." Spätestens bei dieser Aus-sage wird jeder interessierte Leser nach den Wirksamkeitsnachweisen fragen. Zwei
Antworten werden angeboten, die beide zu wünschen übrig lassen:
(Beispiel: " Die Kulturen von Milzzellen aus oral während 5 Tagen behandelten Mäusen zeigten, daß URO-VAXOM die "Natural-Killer-Cells" stimuliert, was sich an der erhöhten Fähigkeit, Krebszellen zu zerstören, erkennen läßt.") Solche Arbeiten sind natürlich nicht geeignet, etwas über die klinische Wirksamkeit des Präparates bei Harnwegsinfektionen zu erfahren. Um so mehr Interesse gilt den klinischen Studien, die mit URO-VAXOM durchgeführt wurden.
Zunächst wurden einige nicht-kontrollierte Studien mit dem Präparat durchge-führt. Offene Studien sind aber völlig
ungeeignet, die Wirksamkeit eines derartigen Präparates zu überprüfen. Wenn die Ergebnisse aus einer "offenen Multizenterstudie an 521 Patienten aus 90 Praxen (!) in Deutschland und in der Schweiz"
beschrieben werden, so kann man nur Verwunderung äußern, wenn die Untersucher "die Wirksamkeit des Produktes sowohl in Bezug auf die kurative Wirkung der Anfangsbehandlung neben der
Antibiotikatherapie als auch die konsolidierende Langzeitwirkung bis zum 6. Monat in 80% der Fälle positiv beurteilten"1.
Nur eine sorgfältig durchgeführte Doppelblind-Studie könnte geeignet sein, auch den kritischen Arzt von dem Nutzen dieser neuartigen "Immuntherapie" zu überzeugen. In diesem Punkt bietet die vom
Hersteller gelieferte Dokumentation die größte Überraschung: fast alle relevanten Untersuchungen sind "unveröffentlicht" und damit praktisch ohne Wert.
Eine doppelblind durchgeführte Untersuchung aus dem Jahre 1986, die in "Urologia internationalis" publiziert wurde, zeigt erhebliche methodische Mängel2. Es werden zum Beispiel keine genauen Angaben
über die begleitende Chemotherapie gemacht. Pauschal angegeben wird lediglich der Einsatz von "Breitspektrum-Penicillinen, Tetracyclinen oder Co-trimoxazol". Da die Behandlung von Harnwegsinfektionen
mit Tetracyclinen (!) heutzutage sicher nicht als sinnvoll angesehen werden kann, überrascht es nicht, daß diese Publikation international wenig Aufsehen erregt hat.
Es wäre nicht deutlich genug, die hier beschriebene Strategie eines Arzneimittelherstellers ein zweifelhaftes Präparat zu vermarkten, nur einfach "unseriös" zu nennen. Da das neue Arzneimittel nicht
nur als Ergänzung angeboten wird, sondern sogar suggeriert wird, daß es sich um einen Ersatz für bisherige Therapiegewohnheiten handelt, besteht die Gefahr, daß ein Patient mit einer
behandlungsbedürftigen Harnwegsinfektion nicht chemotherapeutisch behandelt wird und so ein erheblicher Schaden verursacht wird.
Als Anwendungsgebiet wird zum Beispiel "akute Pyelonephritis" genannt und es wird lediglich der vage Hinweis gegeben, daß "nötigenfalls eine gleichzeitige Behandlung mit einem Antibiotikum"
durchzuführen sei. Diese Empfehlung ist völig unhaltbar; selbstverständlich muß eine akute Pyelonephritis spezifisch behandelt werden und es ist absolut unverständlich, wie derartige Indikationen für
dieses Präparat von unserer - in anderen Fällen bemerkenswert strengen - Zulassungsbehörde akzeptiert werden konnten.
Mit URO-VAXOM wird ein "Immuntherapeutikum" mit nicht ausreichend belegter Wirksamkeit vermarktet. Empfohlen wird es als
Ergänzung und als Ersatz für spezifische antibakterielle Behandlungsmaßnahmen. Wenn es nur als Ergänzung zu bisher empfohlenen Therapiemaßnahmen eingesetzt wird, sollte bedacht werden, daß für 30
Kapseln immerhin 66,50 DM aufgewendet werden müssen und dieser Preis die Kosten zum Beispiel für ein Co-trimoxazol-haltiges Präparat übersteigt. Vor einer Verordnung als Alternative zu spezifischen
Behandlungsmaßnahmen muß gewarnt werden: durch Einsatz des "Immunobiotherapeutikums" und Verzicht auf eine wirksame antibakterielle Therapie - etwa bei einer akuten Pyelonephritis - kann erheblicher
Schaden verursacht werden.
1. Tammen, H. und Frey, Ch.
Urologe [B] 28:294-296, 1988
2. Frey, Ch. et
al.
Urol. int. 41: 444-446,
1986