Dolutegravir plus Rilpivirin – die erste antiretrovirale Therapie mit zwei Wirkstoffen

Unveränderter Text aus Heft 3, 2018

Die Standardbehandlung der HIV-Infektion besteht seit etwa 20 Jahren in der kontinuierlichen Verabreichung von drei antiretroviral wirksamen Arzneistoffen. Heute stehen insgesamt sieben Dreifachpräparate zur einmal täglichen Einnahme zur Verfügung. Da in sechs dieser Arzneimittel Emtricitabin und Tenofovir enthalten sind, ist die Auswahl nicht so vielfältig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In drei Zubereitungen ist zusätzlich Cobicistat zur Beeinflussung der Pharmakokinetik erforderlich, um ausreichende Plasmaspiegel zu gewährleisten. Da jeder Wirkstoff sein eigenes Nebenwirkungsprofil besitzt und Interaktionen mit anderen Medikamenten verursachen kann, ist es durchaus wünschenswert, die Anzahl der Virustatika in den Kombinationen zu reduzieren. Das Risiko der Resistenzentwicklung steht dem entgegen und mögliche Zweierkombinationen müssen daher sorgfältig klinisch geprüft werden, um ihre Sicherheit nachzuweisen.1 Erste Pilotstudien, etwa mit einer Kombination aus Raltegravir (ISENTRESS) und Maraviroc (CELSENTRI) verliefen enttäuschend: bereits nach 24 Wochen wurde bei jedem dritten Patienten ein Therapieversagen festgestellt, das meist durch zu geringe Plasmakonzentrationen von Maraviroc erklärt werden konnte (vgl. Heft 4, 2014, S.36; www.infektio.de, Archiv). Kombinationen aus sorgfältig ausgesuchten Wirkstoffen in adäquaten Dosierungen, müssen die Basis für eine duale Therapie darstellen, deren Wirksamkeit und Verträglichkeit in prospektiven randomisierten Studien überprüft werden muss.

 

Diese Anforderungen erfüllt JULUCA, in dem 25 mg Rilpivirin (EDURANT) mit 50 mg Dolutegravir (TIVICAY) kombiniert wurden.2,3,4 Wegen der geringen Substanzmenge konnte eine besonders kleine Tablette entwickelt werden. Dies kommt Patienten mit Schluckstörungen entgegen. Das Präparat wurde Ende März 2018 vom Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (CHMP) zur Zulassung empfohlen, in den USA ist es seit einigen Monaten im Handel. Auch mit anderen Kombinationspartnern scheint eine duale, Dolutegravir-basierte Therapie möglich zu sein. Erste Studien mit einer Kombination aus Dolutegravir plus Lamivudin (EPIVIR) verliefen ebenfalls positiv, eine Monotherapie mit Dolutegravir war allerdings nicht erfolgreich und wurde vorzeitig abgebrochen.5,6

 

Pharmakodynamik

 

Die beiden Wirkstoffe wurden bereits in früheren Ausgaben dieser Zeitschrift detalliert beschrieben [Dolutegravir: Heft 4, 2014; Rilpivirin: Heft 1, 2012], die Texte sind frei im Archiv auf unserer Internetseite verfügbar (www.infektio.de, Archiv). Dolutegravir wurde bisher hauptsächlich zusammen mit Abacavir und Lamivudin (TRIUMEQ) verwendet. Wie bei den anderen Integrasehemmstoffen handelt es sich um einen Strangtransferinhibitor. Er bindet an Magnesiumionen im katalytischen Zentrum der Integrase und blockiert die Bildung des Präintegrationskomplexes. In vitro erweist sich Dolutegravir als eine sehr potente Substanz, die bereits im niedrigen nanomolaren Bereich die virale Vermehrung hemmt. Vorteilhaft ist die langsame Dissoziation vom Integrase-DNA-Komplex, dadurch unterscheidet es sich von den anderen Integraseinhibitoren Raltegravir und Elvitegravir (in: STRIBILD), die sich rascher lösen. In vitro-Studien mit mehreren antiretroviralen Substanzen zeigten eine besonders hohe Aktivität und Resistenzbarriere der Kombination aus Dolutegravir mit Rilpivirin.3

 

Rilpivirin ist ein Hemmstoff der reversen Transkriptase mit einer Diarylpyrimidinstruktur. Die antivirale Aktivität (EC50) lässt sich schon bei Konzentrationen unter 1 nM nachweisen. Das Molekül ist flexibel und lagert sich auch bei mutierten Stämmen an die veränderte Bindungsstelle der Transkriptidase an. Daher werden auch resistente Viren gehemmt.

 

Pharmakokinetik

 

Die Bioverfügbarkeit der beiden Wirkstoffe ist bei Einnahme zusammen mit einer Mahlzeit deutlich erhöht. Beide sind zu mehr als 99% an Albumin und andere Plasmaproteine gebunden, die terminale Halbwertzeit von Dolutegravir liegt bei 11 bis 15 Stunden, die Elimination von Rilpivirin erfolgt mit einer Halbwertzeit von ca. 34 bis 55 Stunden. Die pharmakokinetischen Eigenschaften der Wirkstoffe wurden in der Tabelle 1 zusammengefasst.


Tabelle 1: Pharmakokinetik der beiden Inhaltsstoffe Dolutegravir und Rilpivirin

 

 

Dolutegravir

Rilpivirin

Dosierung

50 mg

25 mg

Cmax  (mg/l)

3,7

0,13

Cmin  (mg/l)

1,1

0,08

AUC24h (mg/l x h)

54

2,2

Proteinbindung (%)

>99

>99

Metabolismus

UGT1A1

(CYP3A4)

CYP3A

Renale Elimination (unverändert)

<1%

<1%

t½ (h)

14

50

 

mod. nach Full Prescribing Information JULUCA4

Klinische Studien

 

In mehreren Studien mit einer begrenzten Teilnehmerzahl wurden günstige Ergebnisse mit der Zweierkombination beobachtet.2 Fundierte Daten lieferten zwei identisch angelegte offene Studien mit insgesamt gut 1.000 Teilnehmern (SWORD 1 und 2). Die Ergebnisse wurden Anfang 2018 veröffentlicht.7 Alle Patienten erhielten zum Zeitpunkt der Randomisierung seit mindestens 12 Monaten eine wirksame antiretrovirale Therapie und eine Virämie war nicht nachweisbar (< 50 Kopien/ ml Blut). Insgesamt hatten sie höchstens zwei Kombinationsregime erhalten, die aktuelle Kombination mindestens in den vergangenen sechs Monaten. Etwa 20% nahmen bereits einen Integraseinhibitor in Kombination mit zwei oder drei anderen Arzneistoffen. Eine Hälfte der Teilnehmer setzte mit Beginn der Studie die aktuelle Medikation fort, die andere Hälfte wechselte zu dem dualen Regime. Nach 48 Wochen war die Therapie in beiden Studienarmen gleich erfolgreich: bei jeweils 95% konnten keine Viren im Blut nachgewiesen werden (< 50 Kopien / ml). Ein Therapieversagen wurde anhand der Virus-bestimmungen bei drei (Dualtherapie) und bei sechs Patienten (Standardtherapie) festgestellt. Virusmuta-tionen, die eine Resistenz gegen Integraseinhibitoren bewirken, wurden nicht beobachtet. Nach einer Behandlungsunterbrechung trat bei einem Patienten die NNRTI-Mutation K101K/E auf, die Viren waren aber noch empfindlich gegen Rilpivirin.2

 

Unerwünschte Wirkungen, Interaktionen

 

Insgesamt war die Behandlung in beiden Therapiearmen gut verträglich. Bei jenen Patienten, die zuvor Tenofovir-Disoproxil (VIREAD) eingenommen hatten, konnte eine Verbesserung der Knochendichte festgestellt werden. Die Dualtherapie brachen 17 Patienten ab, davon jeweils sieben aufgrund psychiatrischer Störungen und gastrointestinaler Nebenwirkungen. In der Vergleichsgruppe gab es nur drei Therapieabbrüche. Die Unterschiede könnten u.a. durch das offene Studiendesign erklärt werden. Es muss auch bedacht werden, dass alle Teilnehmer zu Studienbeginn bereits seit mindestens sechs Monaten mit einem Standardregime stabil eingestellt waren. Die endgültige Auswertung ist nach insgesamt 148 Wochen geplant. Die dann vorliegenden Ergebnisse werden eine noch genauere Beurteilung der Vor- und Nachteile der dualen Therapie gestatten.

 

Obwohl die beiden Wirkstoffe ein relativ geringes Potenzial für Interaktionen mit anderen Arzneimitteln besitzen, sind doch eine Reihe von Stoffen bekannt, die nicht zusammen mit dem dualen Präparat JULUCA gegeben werden sollen. So ist zum Beispiel die gleichzeitige Behandlung mit Dexamethason- oder Johanniskraut-haltigen Arzneimitteln aufgrund der enzyminduzierenden Wirkung kontraindiziert. Weitere Interaktionsmöglichkeiten sind in der Tabelle 2 zusammengestellt.

 

Tabelle 2: Arzneimittel-Interaktionen.

Einfluss verschiedener Arzneimittel auf die Konzentrationen von Dolutegravir oder Rilpivirin

 

 

Arzneistoff

 

Veränderung der Spiegel von

 

 

Dolutegravir

 

Rilpivirin

Aluminium- oder Magnesium-haltige Präparate (Antazida)

Kalzium- und Eisen-haltige Präparate (Multi-vitaminzubereitungen)

 

Antikonvulsiva (Carbamazepin, Phenytoin u.a.)

Antimykobakterielle Wirkstoffe (Rifampin

Rifapentin, Rifabutin)


(↔)*

Glukokortikoide (Dexamethason)

 

H2-Rezeptor-Antagonisten (Ranitidin u.a.)

Johanniskraut-

haltige Präparate

 

Makrolide (Erythromycin, Clarithromycin)

Protonenpumpen-inhibitoren (Lansoprazol u.a.)

 

 
* bei Rifabutin

ZUSAMMENFASSUNG:

 

Erstmals wurde mit JULUCA (Dolutegravir plus Rilpivirin) ein Präparat zur dualen Therapie der HIV-Infektion entwickelt. Bei Patienten, die seit mindestens sechs Monaten unter einer Dreifachtherapie stabil eingestellt sind, ist ein Wechsel zu der Zweifachbehandlung möglich. Dies zeigt eine umfangreiche klinische Studie über 48 Wochen, in der keine Therapieversager aufgrund von Resistenzentwicklungen festgestellt wurden. Neuropsychiatrische Nebenwirkungen waren unter der dualen Therapie häufiger als unter der Standardtherapie. Diverse Interaktionen mit anderen Arzneimitteln müssen beachtet werden. Weitere Erfahrungen mit der Zweifachtherapie sind notwendig, um mögliche Resistenzrisiken und die Verträglichkeit besser einschätzen zu können. Es muss sich zeigen, ob auch außerhalb des Rahmens einer klinischen Studie ein ähnlich gutes Resultat erwartet werden kann und wie sich eine mangelhafte Adhärenz des Patienten auf die Sicherheit der Behandlung auswirkt. Prinzipiell ist jedoch die neue Option eine interessante Möglichkeit etwa bei Patienten, die ein Tenofovir-haltiges Regime nicht vertragen.

 

Literatur

 

1. Baril JG et al. Dual Therapy Treatment Strategies for the Management of Patients Infected with HIV: A Systematic Review of Current Evidence in ARV-Naive or ARV-Experienced, Virologically Suppressed Patients. PLoS One. 2016 Feb 5;11(2):e0148231 FREE FULL TEXT

 

2. Boswell R, Foisy MM, Hughes CA. Dolutegravir Dual Therapy as Maintenance Treatment in HIV-Infected Patients: A Review. Ann Pharmacother. 2018 Feb 1:1060028018758432 [Epub ahead of print]

 

3. Capetti AF, Astuti N, Cattaneo D, Rizzardini G. Pharmacokinetic drug evaluation of dolutegravir plus rilpivirine for the treatment of HIV. Expert Opin Drug Metab Toxicol 2017 Nov;13(11):1183-1192.

 

4. GlaxoSmithKline 2017, Full Prescribing Information JULUCA

 

5. Borghetti A et al. Efficacy and tolerability of lamivudine plus dolutegravir as a switch strategy in a multicentre cohort of patients with suppressed HIV-1 replication. HIV Med. 2018 Mar 24. doi: 10.1111/hiv.12611. [Epub ahead of print]

 

6. Blanco JL et al.. Dolutegravir-based maintenance monotherapy versus dual therapy with lamivudine: a planned 24 week analysis of the DOLAM randomized clinical trial. J Antimicrob Chemother. 2018 Mar 28. doi: 10.1093/jac/dky093. [Epub ahead of print]

 

7. Llibre JM et al. Efficacy, safety, and tolerability of dolutegravir-rilpivirine for the maintenance of virological suppression in adults with HIV-1: phase 3, randomised, non-inferiority SWORD-1 and SWORD-2 studies. Lancet. 2018 Mar 3;391(10123):839-849

 

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